Der WM-Check, Gruppe F Super-"Gauchos" gegen drei Underdogs
10.06.2014, 10:46 Uhr
Argentinische Superstarparade: Lionel Messi, Angel Di Maria und Sergio Aguero.
(Foto: REUTERS)
Bald geht es los, die Fußball-WM in Brasilien beginnt am 12. Juni. Wer kann was? Wo liegen die Stärken, wo die Schwächen der jeweiligen Mannschaften? Wir nehmen die WM-Teilnehmer unter die Lupe. Heute: die Gruppe F mit Argentinien, Bosnien-Herzegowina, Iran und Nigeria.
Argentinien
2010 reisten die "Gauchos" mit dem schillernden Diego Maradona als Trainer nach Südafrika und erlitten im Viertelfinale spektakulär Schiffbruch gegen Deutschland. Vier Jahre später soll es kein Held vergangener Tage, sondern der unscheinbare Alejandro Sabella richten. Ihm zur Verfügung steht eine der besten Offensiv-Abteilungen der Welt. Mit Messi & Co. sowie den enthusiastischen Fans im Rücken ist nichts weniger als der WM-Titel im Land des Erzrivalen das Ziel.
Gegnerischen Abwehrreihen steht beim Blick auf die geballte Angriffswucht der "Albiceleste" der kalte Angstschweiß auf der Stirn: Angel di Maria, Lionel Messi, Ezequiel Lavezzi, Sergio Aguero, Gonzalo Higuain - Sabella kann aus einem schier unerschöpflichen Reservoir schöpfen. Dabei konnte er es sich sogar leisten, mit Carlos Tevez auf einen Weltklasseangreifer zu verzichten. In der Südamerika-Qualifikation marschierte Argentinien souverän als Erster durch. Das Quartett Messi (10), Higuain (9), Aguero (5) und Lavezzi (3) erzielte alleine 27 der 35 Treffer.
Während das Toreschießen also quasi ein Selbstläufer ist, muss Sabella die Herkulesaufgabe bewältigen, eine schlagkräftige und vor allem taktisch disziplinierte Defensive auf den Platz zu bringen. Im Abwehrverbund gibt es einige Baustellen: Schlüsselspieler Javier Mascherano hat auf der Sechs regelmäßig Probleme gegen schnell und überfallartig angreifende Gegner. Innenverteidiger Federico Fernandez ist in Neapel kein unumstrittener Stammspieler, Ex-Bayern-Profi Martin Demichelis derzeit angeschlagen und Keeper Sergio Romero Bankdrücker in Monaco. Doch auch hier stehen Sabella mit Pablo Zabaleta von Manchester City oder den von den Bayern umworbenen Ezequiel Garay (Benfica) absolute Top-Leute zur Verfügung.
Alles andere als der Gruppensieg der "Albiceleste" wäre eine faustdicke Überraschung. Auf dem weiteren Weg ins Finale können die Argentinier eigentlich zur zwei Dinge bremsen: Sollte Messi - wie einige Male in der abgelaufenen Saison - neben der Spur sein, verfällt auch das argentinische Angriffsspiel plötzlich in eine Lethargie. Und dann ist da noch Deutschland. Im Viertelfinale könnte es zur Neuauflage des Klassikers gegen den Angstgegner kommen …
Bosnien-Herzegowina
21 Jahre nach der Unabhängigkeit hat sich Bosnien-Herzegowina erstmals für eine WM qualifiziert. In Brasilien geht es für die Auswahl von Trainer Safet Susic gleich mit einem richtigen Knaller los: gegen Argentinien. Im Maracana. "Wir haben das erste Spiel in Rio im Finalstadion", kann es Sejad Salihovic von 1899 Hoffenheim kaum fassen.

Mehr Bundesliga geht kaum: Emir Spahic, Sejad Salihovic und Vedad Ibisevic mit den "Ehemaligen" Edin Dzeko und Zvjezdan Misimovic.
(Foto: imago sportfotodienst)
Während Bosnien-Herzegowina beim Auftakt also der klare Außenseiter ist, sieht die Rollenverteilung bei den weiteren Gegnern Iran und Nigeria schon ganz anders aus. Angeführt von Edin Dzeko, der ManCity zum erneuten Titel in der Premier League schoss und mit 10 Toren Europas bester Schütze in der WM-Quali war, sowie dem Römer Miralem Pjanic ist bei der ersten WM-Teilnahme gleich das Achtelfinale drin. Dort wartet mit dem Sieger der Gruppe E (vermutlich Frankreich oder Schweiz) ebenfalls keine unlösbare Aufgabe. "Wenn wir schon die Chance haben, eine WM zu spielen, dann wollen wir auch so weit kommen, wie es möglich ist", wittert der Schalker Sead Kolasinac die Chance auf eine Überraschung.
