Kimmichs wuchtiger Boykott Das Ende der "geldgierigen Piranhas"?
28.08.2021, 07:00 Uhr
Joshua "Babyface" Kimmich verhandelt neuerdings ohne Berater.
(Foto: imago/Manfred Segerer)
Vor vierzig Jahren begann der langsame Aufstieg der Spielerberater im deutschen Fußball. Anfangs noch belächelt entwickelten sie sich zu einer Berufsgruppe, die gefürchtet und teilweise auch verachtet wird. Joshua Kimmich hat nun mit seiner Vertragsverlängerung ohne Berater womöglich einen neuen Trend gesetzt!
Holger Klemme jubilierte. Gerade hatte er live im deutschen Fernsehen den Manager des SV Werder Bremen, Willi Lemke, vor einem Millionenpublikum düpiert - und nun genoss er die Reaktionen der Zuschauer. In der WDR-Sendung "Ich stelle mich!", bei der neben Klemme und Lemke auch Michael Meier und Jimmy Hartwig zu Gast waren, hatte der umstrittene Spielerberater eine brisante Geschichte ausgeplaudert. 1983 soll der langjährige Manager des Bundesligisten zwei völlig verzweifelte, weil bargeldlose Nationalspieler aus einem Rotlicht-Etablissement in Graz ausgelöst haben - allerdings nicht ganz uneigennützig. Denn der pfiffige Lemke soll für diese Gefälligkeit in höchster Not eine harte Gegenforderung gestellt haben: die sofortige Vertragsverlängerung der beiden begehrten Spieler, fixiert auf einem Bierdeckel des Etablissements. Der Bremer Offizielle bestritt die Story später zwar, gestand allerdings gleichzeitig auch ein: "Mein Auftritt war ein Reinfall." Im Gegensatz zu der Darbietung des Spielerberaters. Holger Klemme hatte Werbung für einen Berufszweig gemacht, der damals noch in den Kinderschuhen steckte. Doch spätestens nach dieser TV-Sendung waren die Herren Bundesliga-Profis hellhörig geworden. So einen wie Klemme konnten sie alle gut gebrauchen.
Rund vierzig Jahre später lässt nun Nationalspieler Joshua Kimmich aufhorchen. Der ambitionierte Bayern-Profi hat sich von seinem Berater verabschiedet, weil er in Zukunft noch stärker für seine "Werte" und seine "Ansichten einstehen" und seiner "Eigenverantwortung gerecht werden" möchte. Und dann fügte Kimmich noch einen weiteren, interessanten Aspekt hinzu: "Zudem bin ich davon überzeugt, dass ich meine eigenen Positionen inhaltlich gegenüber Anderen am besten vertreten kann." Ein brisanter Satz mit Zündstoff - denn er wirft die Frage auf: Treibt diese Äußerung des Triple-Gewinners womöglich alsbald eine ganze Berufssparte in die Arbeitslosigkeit? Schließlich war es ja bisher so, dass die allermeisten Profis bei den Verhandlungen mit den Vereinen gar nicht einmal mehr selbst am Tisch saßen. Was hier und da übrigens zu grotesken Auswüchsen führte, wie BVB-Boss Aki Watzke einst erzählte: "Manche Berater achten bei diesen Verhandlungen mehr auf ihre eigenen Einnahmen als auf die ihres Spielers. Da wird dann über die eigene Provision länger als über alles andere verhandelt."
Doch noch, so heißt es, bleibt die Berater-Szene ruhig und gelassen - und stellt stattdessen lieber ihre eigene Unverzichtbarkeit heraus. Wohl nicht ganz zu Unrecht. Denn die Zeiten, in denen die Spieler zusammen mit Mami und Papi bei den Klubs ihren Vertrag aushandelten, sind lange vorbei. Mittlerweile läuft im Profifußball quasi nichts mehr ohne die Berater. Eine Entwicklung, die schon 2007 dem legendären Schalker Manager Rudi Assauer Kopfzerbrechen bereitete: "70 Prozent der heutigen Spielerberater sind Verbrecher. Sehr dubiose Typen. Die denken nur daran, wie sie aus einem jungen Spieler viel Geld rausholen können. Da müsste man mal einen Pflock einschlagen." Und auch Uli Hoeneß' Worte über den damaligen Alaba-Berater ("geldgieriger Piranha") haben alle Fußballfreunde noch gut in Erinnerung.
Verhandeln ohne Geplänkel
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Wer aktuell die Bemühungen von Mino Raiola beobachtet, seinen Schützling Erling Haaland mit einem obszönen Preisschild versehen ins Schaufenster zu stellen, dem muss angesichts der aufgerufenen Summen der Gedanke von einer Welt ohne Spielerberater durchaus angenehm vorkommen. Denn es sind gerade diese grotesken Auswüchse, die eine komplette Branche öffentlichkeitswirksam und zurecht in Misskredit bringen. Wie wohltuend gestaltete sich dagegen die Vertragsverlängerung von Joshua Kimmich beim FC Bayern München. Sicherlich ähnlich lukrativ wie bei anderen Superstars der Branche, aber ohne das nervige und abstoßende Drumherum-Geplänkel in den Medien.
Doch trotz der Vertragsverlängerungen zweier begehrter Nationalspieler wie Joshua Kimmich bei den Münchenern und Kevin de Bruyne bei Manchester City ohne Spielerberater wird sich aller Voraussicht nach so schnell nichts an den eingespielten Abläufen im Profifußball ändern. Die Uhr ist nicht mehr zurückzudrehen. Es sind mittlerweile eben einfach komplett andere Zeiten.
Und das wohl auch bei den Vertragsverhandlungen selbst. Oder kann sich ernsthaft einer vorstellen, dass es heutzutage in den Büros der Klubs noch genauso läuft, wie damals, als Holger Klemme, einer der ersten Spielerberater seiner Zunft, hinterher stolz von seiner ausgeklügelten Verhandlungstaktik erzählte: "Da laufen dann in der ersten halben Stunde fünf Runden Pils mit der Absicht, mich müde zu machen. Aber nicht mit mir. Ich schalte dann immer ein paar Gläschen Fernet Branca dazwischen. Die darin enthaltenen Pflanzenstoffe bauen Alkohol wieder ab."
Quelle: ntv.de