
Was der Fan Julian Nagelsmann wohl über die Aussagen des Bundestrainers Julian Nagelsmann denken würde?
(Foto: IMAGO/osnapix)
Die Pfiffe zur Halbzeit haben dem nervösen Bundestrainer überhaupt nicht gefallen. Dass diese angesichts der großen Enttäuschung der Fans allerdings "nachvollziehbar" waren, hat Nagelsmann eingesehen - bevor er anschließend zu einem seltsamen Rundumschlag ausholte.
"Wir dürfen uns nicht über das Publikum aufregen. Wenn wir so weiterspielen, haben wir bald keines mehr", hat einmal ein Präsident des 1. FC Köln gesagt, als sein Trainer Kritik an den Pfiffen der eigenen Zuschauer geäußert hatte. Vielleicht hätte Julian Nagelsmann diese (klugen) Worte kennen und verinnerlichen sollen, bevor er am gestrigen Abend nach dem mühsamen Sieg des DFB-Teams über Nordirland in die Mikrofone sprach.
Denn das, was dann kam, hat nur noch weiteres Öl in das aktuell eh schon angespannte Verhältnis zwischen Fans und Nationalmannschaft gegossen, wie es ein Anhänger im Netz sachlich und präzise formulierte: "Mit solchen Aussagen gewinnst du keine Fans. Das Gegenteil wird passieren. Noch mehr Kritik wird kommen."
Zwar hatte der Bundestrainer auf die Fragen nach den Pfiffen der Zuschauer zur Halbzeit zwar Verständnis für die Anhänger der deutschen Fußball-Nationalmannschaft geäußert ("Ich glaube, so ein Ticket kostet auch ein bisschen was, und sie wollen anderen Fußball sehen. Das kann ich nachvollziehen"), gleichzeitig aber auch die immer noch nur eher zaghaft geäußerte Kritik der Fans in einem schon fast grotesk anmutenden Rundumschlag scharf gekontert: "Wenn wir alle wie Hyänen im Busch sitzen und darauf warten, den nächsten zu beißen, weiß ich nicht, ob man sich da so toll entwickelt als Land."
Nagelsmann schießt über das Ziel hinaus
Nach den gezeigten Leistungen des DFB-Teams in der ersten Halbzeit war es schon erstaunlich, wie wenig selbstkritisch, demütig und abwiegend der Bundestrainer wiederholt nach dem Spiel seine Worte an die Fans richtete. Wieso er an dieser Stelle dann auch noch eine Generalkritik an die Bürger dieses Landes adressierte, bleibt wohl auf ewig sein Geheimnis. Besser so. Es würde die Sache im Kern vermutlich nur noch schlimmer machen.
"Für den einen oder anderen ist er vielleicht übers Ziel hinausgeschossen. Aber so ist er und so lieben wir ihn." Das hat Rudi Völler die Tage über den Bundestrainer gesagt. Es ging allerdings nicht um die Kritik an der Spielweise der DFB-Elf, sondern um die forschen Ankündigungen Nagelsmanns zur kommenden Weltmeisterschaft. Und dennoch passt der erste Satz auch dieses Mal wieder. Und so langsam wird dieses "übers Ziel hinausschießen" zu einem echten Problem.
Denn wenn ein Bundestrainer seine eigene Emotionalität so wenig im Griff hat, dass sich die Fans völlig zurecht von ihm angegriffen fühlen, dann sollten beim DFB die Warnsignale auf rot gehen. Denn am Ende, und das vergessen manche Offizielle leider offensichtlich gerne einmal im Alltag, würde die ganze Veranstaltung ohne (zahlende) Zuschauer (im Stadion und daheim vor den Geräten) nicht funktionieren.
Welche Art der Kritik wünscht sich Nagelsmann denn?
Doch offensichtlich scheint das beim Bundestrainer noch nicht angekommen zu sein. Denn wer nach den letzten (enttäuschenden) Spielen so wenig feinfühlig auf die aktuelle Stimmungslage unter den Fans reagiert, der ist, so deutlich muss man das sagen, scheinbar mit der Situation überfordert.
Und wie die Stimmung aussieht nach den Aussagen von Julian Nagelsmann am gestrigen Abend kann man sehr deutlich an den Reaktionen im Internet ablesen. Denn dort stehen vielfach in einfachen, klaren und vernünftigen Worten die Dinge zusammengefasst, die die Fans aktuell empfinden: "Pfiffe sind Kritik. Kritik, dass man als Zuschauer mit der dargebotenen Leistung nicht zufrieden ist. Sollen die Zuschauer applaudieren, nur weil Kritik unerwünscht ist?"
Als in Dortmund vor ein paar Jahren die BVB-Fans ebenfalls ihren Unmut offen zeigten, beklagte sich Torhüter Roman Bürki hinterher über die Pfiffe. Manager Michael Zorc konterte sichtlich erregt, aber dennoch pointiert: "Ich empfehle unseren Spielern, sich die 90 Minuten am Fernseher oder Laptop anzugucken. Dann müssen sie aufpassen, dass sie dabei nicht selbst pfeifen."
Paul Breitner fand Pfiffe noch stimulierend
Julian Nagelsmann hat gestern Abend zugegeben, dass er "am Donnerstag auch fast in der Kabine gepfiffen" hätte. Wieso er dann allerdings die zur Halbzeit vollkommen berechtigte Kritik und Enttäuschung der Fans ("Ich war im Stadion. Jeder um mich herum war unfassbar sauer, dass die 1. Halbzeit gefühlt wieder nur Standfußball gespielt wurde, deswegen kann ich die Pfiffe schon nachvollziehen", Reaktion im Netz) so wenig nachvollziehen kann, ist nur schwer verständlich.
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Leider deutet das auf eine seltsame (emotionale) Distanz des Bundestrainers zu der Gefühlswelt der Anhänger des DFB-Teams hin. Eine ungesunde Entwicklung - bei allem Respekt vor dem unfassbaren Druck, unter dem Julian Nagelsmann aktuell nach den enttäuschenden Leistungen in den vergangenen Monaten sicherlich steht.
"Nichts stimuliert mehr als Pfiffe", hat der Weltmeister von 1974, Paul Breitner, einst gesagt. Ob Pfiffe allerdings tatsächlich förderlich sind und vielleicht sogar Leistung, oder wie es Julian Nagelsmann aktuell wohl sagen würde, "Energie" einfordern kann, darüber kann man sicherlich lange und breit diskutieren. Dass diese Pfiffe jedoch am Sonntagabend in Köln angesichts der gezeigten Leistung des DFB-Teams in der ersten Halbzeit völlig berechtigt waren, das hat ein Bundestrainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft einfach einmal zu akzeptieren. Denn wie sagte der Kölner Präsident einst so richtig: "Wenn wir so weiterspielen, haben wir bald kein Publikum mehr." Und dann hätte nicht nur Julian Nagelsmann noch ganz andere Probleme.
Quelle: ntv.de