Redelings Nachspielzeit

"Halt das Maul, du blöde Sau!" Der dümmste Platzverweis der Bundesliga

Erwin Kremers von Schalke 04 leistete sich einen Aussetzer.

Erwin Kremers von Schalke 04 leistete sich einen Aussetzer.

Saison 1973/74: Die Bayern feiern ihren dritten Titel in Folge mit einer "Alkohol-Verdunstungsstunde" und einer Klatsche bei Borussia Mönchengladbach. Doch dann waren da noch ein wütender Schalker und ein erstaunter Schiri.

Dieser Platzverweis aus der Spielzeit 1973/74 ist nicht nur legendär - er war auch (mit Verlaub) saudumm. Am 34. Spieltag musste der Schalker Erwin Kremers nach einer ziemlich ruppig geführten Partie auf dem Kaiserslauterer Betzenberg nur noch die allerletzten Sekunden überstehen, dann wäre eine lange Saison endgültig zu Ende gewesen und der Europameister von 1972 hätte mit der deutschen Nationalmannschaft die Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft im eigenen Land begonnen. Aber es kam anders. Oder wie Lothar Matthäus es sagen würde: "Wäre, wäre, Fahrradkette."

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Denn beim aussichtslosen Stand von 4:0 für die Lauterer konnte sich Kremers in der 90. Minute nicht mehr beherrschen. Mit hochrotem Kopf brüllte er Schiedsrichter Max Klauser an: "Halt das Maul, du blöde Sau!" Dieser drehte ein wenig an einem imaginären Hörgerät, klopfte sich auf die Ohren und fragte anschließend in aller Ruhe bei dem immer noch fuchsteufelswilden Schalker nach, ob er denn da gerade richtig gehört habe. Es wäre ja so furchtbar laut auf dem Betzenberg und da könne man sich schon mal verhören. Die goldene Brücke für Kremers war ausgelegt. Doch anstatt langsam wieder runterzukommen und einmal kräftig durchzuatmen, setzte Kremers noch einen obendrauf: "Taub bist du also auch noch, du blöde Sau!"

Sein Trainer Ivica Horvat kommentierte den Platzverweis bittersüß: "Jetzt hat der Erwin endlich einen Unparteiischen gefunden, der sich nicht scheut, ihn vom Platz zu schicken. Das habe ich seit Wochen vorausgesagt." Und als ob das alles noch nicht Häme und Spott genug gewesen wäre, kam es für den Schalker kurz darauf noch bitterer. Denn Kremers wurde anschließend aus dem Nationalmannschaftskader für die WM 1974 geworfen und bestritt in der Folge nie wieder ein Länderspiel für Deutschland. Ein Platzverweis, wie er dümmer nicht hätte ablaufen können.

Show von Sepp Maier und Hannes Löhr

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In München herrschte in dieser Spielzeit mal wieder Hochstimmung. Die Saison 1973/74 bescherte den Bayern nicht nur den dritten Bundesligatitel in Folge, sondern auch den Gewinn des Europapokals der Landesmeister. In der Nacht des internationalen Triumphs hatte Keeper Sepp Maier deshalb auch überschwänglich bereits gescherzt: "Wenn ich morgen in Gladbach im Tor stehe und drei Bälle sausen auf mich zu, nehme ich immer den in der Mitte!" Und so verschmerzten die Münchner das 0:5 bei Borussia Mönchengladbach mit einem müden Lächeln im Gesicht. Trainer Udo Lattek: "Dieses Spiel war für uns eine Alkohol-Verdunstungsstunde!"

Und auch Manager Robert Schwan streckten seine Gefühle auf den grünen Rasen nieder. Um 1.000 Mark hatte er mit seiner Mannschaft gewettet, dass er vor dem Spiel einen Purzelbaum schlagen würde. Zur Belustigung aller tat er es - und kassierte das Geld. Vermutlich, um es augenblicklich später in ein paar weitere Fläschchen edlen Champagners zu investieren.

