Redelings Nachspielzeit

Redelings über den Verschollenen Die Sehnsucht nach Franz Beckenbauer

Am letzten Bundesliga-Spieltag ließ sich Franz Beckenbauer zusammen mit einigen anderen Legenden des FC Bayern sehen - ein mittlerweile seltener Anblick.

Am letzten Bundesliga-Spieltag ließ sich Franz Beckenbauer zusammen mit einigen anderen Legenden des FC Bayern sehen - ein mittlerweile seltener Anblick.

(Foto: imago/Ulmer)

Es ist ruhig geworden um Franz Beckenbauer. Sehr ruhig. Es ist eine eigenartige Stille für all diejenigen, die es gewohnt waren, dass der "Kaiser" einfach immer da war. Unser Kolumnist - und viele Fans - hoffen, dass er alsbald zurückkehrt!

Kein Fußballereignis ohne Beckenbauer - das war die Regel. Er gehörte einfach dazu. Seit seinem kometenhaften Aufstieg in den 1960er-Jahren war er die Lichtgestalt des deutschen Fußballs. Immer irgendwie anwesend, selbst wenn er nicht dabei war. Die "Schmach von Cordoba" bei der WM 1978 - mit Beckenbauer wäre sie niemals passiert. Da waren sich alle einig. Fans wie Medien. Doch der "Kaiser" war 1977 in die USA gegangen, nach New York. Wahrscheinlich eine Flucht vor den deutschen Steuerbehörden. Doch als er 1980 nach Deutschland, zum HSV zurückkehrte, war alles vergessen. Denn auch fernab der Heimat war Beckenbauer omnipräsent. Die Klatschpresse begleitete sein Leben in den USA farbenfroh und umfassend. Und gab es etwas zum deutschen Fußball zu sagen - Beckenbauer verkündete auch Tausende Kilometer von zu Hause entfernt stets wortreich seine Meinung.

Nun ist der Weltmeister, als Spieler und als Trainer, das zweite Mal "abgetaucht". Anders als Ende der 1970er-Jahre ist er dieses Mal allerdings nahezu komplett von der Bildfläche verschwunden. Außer durch einige kurze Stellungnahmen über sein Haus- und Hof-Presseorgan erfuhr man über das Leben des Franz Beckenbauer im vergangenen Jahr nichts. Seit er unmittelbar in den WM 2006-Skandal auf verschiedenen Ebenen verwickelt ist, hört und sieht man den vormals Omnipräsenten so gut wie gar nicht mehr. Die Frage - "Was macht eigentlich Franz Beckenbauer?" - ist deshalb nur zu verständlich.

"Ein Tor würde dem Spiel gut tun"

Ben Redelings ist "Chronist des Fußballwahnsinns" (Manni Breuckmann) und leidenschaftlicher Anhänger des VfL Bochum. Der Autor, Filmemacher und Komödiant lebt in Bochum und pflegt sein Schatzkästchen mit Anekdoten. Seine kulturellen Abende "Scudetto" sind legendär. Für n-tv.de schreibt er stets dienstags die spannendsten und lustigsten Geschichten auf. Sein Motto ist sein größter Bucherfolg: "Ein Tor würde dem Spiel gut tun".

Und obwohl man nach den schlechten und frustrierenden Nachrichten rund um die Vergabe der WM 2006 eigentlich davon ausgehen müsste, dass die Menschen in Deutschland die Sendepause von Beckenbauer als gerechtfertigt und angemessen empfinden, ist wohl das Gegenteil der Fall. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die meisten Deutschen Beckenbauer immer noch schätzen, ja sogar, verehren und daraus folgend, gerne um sich haben wollen. Spürbar ist das immer wieder in vielen Gesprächen, die ich als Kolumnist und Gastgeber von Fußball-Talkrunden sowie Saison- und Jahresrückblicken führe.

Im Eiltempo vom Helden zum Aussätzigen

Marcel Reif schreibt außerdem in seinem neuen Buch "Nachspielzeit": "Er war für mich eine Persönlichkeit, mit entsprechendem Charisma. Jemand, der viel geleistet hat, der dabei geerdet und menschlich geblieben ist." Und genau deshalb können sich wohl viele nicht vorstellen, dass dieser Franz Beckenbauer bewusst ‚Unrechtes’ getan haben soll. Marcel Reif bringt es in seinem Buch auf den Punkt: "Ich will nicht kleinreden, was ans Licht gekommen ist, großartige Recherchen. Chapeau. Aber wenn ich sehe, wie schnell es geht, dass einer vom Helden zum Aussätzigen wird in der Sicht der Menschen, die über ihn reden - sorry, da schnürt es mir den Hals ab. Wenn ich Beckenbauer vor mir sehe, nach den Enthüllungen, und mich frage, wie ich mich jetzt mit ihm und seiner Geschichte fühle - dann merke ich: Ich kann nicht einfach drauflosblöken und mich entsetzen und entrüsten. Dafür habe ich selbst zu viel angestellt. Selbst an der falschen Stelle Hurra geschrien. Selbst Leute verletzt, enttäuscht."

Wahrscheinlich braucht es noch etwas Zeit und müssen die laufenden Untersuchungen erst vollständig abgeschlossen sein, bevor sich Beckenbauer wieder häufiger und unbeschwert in der Öffentlichkeit zeigt. Er kann sich wohl aber trotz aller Vorwürfe sicher sein, dass ein großer Teil der Bevölkerung seine Rückkehr befürworten würde. Vielleicht, weil sowieso nie jemand verstanden hat, wieso er ehrenamtlich so viel Zeit und Energie (u.a. mehr als 30 Länder bereist) in die Vergabe der WM 2006 gesteckt hat?! Vielleicht, weil ohnehin alle von einer korrupten Fifa ausgehen und sich durch diesen Skandal die Erinnerungen an das "Sommermärchen" nicht kaputt machen lassen möchten?! Oder vielleicht auch einfach nur deshalb, weil er der Franz Beckenbauer ist, den wir seit so vielen Jahren kennen.

Für ihn, aber auch für uns alle, würde man sich wünschen, dass eine Rückkehr zur Normalität alsbald möglich ist. "Noch in diesem Leben", wie es die Tage leider an einer anderen Stelle hieß. Alles andere wäre mehr als schade!

Das Buch unseres Kolumnisten Ben Redelings: "Bundesliga-Album: Unvergessliche Sprüche, Fotos, Anekdoten" bei Amazon bestellen. Außerdem ist er mit seinen Programmen unterwegs: Infos und Tickets.

Quelle: ntv.de

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