Tischtennis-Team im Halbfinale 18-Jährige führt Deutschland zu tränenreichem "Wunder"
07.08.2024, 13:08 Uhr
Tränen nach dem geschafften "Wunder".
(Foto: REUTERS)
Die deutschen Tischtennis-Herren bleiben bei den Olympischen Spielen weit hinter den Erwartungen. Ganz anders als die Damen: Das Team erreicht gegen Indien das Halbfinale und kämpft nun um Medaillen. Trotz großem Verletzungspech und dank Annett Kaufmann.
Frankreich bestaunt und feiert sein Wunderkind Felix Lebrun. Der 17-Jährige mischt die Tischtennis-Welt mit seinem angriffslustigen Spiel auf und scheint geboren, die ewige Dominanz der Chinesen zu brechen. In der Rangliste ist er jetzt schon der beste Spieler, der nicht aus dem Reich der Mitte kommt. Um solch eine Helden-Story für Deutschland zu schreiben, ist es noch ein wenig zu früh, aber mit Annett Kaufmann steht plötzlich jemand an der olympischen Platte, die eine ganz Große werden kann. Mit zwei spektakulären Siegen gegen die favorisierten Inderinnen im Einzel macht die 18-Jährige das Halbfinale für ihr ersatzgeschwächtes Team klar.
Deutschland kämpft nun um eine Medaille. Bereits am Donnerstag geht es gegen Japan. Die Aufgabe wird um ein Vielfaches schwerer. Der nächste Gegner ist mit Topspielerinnen gespickt und an Position zwei gelistet, hinter, wie könnte es anders sein, den Dominatorinnen aus China. Aber schon jetzt haben die Frauen geschafft, was den enttäuschenden Männern viel eher zugetraut worden war. Diese waren beim Abschied von Legende Timo Boll am Dienstagabend gegen Schweden chancenlos gescheitert (0:3) und waren auch im Einzel früh rausgeflogen. Die Frauen dagegen entwickelten aus dem Verletzungspech vor und während des Turniers - die Topspielerinnen Ying Han und Nina Mittelham fielen aus - eine kämpferische Mentalität, es der Welt zeigen zu wollen.
Und diese Bühne nutzte vor allem Kaufmann für sich. In der Weltrangliste ist sie noch auf Platz 100 gelistet. Doch das wird nicht mehr lange so bleiben. Nicht, wenn sie so spielt wie derzeit in Paris. Mit ihrem bemerkenswerten Mut, ihrer Unbekümmertheit und ihren präzisen Angriffen entzaubert sie ihre Gegnerinnen. Phasenweise spielt sie gegen Indien sensationelles Tischtennis. Vor allem im letzten Duell mit der Weltranglisten-22. Sreeja Akula. Die konnte beim 11:6, 11:6, 11:7 gar nicht so schnell gucken, wie ihr der Ball um die Ohren flog. Kaufmann spielte nicht nur clever, sondern vor allem aggressiv. Immer wieder ging sie in die Offensive, platzierte die kleine Kugel nah an die Kanten. Das war keine zermürbende Defensivtaktik, sondern furiose Attacke.
Dass sie so gut spielen kann mit 18"
Eigentlich war die Matchwinnerin gar nicht für die Spiele eingeplant gewesen. Erst durch die dramatische Verletzung von Ying Han, der 41 Jahre alten Abwehrspezialistin, die sich kurz nach ihrem Comeback wieder an der Achillessehne verletzt hatte, rutschte sie ins Aufgebot. Gleiches galt für Yuan Wan, die die Spitzenspielerin Mittelham ersetzte, die im Einzel ein großes Drama erlebte. Sie musste mit einer Bandscheibenverletzung aufgeben. "Insbesondere für Nina, aber auch für unser Team, ist das sehr bitter", hatte DTTB-Sportdirektor Richard Prause gesagt und darf daher besonders stolz auf die Leistung des "Ersatzteams" sein.
In einem umkämpften Doppel hatten zunächst Yuan Wan und Xiaona Shan (11:5, 8:11, 12:10, 11:6) gegen Archana Girish Kamath und Sreeja Akula den ersten Punkt für Deutschland geholt. Dann sorgte Kaufmann gegen Manika Batra, die Nummer 25 der Welt, für das erste Ausrufezeichen (18:11, 11:5, 11:7, 11:5), ehe das zweite nach einer wilden Niederlage von Xiaona Shan gegen Kamath folgte. Bereits beim Zittersieg gegen die USA in der Runde zuvor hatte die 18-Jährige zwei Siege beigesteuert. Sie ist in Paris weiter ungeschlagen. "Annett ist ein Wunder, wirklich. Sie ist zum ersten Mal bei Olympia. Dass sie so gut spielen kann mit 18", staunte die 41 Jahre alte Shan Xiaona, die ebenfalls, wie Mittelham, schwer von einer Bandscheibenverletzung beeinträchtigt ist.
"Ein Wunder, dass wir im Halbfinale sind"
Und nachdem sie nun ihren Matchball ebenfalls mit Mut und einem aggressiven und präzisen Vorhand-Angriff gesetzt hatte, riss sie die Arme nach oben, rannte ungläubig in die Arme ihrer weinenden Teamkolleginnen. Die dicke Überraschung war perfekt. Erstmals seit der WM 2016 schnitten damit die deutschen Frauen besser ab als die deutschen Männer. Damals unterlag man dem nächsten Gegner Japan im Viertelfinale mit 0:3.
"Ich bin überwältigt und überglücklich, dass wir im Halbfinale stehen", sagte Kaufmann: "In meinen Einzeln war ich frech und selbstbewusst, habe versucht, an mich zu glauben, egal, was die Gegnerin macht. Das bin einfach ich, das ist mein Charakter, ich bin ein Fighter. Ich kann nur selbstbewusst. Wenn ich mit Angst reingehe, kann ich auch direkt die Hand geben." Bundestrainer Tamara Boros, die mit ihren glücklichen Spielerinnen weinte, als der "ganze Stress dieses Jahres" abgefallen war, lobte ihre Senkrechtstarterin mit einer großen Hymne: "Was Annett heute gespielt hat, war Weltklasse. Es ist ein Wunder, dass wir im Halbfinale sind."
Quelle: ntv.de, tno