
Kaum läuft es endlich einmal wieder bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, versuchen Experten die aktuell positive Stimmung zu zerreden. Statt sich gemeinsam zu freuen, wird Bundestrainer Julian Nagelsmann für seinen "Weltmeister"-Spruch kritisiert. Dabei hat er damals nach dem unglücklichen Aus gegen Spanien intuitiv viel richtig gemacht.
"Be careful!", sagte Heribert Bruchhagen am Sonntag im Sport1-"Doppelpass" in Richtung von Bundestrainer Julian Nagelsmann - und gab ihm noch mit auf den Weg, dass es zwar im Marketing die Aussage gäbe "Nur wer sich große Ziele setzt, kann Großes erreichen", doch seine Erfahrung im Fußball sei es, "vorsichtig zu sein und die Ziele der realistischen Situation anzupassen." Weise Worte eines Mannes, der anscheinend aus seinen eigenen Fehlern gelernt hat, der aber offensichtlich eine wichtige Komponente bei seinem Ratschlag an Julian Nagelsmann vergessen haben mag. Dazu gleich mehr. Vorweg aber noch kurz ein historischer Blick zurück, woher Bruchhagens Argwohn rühren mag.
In der Winterpause der Saison 2010/11 hatte Heribert Bruchhagen als Manager von Eintracht Frankfurt folgendes gesagt: "Wir sind Siebter, und es wäre dumm, wenn wir nicht versuchen würden, Fünfter zu werden. Absteigen können wir nicht mehr. Wir müssen die Gunst der Stunde nutzen." Am Ende der Saison - man kann es erahnen - musste die Eintracht den bitteren Gang in die zweite Liga antreten. Und Bruchhagen: Der darf sich bis heute, völlig zu Recht, diese folgenschweren Sätze aus der Winterpause 2010/11 anhören.
"Das will jede Mannschaft"
Seine komplette Fehleinschätzung der sportlichen Lage damals bei der Eintracht zeigt allerdings nicht, dass man sich nicht hohe Ziele setzen sollte - sondern nur, dass er offensichtlich vor knapp vierzehn Jahren fulminant mit seiner Analyse der Leistungsfähigkeit der eigenen Mannschaft daneben gelegen hat. Denn im Grunde war die Forderung an seinen Klub und an das Team von Trainer Michael Skibbe zu diesem Zeitpunkt nicht falsch.
Übrigens: Bruchhagen verpflichtete damals noch Christoph Daum als potenziellen Retter des Vereins. Uli Hoeneß kommentierte diesen speziellen Schachzug Bruchhagens gewohnt pointiert mit den legendären Worten: "Da muss irgendwie ein Pulver im Kaffee der Bundesliga gewesen sein, allgemein. Und er hat vielleicht auch etwas da drin gehabt." Punkt.
Doch zurück zur deutschen Nationalmannschaft und den warnenden Worten Bruchhagens an Bundestrainer Julian Nagelsmann. Der ehemalige Bundesliga-Manager hatte sich ja explizit auf die Aussage Nagelsmanns bezogen, der direkt nach dem unglücklichen Ausscheiden im Viertelfinale gegen Spanien bei der diesjährigen Europameisterschaft gemeint hatte. "Dass man zwei Jahre warten muss, dass man Weltmeister wird, tut weh. Natürlich wollen wir Weltmeister werden, das will jede Mannschaft!"
DFB-Team "hätte ins Finale gehört
Selbstverständlich waren die Worte des Bundestrainers damals dem Moment geschuldet, doch nicht wenigen Fans sprach Nagelsmann damit aus der Seele. Denn die Niederlage gegen den späteren Europameister hatte tatsächlich sehr weh getan - vor allem auch deshalb, weil sie, um es vorsichtig zu formulieren, unglücklich war. Wie unglücklich hat die Tage vor der Partie gegen Ungarn deren Nationaltrainer Marco Rossi noch einmal formuliert: "Deutschland war die einzige Mannschaft, die Spanien bei der EM wirklich die Stirn geboten hat. Sie waren sogar besser, hatten dann aber Pech mit einer Entscheidung. Sie hätten ins Finale gehört."
Julian Nagelsmann hat damals instinktiv und intuitiv alles richtig gemacht, als er den großartigen (Stimmungs-)Schwung und die vielen positiven Erlebnisse der deutschen Nationalmannschaft bei der EM mit diesem einen Satz kanalisiert hat - und damit den Blick zurück, der durchaus auch heute noch bei dem einen oder anderen Nationalspieler wie Fan der DFB-Elf schmerzhaft sein mag, sofort unterband und in die Zukunft lenkte. Es war natürlich eine überraschende, äußerst selbstbewusste, wenn nicht gar vollmundige Aussage, aber auch ein Satz, für den man auf gar keinen Fall kritisiert gehört. Denn wie meinte Nagelsmann die Tage völlig zu Recht: "Was soll ich sagen, dass wir in der Vorrunde ausscheiden? Natürlich wollen wir Weltmeister werden, das will jede Mannschaft. Wenn ein Trainer sagt: Er will gerne Weltmeister werden und das kritisiert wird, finde ich das verrückt."
Weniger quatschen, mehr klatschen
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Doch noch etwas ist an der Kritik von Heribert Bruchhagen grundsätzlich falsch: Seine Einschätzung der aktuellen sportlichen Lage der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Denn wenn er sagt, Julian Nagelsmann sollte "die Ziele der realistischen Situation" anpassen, dann scheint er offensichtlich nicht zu sehen oder nicht sehen zu wollen, in welch glücklichem Zustand sich die DFB-Elf und der deutsche Fußball allgemein momentan befinden. Dass das wahrhaft nicht immer so war, sollte Heribert Bruchhagen mit all seiner Erfahrung und im Alter von 76 Jahren selbstverständlich besser wissen.
Deshalb sollten alle - Experten, Fans, Offizielle, Medien - aktuell wohl viel lieber zusammen diese positive Phase der deutschen Fußball-Nationalmannschaft genießen, von "verrückten" Zielen träumen und dabei vor allem die tolle Stimmung im Herzen mitnehmen für andere Zeiten, die ganz sicher irgendwann wieder einmal kommen werden. Momentan sollte aber gelten: Weniger quatschen, sondern Beifall klatschen. Man kann auch einfach einmal gute Leistungen anerkennen und sich gemeinsam an ihnen (er-)freuen!
Quelle: ntv.de