Fußball-WM 2018

Gretchenfrage um Kapitän Lahm Löw steht plötzlich vor einem WM-Puzzle

Der deutsche Kapitän agiert bei der WM ungewohnt fahrig. Löw muss sich die Frage gefallen lassen, ob Philipp Lahm als Außenverteidiger nicht besser aufgestellt ist.

Der deutsche Kapitän agiert bei der WM ungewohnt fahrig. Löw muss sich die Frage gefallen lassen, ob Philipp Lahm als Außenverteidiger nicht besser aufgestellt ist.

(Foto: imago/Moritz Müller)

Gegen Portugal hat Joachim Löws WM-Matchplan blendend funktioniert, gegen Ghana ist er an seine Grenzen gestoßen. Das dürfte Löw zu denken geben - und nachdenken dürfte er vor allem über Philipp Lahm.

Seit acht Jahren trainiert Joachim Löw die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Inzwischen ist bekannt: Er ist ein Mann mit Prinzipien. Das betrifft seine Haare ("Style ich nie"), Damenbesuch auf dem Spielerzimmer, seine Spielidee. Hat sich Löw einmal auf Taktik und Personal festgelegt hat, rückt er ungern davon ab. Das könnte sich nun bei der Weltmeisterschaft in Brasilien ändern. Nach dem 2:2 gegen Ghana im zweiten Gruppenspiel konstatierte Löw leicht mitgenommen: "Das war nicht unbedingt so geplant."

Zu seinen Ideen für die WM in Brasilien gehörte, nur einen Stürmer zu nominieren, Kapitän Philipp Lahm vom Rechtsverteidiger zum defensiven Mittelfeldspieler umzuschulen und dahinter eine Abwehrkette aus vier Innenverteidigern zu bilden. Idee eins ist nicht mehr revidierbar. Idee zwei und drei haben zum Auftakt gegen Portugal gut funktioniert, auch wenn sich der Spielverlauf dem Löw’schen Matchplan angepasst hatte. Nach dem vogelwilden Remis gegen Ghana aber, als Deutschland erst nicht ins Spiel fand und dann gemeinsam mit dem Gegner Ordnung, Disziplin und Kontrolle über Bord warf, steht die Frage im Raum: Wie tragfähig ist die Spielidee des Bundestrainers? Auch wenn nachher nie alles schlecht sein kann, was kurz vorher noch gut war - überdenken wird er vor allem drei Varianten:

1. Lahm zurück auf rechts

Vier Vorstopper in der Viererkette, das klingt für ein flexibles Tempofußballteam altmodisch - und war es gegen Ghana auch. Was gegen dezimierte Portugiesen kaum auffiel, wurde gegen Ghana offensichtlich: Es fehlt an Offensivdruck über die Außenverteidiger. Benedikt Höwedes links sowie Jerome Boateng und Shkodran Mustafi rechts bleiben Innenverteidiger. Im Vorwärtsgang haben sie kein internationales Format. Löw betonte zwar: "Man kann bei diesem Turnier nicht davon ausgehen, ständig in der Offensive zu sein. Eine stabile Defensive ist die Basis." Die Abwehr erwies sich gegen Ghana aber als zu defensiv.

Mit den Dortmundern Erik Durm und Kevin Großkreutz stehen zwar zwei der besten Außenverteidiger der Bundesliga-Saison im Kader. Doch Löw traut ihnen die WM offenbar nicht zu. Bleibt als Lösung, Lahm wieder auf der rechten Außenposition einzusetzen. Links wäre er zwar noch wertvoller, da Boateng seine Sache rechts deutlich besser macht als Höwedes links. Linksverteidiger aber, hat Lahm gesagt, will er nicht wieder spielen. Eine Versetzung wäre auch deshalb nicht unproblematisch, weil Lahm sich im Mittelfeld wie beim FC Bayern neuerdings sehr wohlfühlt. Da Boateng für das Gruppenfinale gegen die USA am Donnerstag in Recife auszufallen droht, könnte Löw sie aber als Dienst an der Mannschaft verkaufen. Boatengs Pech könnte Löw hier zu seinem Glück zwingen - wenn der Kapitän nicht meutert. Lässt Löw doch einen Dortmunder ran, dann eher Großkreutz als Durm.

