
Lothar Matthäus bereitete seine Rückkehr zum FC Bayern erfolgreich selbst vor.
Die Fans bezeichneten ihn schon als "größten Fehleinkauf" und Uli Hoeneß verspottete ihn als "Pressesprecher". Doch dann erzielte Lothar Matthäus ein Traumtor und all seine Mühen wurden belohnt. Denn die Rückkehr des Weltmeisters zum FC Bayern lief 1992 nicht ganz korrekt ab!
Uli Hoeneß war sauer. Im Spätsommer vor dreißig Jahren hatten die Medien die Bayern noch für die spektakuläre Rückkehr des Weltmeisters gefeiert - doch nun war von all der schönen Euphorie nichts mehr zu spüren. Als Matthäus noch nicht spielte, lief es für den Rekordmeister. Obwohl Torwart Raimond Aumann indirekt wohl schon spürte, dass es bald zu einem Problem kommen könnte. Doch zu diesem Zeitpunkt lachten alle noch über seinen hintersinnigen Spruch: "Lothar macht die PR-Arbeit, wir holen die Punkte."
Denn nachdem Matthäus am 19. September im Heimspiel gegen die SG Wattenscheid 09 debütierte, war es vorbei mit der unbeschwerten, schönen Stimmung. 1:1 endete die Partie gegen Bochum 6 - und nur Wochen später sprachen die Fans auf der Jahreshauptversammlung bereits vom "größten Fehleinkauf" der Vereinsgeschichte. Und Hoeneß? Auch der zweifelte an Matthäus: "Seine Leistungen sind nur noch im Reden erstklassig. Manchmal glaube ich, er ist der Pressesprecher des FC Bayern."
"Habe mich für Bayern versteckt"
Dass all die Kritik in diesen Herbsttagen des Jahres 1992 nicht ganz fair war, gaben hinterher fast alle zu. Schließlich hatte Matthäus nur fünf Monate vor seinem Comeback gegen Wattenscheid einen Kreuzbandriss erlitten. Und nur diese Verletzung allein hatte den Weltmeister überhaupt in die Lage gebracht, eine Rückkehr zum FC Bayern in Erwägung zu ziehen. Doch da sich sein damaliger Verein Inter Mailand in diesen schwierigen Zeiten nicht gerade vorbildlich verhalten hatte ("Die haben sich nie um mich gekümmert"), hatte Matthäus die Initiative ergriffen und bei seinem ehemaligen Trainer in der Nationalelf, Franz Beckenbauer, angerufen - und sich ins Gespräch gebracht. Beckenbauer reagierte begeistert über Matthäus' Rückkehr-Gedanken: "Lothar, das wäre ja wie ein Sechser im Lotto!"
Und als dann auch noch Uli Hoeneß von Matthäus erfuhr, dass er schon für eine Ablöse von fünf Millionen Mark zu haben sei, begann der "große Bluff", wie ein Magazin damals titelte. Denn die Bayern waren über ihren Vereinsarzt Dr. Müller-Wohlfahrt bestens darüber im Bilde, wie weit der Heilungsprozess bei Matthäus schon gediehen war. Während sein aktueller Klub Inter Mailand noch davon ausging, dass der Weltmeister noch weitere Wochen und Monate ausfallen würde, wussten die Bayern, dass sich Matthäus bei einem kleinen Dorfverein unweit seines Wohnortes bereits heimlich wieder auf seine Rückkehr vorbereitete: "Ich habe mich für Bayern München versteckt, wollte nicht zeigen, wie weit ich schon bin."
Und auch Hoeneß spielte mit. Als Matthäus bei Müller-Wohlfahrt zum Check auf dem Vereinsgelände an der Säbener Straße trainieren sollte, untersagte der Bayern-Manager dem Weltmeister das. Gemeinsam trickste man so die Italiener aus. Matthäus: "Ich will nicht sagen, dass ich die verarscht habe, aber ein bisschen freut es mich schon, dass die sich jetzt ärgern, wenn sie mich laufen sehen."
"So genau zielen kann niemand"
Doch erst einmal ärgerten sich anschließend die Anhänger des FC Bayern über den Transfer. Dann allerdings kam der 21. November 1992. Ein legendärer Tag in der Geschichte der Bundesliga und ein Datum, das Fußballfans kollektiv abgespeichert haben. Zwei Monate nach seinem ersten Spiel für die Münchener zu Hause gegen die SG Wattenscheid 09 trat der FC Bayern im Ulrich-Haberland-Stadion gegen Bayer Leverkusen an.
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Es war kurz vor 17 Uhr, als 26.900 Zuschauern der Atem stockte. Sie beobachteten gespannt, wie sich Mehmet Scholl beim Stand von 1:1 den Ball an der Eckfahne zurechtlegte - und die Kugel dann im weiten Bogen vor den Sechszehner flankte. Lothar Matthäus erinnert sich: "Ich sehe den Ball kommen. Ich sehe, dass der Ball gut kommt. Und ich haue drauf. Einfach Richtung Tor. Denn so genau zielen, dass er ins linke Dreieck fliegt, kann niemand." So nüchtern die Worte des deutschen Rekordnationalspielers klingen, so spektakulär und unvergesslich war dieses Tor an diesem typischen Novembernachmittag in Leverkusen.
Und es war der "Knackpunkt", so Lothar Matthäus Wochen später in einem Interview, für eine Wende zum Guten. Denn ab diesem Moment hatte der Weltmeister von 1990 endlich seine schwere Verletzung auch im Geiste von sich abschütteln können. Karl-Heinz Rummenigge meinte damals: "Lothar hat reagiert wie ein angeschossener Bär. Er hat sich durchgebissen. Respekt!" Und Bayerns zweiter Vizepräsident Franz Beckenbauer schwärmte von nun an noch umso begeisterter vom anfangs so umstrittenen Neuzugang: "Auch wenn die Mannschaft 14:0 vorne liegt, der Lothar kann sie immer noch verstärken."
(Dieser Artikel wurde am Dienstag, 20. September 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de