
Otto Rehhagel und sein Schützling Thorsten Legat.
(Foto: picture alliance / dpa)
Er ist eine der schillerndsten und prägendsten Figuren des deutschen Fußballs. Selbst seine Mutter sagte über Otto Rehhagel, dass er ein "Kind der Bundesliga" sei. Mit dem 1. FC Kaiserslautern schaffte er das Wunder als Aufsteiger Deutscher Meister zu werden und mit Griechenland holte er den EM-Titel. Dennoch gibt es eine Menge Leute, die "König Otto" fürchten.
"Alles, was Sie im Kopf haben, weiß ich, bevor Sie es ausgesprochen haben." Otto Rehhagels Verhältnis zu Journalisten ist bis heute als angespannt zu bezeichnen. Doch damals, als er diesen Satz auf einer Pressekonferenz zu einem Medienvertreter sagte, stand er kurz vor seinem wahrscheinlich größten Triumph - dem Gewinn der Europameisterschaft mit Griechenland. Die Tage nach dem Titelgewinn zählen zu den schönsten im Leben des gebürtigen Esseners. Damals schrieb das Magazin "Goal": "Der neue Zeus heißt Otto." Und Rehhagel selbst registrierte mit einem Lächeln die Vorzüge seiner neuen Popularität: "Außerdem darf ich schon mal über die Busspur mit meinem Auto fahren."
Rehhagel selbst hat sich immer gern als "Kinder der Bundesliga" bezeichnen. Und tatsächlich hat "König Otto" als Spieler und Trainer den deutschen Fußball maßgeblich (mit-)geprägt. Als er am Ende der Saison 2011/2012 noch einmal für einige Partien bei der Berliner Hertha als Trainer aushalf, schrieb der "Spiegel": "Vor seinem ersten Spiel, kürzlich in Augsburg, tippelte er mit schwarzer Aktentasche und halb geschlossenen Augen durch die Katakomben, er fand anfangs die Kabine der Hertha nicht. Er strich den Ballkindern über den Kopf, wie das Opis mit ihren Enkeln machen. Dabei sah er nicht aus wie jemand, der kommende Woche den Bundespräsidenten wählen darf. Er sah aus wie der Präsident selbst."
Oder wie ein alternder Monarch, der einfach nicht die Finger von seinem Lieblingsspielzeug lassen kann. Und selbst heute, im fortgeschrittenen Rentenalter, kann man sich manchmal des Eindrucks nicht erwehren, dass Rehhagel immer noch gerne im Bundesliga-Getümmel mitmischen würde.
"Bin ein Produkt made in Germany"
Früher hat sich der gebürtige Essener einmal einem staunenden Journalisten so vorgestellt: "Ich, Otto Rehhagel, ein Produkt made in Germany". Und auf Nachfrage ergänzte er: "Ein Spruch gehört zum Fußball, aber ich bin kein Sprücheklopfer. Ich verkaufe Fußball made in Germany. Das heißt, bei mir wird anständig trainiert, gearbeitet und erzogen." Das war im Jahr 1984. Genau zwanzig Jahre später feierte er den sensationellen Gewinn der Europameisterschaft mit Griechenland.
Dabei wollte Otto Rehhagel eigentlich immer nur eins: Raus aus der Arbeitersiedlung mit Etagenklos. Denn für den ersten Feuerwehrmann der Bundesliga ("Red Adair des Fußballs", "Kicker" im Jahr 1978) stand fest: "Ich wollte nie wieder zum Scheißen aus der Wohnung rausgehen." Dafür tat Otto Rehhagel fast alles. Der "Stern" betitelte einmal eine Story über ihn mit den Worten: "Keule kloppt sich hoch".
