Redelings Nachspielzeit

Redelings zum Tod von Siebert Im Herzen aller Schalker

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(Foto: imago/Horstmüller)

Günter Siebert meinte einmal: "Die Leute sagen: Wenn ich ins Gefängnis muss, ist der Gefängnisdirektor noch am gleichen Tag Schalke-Mitglied." Er war ein großer Schalker und eine prägende Figur der Bundesliga, erinnert unser Kolumnist. Nun ist Günter Siebert mit 86 Jahren verstorben.

Dauergrantler Max Merkel hat einmal gesagt: "Herr Siebert hatte im Gelsenkirchener Parkstadion das Monopol auf den Würstchenverkauf … Ich korrigiere mich: Es war seine Ehefrau! Heute handelt Präsident Siebert mit Cevapcici. Er muss in Jugoslawien eine Großmutter haben. Er kauft Jugoslawen, lässt sie in Gelsenkirchen a bisserl aufwärmen und gibt sie dann weiter." Geschäftstüchtig war Siebert tatsächlich schon immer - und ein echter Schalker: "Die Leute sagen: Wenn ich ins Gefängnis muss, ist der Gefängnisdirektor noch am gleichen Tag Schalke-Mitglied."

Mitunter hat ein Ritt auf dem Kamel auch Gemeinsames mit der S04-Präsidentschaft.

Mitunter hat ein Ritt auf dem Kamel auch Gemeinsames mit der S04-Präsidentschaft.

(Foto: imago/HJS)

An dem Tag, als der gelernte Zimmermann Günter Siebert auf Schalke seinen ersten Vertrag unterschrieb, holte er sich von seiner Mutter eine Ohrfeige ab. Er war zu spät nach Hause gekommen. Damals war Siebert 20 Jahre jung. Viele Jahre später setzte ihm eine andere Frau schwer zu. Es war seine eigene. Der Schalke-Präsident hatte ihr gebeichtet, dass er für eine Vereinsschuld von über 400.000 Mark gebürgt hatte: "Auweia, hat die mir einen Tanz gemacht."

Ist das hier ein Würstchenverein?

Ähnlich rund ging es im Februar 1976. Auf Schalke wollte man dem amtierenden Präsidenten Siebert an "sein Würstchen". Genauer gesagt, an sein Monopol, die heißen Fleischstängel im Gelsenkirchener Parkstadion exklusiv an den Mann zu bringen. Schon länger hielt sich hartnäckig das von der Opposition gestreute Gerücht, dass der ehemalige Meisterspieler des S04 die eine oder andere schnelle Mark mehr in sein persönliches Säcklein packte, als es vertraglich mit ihm vereinbart war. Die schwachen Attacken des von der Opposition in die vorderste Linie getriebenen, hypernervösen Bäckermeisters Josef Wittinghofer schob Siebert an diesem Abend jedoch unter dem tosenden Gelächter der Mitglieder souverän beiseite: "Was wollt ihr? Ich komm mir langsam so vor, als ob wir hier ein Würstchenverein wären!"

Die Veranstaltung im Hans-Sachs-Haus wurde kurzerhand total auf den Kopf gestellt. Vom geplanten Umsturz blieb nichts mehr übrig. Stattdessen bejubelten die Schalker ihren alten und neuen Führer. Mit überwältigender Mehrheit wurde Oskar Siebert im Amt bestätigt. Auch, als ihn der letzte Einäugige unter lauter Blinden als "Zirkusdirektor" beschimpfte, lächelte Siebert nur erhaben in die Kameras: "Zirkusdirektor? Ja, da bin ich stolz drauf, weil mein Zirkus immer ausverkauft ist …"

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Im Überschwang des eigenen Erfolgs beging Siebert im Winter 1976 einen folgenschweren Fehler. Eigentlich sollte er am 1. Januar eine mit 62.000 DM dotierte Managerstelle beim Schalke 04 antreten. Doch auf der Weihnachtsfeier einige Tage vor Dienstantritt beschwerte sich Siebert massiv über die Verhältnisse beim S04 und bot an, dass man doch besser sein Geld einsparen solle. Sein Vorgänger Karl-Heinz Hütsch fand den Vorschlag so prima, dass er sofort akzeptierte und einen späteren Widerruf ignorierte. Denn als Siebert wieder nüchtern war, fand er die eigene Idee zur Sanierung des Vereins plötzlich doch nicht mehr so klasse und versuchte, sich kleinlaut rauszureden: "Ich war so betrunken, dass ich nicht mehr wusste, was ich tat." Doch nichts half.

Zehn Jahre später wollte Siebert nach einer Auszeit, die er als Kneipier auf Gran Canaria ("Ich weiß immer nur ganz genau, wann Dienstag ist. Dann kommt das Bier aus Deutschland") verlebt hatte, auf Schalke erneut Präsident werden. Auf der Jahreshauptversammlung lieferte er sich in Verbalduellen mit dem ehemaligen Manager Rolf Rüssmann einen packenden Zweikampf. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dass der damalige Bildungsminister Jürgen W. Möllemann die völlig außer Kontrolle geratene Mitgliederschaft mit seinem Appell an Werte und Gewissen erfolgreich zur Ordnung rufen musste.

Siebert macht's auch unter 60 Prozent

Die anschließende Wahl gewann der braungebrannte Kneipenwirt mit der knappen Mehrheit von 37 Stimmen vor seinem Gegenkandidaten Volker Stuckmann. Siebert ignorierte angesichts dieses Wahlausgangs großzügig seine eigenen Vorgaben ("Mindestens 60 Prozent brauche ich") und verkündete schnell: "Ich, euer Oskar Siebert, nehme die Wahl an!"

Warum alles so fix gehen musste? Vielleicht, weil die Geschichte ein Nachspiel hatte. Wenige Tage nach der Jahreshauptversammlung riss ein Hund mit dem schönen Namen Hasso auf dem Gelände der Gelsenkirchener Mülldeponie herumliegende Säcke auf. Und was kam da zum Vorschein? Neben abgenutzten Pilstulpen und halben Fleischfrikadellen quollen auch ungezählte Abstimmungskarten der letzten JHV aus den Müllsäcken heraus. Damit war der Skandal perfekt. Eigentlich. Denn Schalke wäre nicht Schalke, wenn man unbürokratisch und ohne viel Aufhebens zu machen, die Sache schnellstmöglich gelöst hätte. Wie? Ganz einfach. Man kaufte neue, deutlich reißfestere Säcke und packte die Kärtchen - diesmal wirklich für immer - zurück in den Müll.

Der feine Rhetoriker Siebert berauschte sich stets selbst an seinen flammenden Ansprachen ("Zwei Piccolo, und ich rede jeden in Grund und Boden"). Wenn er dann zu später Stunde in die Runde fragte "Wo wohnt Günter Siebert?" und seine Zuhörer "Im Herzen aller Schalker" antworteten, gab es Freibier für alle. Nun ist der große Schalker und eine prägende Figur der Bundesliga-Geschichte mit 86 Jahren gestorben.

Quelle: ntv.de

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