Langsam trotteten damals nach dem Bundesliga-Skandal (Spielmanipulation von Rot-Weiß Oberhausen und Arminia Bielefeld) die Zuschauer wieder zurück in die Stadien, und sie bekamen neben spektakulären Partien auch kleine Zirkusnummern geboten. Beim Zusammentreffen des FC Bayern zu Hause gegen den 1. FC Köln am 16. Spieltag zelebrierten Hannes Löhr und Bayern-Keeper Sepp Maier einen Showact, den sie schon lange einmal ausprobiert haben wollten. Abgemacht war: "Ich werde dir einmal während des Spiels den Ball hinwerfen und dann spielst du ihn mir zurück!" So Maier zu Löhr. Wohlgemerkt: Der Münchner Torwart wollte vor seinem eigenen Kasten das Spielgerät zum Kölner Stürmer schmeißen - in der Hoffnung, dass dieser die Situation nicht ausnutzen und das Leder direkt zu ihm zurückpassen würde.

Doch genau das tat Löhr nicht - wenigstens nicht sofort. Sechs Meter vor dem Kasten wollte der Kölner erst noch Maier umkurven, bevor er ihm den Ball zurückspielte. Doch da wurde die Lage selbst dem ansonsten immer so lustigen Bayern-Torwart etwas zu unübersichtlich. Wütend schnappte er seinem Freund das Leder vom Fuß und ballerte die Kugel weit in die Kölner Hälfte. Die Zuschauer waren dennoch sehr angetan von diesem inszenierten Spektakel.

"Für immer gelähmt!"

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Und dann schrieb Kölns Torwart Gerd Welz noch ein besonderes, schmerzhaftes und trauriges Kapitel Bundesligageschichte. Seine Verletzungsmisere tut schon beim Lesen weh. Im Krankenbett lag er damals häufiger als im heimischen Ehebett, und für viele Monate wurde die Reha zu seinem ersten Wohnzimmer. Am 24. Spieltag prallte der Kölner Keeper in der Partie gegen den Hamburger SV mit Peter Hidien zusammen. Kurz vorher hatte Welz einen Nierenriss erlitten und nun zog er sich eine schwere Gehirnerschütterung zu. Doch er spielte zuerst benommen weiter. Dann prallte er im Training mit dem Kopf gegen den Pfosten. Plötzlich klagte Welz über eine Stirnhöhlenentzündung. Als ein Arzt ihn noch einmal gründlich untersuchte, drückte eine Schwellung so stark auf das Gehirn, dass er tagelang auf der Intensivstation in Lebensgefahr lag. Welz hatte einen Schädelbasisbruch. Die "Bild"-Zeitung schrieb: "Deutschlands mutigster Torhüter für immer gelähmt!"

Doch Welz stand wieder auf. Allerdings zu früh, wie sich herausstellen sollte. Der Torhüter wollte unbedingt mit zur Weltmeisterschaft und sagte: "Man darf nicht einrosten. Man muss als Torwart geschmeidig bleiben." Und als er einen schweren Rückfall erlitt: "Nur die drei Balken will ich um mich spüren, dann ginge es mir schon wesentlich besser." Als er sich später im Jahr 1974 endlich wieder an die Mannschaft herantastete, passierte das nächste Unglück: "Ein harmloses Trainingsspielchen. Ich bin in eine Mulde getreten, und da war am rechten Fuß das Sprunggelenk gebrochen." Sein Trainer Tschik Cajkovski war verzweifelt.

Und tatsächlich erholte sich Gerd Welz nie wieder richtig von seinen Verletzungen. Nach 89 Bundesligaeinsätzen war seine Karriere beim FC 1975 beendet. Sein Nachfolger in Köln wurde übrigens ein gewisser Harald "Toni" Schumacher.

(Dieser Artikel wurde am Samstag, 10. September 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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