Schon als Spieler kannte der Essener Junge keine Freunde auf dem Platz. Herthas Zoltan Varga beschwerte sich nach einem Spiel seiner Berliner auf dem Betzenberg bitterlich über den Kaiserslauterer Verteidiger Rehhagel: "So etwas habe ich noch nie erlebt. Härte soll sein, damit muss jeder Stürmer rechnen. Aber Rehhagel hatte es nur darauf abgesehen, mich zu foulen. Sollte ich mich revanchieren? Das liegt mir nicht. Ich habe den Schiedsrichter fast angefleht, etwas zu unternehmen und nicht nur Freistöße zu verhängen. Er hat mich ermahnt, den Mund zu halten. Rehhagel nannte mich ›ungarisches Schwein‹ und sagte, ich wäre nur nach Deutschland gekommen, um Geld zu kassieren. Ich kann gar nicht alles wiedergeben, was er mir an den Kopf warf. Fünfmal hat er mich angespuckt. Der Schiedsrichter stand daneben, aber er unternahm nichts."
"Otto, das kostet aber drei Bier und drei Korn"
Das lag vermutlich an dem guten Verhältnis, das Rehhagel zu dieser Zeit mit den Männern in Schwarz pflegte. Otto Rehhagel kann sich gut an eine Geschichte von damals erinnern: "In einem Heimspiel am Betzenberg hatte ich mir schon einige Fouls erlaubt. Als ich meinen Gegenspieler erneut von den Beinen holte, dachte ich: Jetzt fliegst du vom Platz. Doch zum allgemeinen Erstaunen gab Ohmsen nur Freistoß gegen uns. Wenige Minuten später kam er zu mir und flüsterte mir leise ins Ohr: ›Otto, das kostet aber drei Bier und drei Korn.‹ Die habe ich ihm nach dem Spiel gerne ausgegeben."
Die Anfänge als Trainer waren anschließend nicht ganz so glücklich, obwohl sein Spieler Erwin Kostedde schon damals voll Pathos verkündete: "Unter Otto ist mir auf dem Spielfeld kein Weg zu weit!" Doch mit den Schiedsrichtern lief es nicht mehr rund. In der Saison 1975/76 verlor Otto Rehhagel sogar einmal richtig die Nerven. Der junge Trainer der Offenbacher Kickers litt unter den Misserfolgen seines Vereins. Nach drei hohen Niederlagen in Folge - 2:6 in Duisburg, 0:4 gegen RW Essen und 1:5 beim VfL Bochum - traf man auf den Lokalrivalen aus Frankfurt. Zwar bezwang Offenbach am Ende die Eintracht mit 2:1, doch nach einem Platzverweis für Manfred Ritschel in der sechsten Spielminute war Rehhagel während der gesamten Begegnung nicht mehr zu beruhigen.
In der Halbzeitpause rannte er bereits zu Schiedsrichter Walter Eschweiler und fragte ihn wütend, ob er bestochen sei. Eschweiler meldete den Vorfall nach Spielschluss in seinem Bericht an den DFB, und der lud Rehhagel wenige Wochen nach seiner ersten Sperre (ein Monat Pause, weil er seinem Abwehrspieler Armand Theis, ebenfalls in einem Spiel gegen die Eintracht, zugerufen hatte: "Tritt dem Hölzenbein doch in die Knochen") erneut vor. Eigentlich verlief der Prozess günstig für den Offenbacher Trainer, bis sein eigener Vizepräsident vor dem DFB aussagte.
"Nicht für die Feinheiten empfänglich"
Waldemar Klein erklärte, dass ihm der Linienrichter Porta nach dem Spiel erzählt habe: "Wenn ich alles zur Anzeige bringen würde, was der Rehhagel gesagt hat, dann würde das eine Sperre auf Lebenszeit bedeuten." Nun musste auch Porta aussagen und schnell stand das Urteil fest: Rehhagel wurde zu einer zweimonatigen Sperre verurteilt und musste 5.000 Mark Strafe zahlen. Das war zu viel für die Kickers, und sie feuerten ihren überengagierten Trainer fristlos.
Damals sagte Günter Netzer über Rehhagel: "Ich sehe ihn auf der Trainerbank so, wie er auf dem Spielfeld aufgetreten ist. Er ist wohl nicht für die Feinheiten des Fußballs empfänglich, die im Grunde erst die großen Mannschaften ausmachen." Als Trainer-Neuling sagte Rehhagel noch: "Ich gestatte jedem Spieler gewisse Freiheiten im Privatleben und auf dem Spielfeld, um seine Persönlichkeit zu entfalten. Nur so kann er seine Fähigkeiten auch optimal zum Ausdruck zu bringen."