2. Mittelfeldzentrale mit Schweinsteiger stärken

Es muss für den Bundestrainer frappierend gewesen sein, dass sich das zentrale Mittelfeld gegen Ghana als zentrale Schwachstelle erwies. Normalform erreichte nur Toni Kroos. Beim Versuch, das Spiel zu ordnen und die Überzahlsituationen gegen das ghanaische 4-4-2-System auszunutzen, wurde er aber vom konditionell und physisch überforderten Sami Khedira ebenso im Stich gelassen wie von Kapitän Lahm. Der verlor zwar keinen Zweikampf, leitete mit einem seiner ungewohnten Fehlpässe aber das Gegentor zum 1:2 ein. Dass Lahms Technik zu gut für den harten Rasen in Fortaleza gewesen sei, wie Löw als Erklärung für die ungewöhnlichen Fehler anführte, klang wenig überzeugend. Auch der Bundestrainer dürfte bemerkt haben: Der vermeintliche Alleskönner fremdelt in Brasilien bislang auf seiner im DFB-Team neuen Position. Als Rechtsverteidiger war er wertvoller.

Bei Löws Lieblingsmittelfeldspieler Sami Khedira zeigte sich, dass er sieben Monate nach seinem Kreuzbandriss zwei intensive Spiele binnen fünf Tagen noch nicht durchstehen kann. Khedira spielte zu oft zu ungenau, verlor mehr Zweikämpfe als er gewann und wirkte bei seiner Auswechslung komplett erschöpft. Zudem zog sich Khedira eine Knieblessur zu. Aber auch ohne Verletzung: Als Startelf-Alternative hat sich Bastian Schweinsteiger förmlich aufgedrängt. Er könnte Khedira eine Verschnaufpause verschaffen und Lahm als Autoritätsperson im zentralen Mittelfeld entlasten. Oder gemeinsam mit Khedira die eingespielte Doppelsechs bilden und Löw die Möglichkeit geben, Lahm in die Abwehr zu rücken. Gegen die Variante mit Schweinsteiger und Khedira spricht, dass beide nicht 100-prozentig fit sind - und Löw damit keine adäquate Wechselmöglichkeit im defensiven Mittelfeld hätte. Für Schweinsteiger spricht, dass er neben strategischem Geschick auch die nötige Robustheit mitbringt, die dem DFB-Team in der Zentrale gegen Ghana fehlte. Die Variante Schweinsteiger für Khedira und Lahm in der Abwehr bleibt unwahrscheinlich. Dann müsste Löw auch seine neue taktische Grundordnung des 4-3-3 aufgeben.

3. Klose als echte Spitze

Im Angriff lief es im deutschen Team bisher ordentlich, weil Thomas Müller gegen Portugal den Gerd in sich entdeckte. Sechs Tore in zwei WM-Spielen, damit kann Joachim Löw zufrieden sein. Und trotzdem: Als mit Miroslav Klose gegen Ghana erstmals bei diesem Turnier ein echter Stürmer ins deutsche Spiel kam, fiel nicht nur prompt ein Rekordtor. Die DFB-Elf war auch präsenter im gegnerischen Strafraum. Spricht das für einen Wechsel? Bedingt. Auch bei Klose stellt sich angesichts seiner 36 Jahre, einer von Verletzungen geprägten Saison inklusive WM-Vorbereitung und der erneut heißen Temperatur in Recife die Frage, wie fit er ist. Zumal: Einen Joker für Klose hat Löw nicht. Und: Zuletzt hat sich Klose zweimal als Top-Joker erwiesen, gegen Armenien und gegen Ghana. Diese Rolle dürfte er auch gegen die USA übernehmen. Wobei von Joachim Löw in seinen acht Jahren als Bundestrainer auch bekannt ist: Ab und zu ist er für Überraschungen gut. Aus Prinzip.

Quelle: ntv.de

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