Neben Salihovic und Kolasinac stehen mit Vedad Ibisevic (Stuttgart), Emir Spahic (Leverkusen), Ermin Bicakcic (Braunschweiga, ab der neuen Saison: Hoffenheim), Mujdza (SC Freiburg) und Torwart Fejzic (Aalen) noch weitere Deutschland-Legionäre.
Dass mit den Südost-Europäern in Brasilien zu rechnen ist, zeigten sie mit Testspielsiegen gegen die WM-Teilnehmer Mexiko (1:0) und Elfenbeinküste (2:1). Susic ist es gelungen, aus dem unzweifelhaft großen individuellen Potenzial ein funktionierendes Kollektiv zu bilden. "Wir sind bereit für das Turnier", so Dzeko.
Iran
Der Iran gehört sicherlich zu den spannendsten Teams bei der WM. Das liegt aber nicht unbedingt an der spielerischen Klasse, sondern viel mehr an dem Fakt, dass so wenig bekannt ist über die Mannschaft aus Vorderasien. Dabei ist das 78-Millionen-Einwohner-Land schon zum vierten Mal bei einer WM-Endrunde vertreten. Zum Einzug in die K.o.-Phase hat es jedoch noch nie gereicht.
Star des Teams ist der Trainer: Carlos Queiroz war 2003/04 Trainer von Real Madrid und von 1991 bis 1993 sowie zwischen 2008 und 2010 portugiesischer Nationalcoach. Schon seit 2011 zeichnet sich der in Mosambik geborene 61-Jährige für die iranische Nationalmannschaft verantwortlich. Unter seiner Führung qualifizierte sich der Iran souverän als Gruppenerster für die WM. Queiroz setzt vor allem auf eine stabile Defensive. In 8 Quali-Spielen kassierte der Iran gerade einmal 2 Gegentore. 8 geschossene Tore stehen aber auch nicht unbedingt für Glanz und Gloria im Angriff.
Vor dem Abflug nach Sao Paolo wurde die Mannschaft um Daniel Davari (Braunschweig) und dem Ex-Wolfsburger Ashkan Dejagah (Fulham) feierlich verabschiedet - entgegen aller Euphorie in der Heimat waren die Leistungen vor der WM aber wenig vielversprechend. Im Trainingslager in Österreich gab es trotz der zweitklassigen Gegner Weißrussland, Montenegro und Angola nur drei Unentschieden.
"Unsere Erwartungen sind enorm, weil wir sehr viel gearbeitet und gelitten haben, um bei den besten Mannschaften der Welt dabei zu sein", sagte Queiroz. Im vierten Anlauf soll es endlich klappen mit dem Achtelfinal-Einzug: "Kann sein, dass es ein unrealistischer Traum ist, aber der Fußball beruht auch auf unrealistischen Träumen." Gespannt sein darf man vor allem auf Sardar Azmoun. Der 19-Jährige startete in der abgelaufenen Saison bei Rubin Kazan in der russischen Premier Liga durch und wird in seiner Heimat als "iranischer Messi" gefeiert. Neben dem FC Arsenal sollen auch der FC Barcelona, Liverpool, Juve und Milan heiß auf Azmoun sein.
Nigeria
Die "Super Eagles" treten am Zuckerhut mit dem Geist von 1994 an. "In meiner aktuellen Mannschaft stecken Elemente dieses Teams", zieht Trainer Stephen Keshi Parallelen zur schillernden Auswahl bei der WM in den USA um Jay Jay Okocha und Nwankwo Kanu. Sein Plan für Brasilien ist ganz einfach: "Bis zum Ende des Turniers ein Spiel nach dem anderen gewinnen." 1994 und auch 1998 scheiterte Nigeria jeweils erst im Achtelfinale.
Keshi hat dem Team eine Verjüngungskur verordnet. Die Erfolge bestätigen seinen Kurs: Vergangenes Jahr triumphierte Nigeria beim Afrika-Cup 2013 und schaffte über Äthiopien (2:1 und 2:0) die WM-Qualifikation. Schlüsselspieler ist John Obi Mikel vom FC Chelsea. Ohne ihn fehlt dem nun fünfmaligen WM-Teilnehmer Ordnung und Präzision im Mittelfeld. Unterstützung soll er von Lazio Roms Ogenyi Onazi erhalten. Gespannt darf man auch auf den wuchtigen Stürmer Emmanuel Emenike von Fenerbahce und Liverpools Victor Moses sein. Auch Schlussmann Vincent Enyeama hat schon mehrfach bewiesen, dass er zu großen Taten fähig ist.
Doch wie so häufig verlief die Vorbereitung chaotisch. Manipulationsvorwürfe rund um das Testspiel gegen Schottland sowie um Onazi, der von einem Spielerberater kontaktiert worden soll, um Spiele bei der WM zu verschieben, überschatteten die letzten Wochen. Doch Keshi, der Unruhe wegen Streits mit der Verbandsspitze um Spielernominierungen oder Prämien gewohnt ist, ficht das alles nicht an. "Ich bin ein optimistischer Mensch. Ich denke kaum über Negatives nach."
Quelle: ntv.de, sport.de