"Das heißt: Sie müssen heiraten!"
Davon wollte er später allerdings nichts mehr wissen. Als der VfL-Profi Thorsten Legat zu Werder Bremen wechselte, hatten Rehhagel und seine Frau und ständige Beraterin Beate beschlossen, dass der junge Mann zu heiraten habe. Rehhagel: "Herr Legat, wenn Sie sich hier durchsetzen wollen, dann müssen Sie kühlen und klaren Kopf bewahren. Um keine Probleme zu kriegen, müssen Sie sich nur auf Fußball konzentrieren. Das heißt: Sie müssen heiraten!" Legat dachte an einen Scherz. Er war ja schließlich erst 23 Jahre jung und wollte eigentlich noch gar nicht den Bund der Ehe eingehen. Doch Otto und Beate kannten kein Pardon. Und Legat heiratete.
Mario Basler genoss eine andere, aber für Rehhagel sehr typische Sonderbehandlung zu seinen Bremer Zeiten. Weil er ein Loch in der Leiste hatte und eigentlich operiert werden musste, ordnete der damalige Werder-Coach spontan für Basler an: "Sie trainieren ab sofort nur freitags. Samstags spielen Sie. Den Rest der Woche haben Sie frei." Praktischer Nebeneffekt dieser speziellen Extrawurst für Basler: Jeder im Team wusste ab sofort immer genau, wann Freitag ist - und das ohne in den Kalender schauen zu müssen.
- Ben Redelings ist ein Bestseller-Autor und Komödiant aus dem Ruhrgebiet.
Jüngst ist das Buch "Ein Tor würde dem Spiel guttun. Das ultimative Buch der Fußball-Wahrheiten" frisch in einer aktualisierten und erweiterten Neuauflage erschienen!
Mit seinen Fußballprogrammen ist er deutschlandweit unterwegs. Infos & Termine auf www.scudetto.de.
Der heutige Vorstand von Fortuna Düsseldorf, Klaus Allofs, erinnert sich noch gerne an seine Bremer Zeit unter Trainer Rehhagel zurück: "Der hat immer zu den Spielern gesagt: ›Jungs, wenn ihr Tabellenführer seid, gibt's nur eins: rauf aufs Sofa, Bier auf, Fernseher an, ARD-Videotext Tafel 253, die Tabelle angucken und den ganzen Abend anlassen - und dann nur noch genießen.‹"
"So enden alle Karrieren, in denen es um viel Geld geht"
Die Werder-Fans ließen ihren Coach nach 14 erfolgreichen Jahren nur ungern nach München zu den Bayern ziehen. Sie schrieben traurige Verse an ihren scheidenden Trainer: "Otto bleib in Deinem Revier / die Lederhose passt nicht zu Dir! / Wie konntest Du Dich nur verkaufen / und zu den Bayern überlaufen / in Bremen warst Du Dein eigener Herr / in München bist Du das nicht mehr." Die Zeit bei den Bayern würde Otto Rehhagel vermutlich gerne aus seiner Vita streichen - doch kurz darauf gelang es ihm, sich für die Demütigungen in München zu revanchieren. Mit dem 1. FC Kaiserslautern holte er als Aufsteiger 1998 die Deutsche Meisterschaft. Ein weiterer sensationaller Triumph, den sie ihm ganz besonders bei den Bayern nicht zugetraut hatten.
Irgendwann gegen Ende seiner aktiven Laufbahn sagte Rehhagel einmal: "Am Anfang war ich ein Vulkan, jetzt bin ich ein Diplomat. So enden alle Karrieren, in denen es um viel Geld geht." Heute feiert Otto Rehhagel seinen 85. Geburtstag. Alles Gute und Glück auf, lieber "König Otto" aus dem Ruhrgebiet!
Quelle: ntv.de