Von der Drama Queen zum Helden Briten feiern Gold-Jungen Murray
06.08.2012, 16:03 Uhr
Grund zur Freude: Murray holt Einzel-Gold und Silber im Gemischten Doppel.
(Foto: dpa)
Vor acht Wochen war Tennisspieler Andy Murray eine Drama-Queen, ein verzogener Bengel, ein Schotte. Ein Wimbledonfinale und ein Gold-Match später ist er ein britischer Volksheld.

Handschlag der Finalisten: Roger Federer gratuliert Murray zum Olympia-Gold.
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In der unschuldigen Umarmung eines elfjährigen Schuljungen lagen Stolz und Dankbarkeit einer ganzen Nation. Henry Caplan aus Blackmore in der Grafschaft Essex bahnte sich auf dem Centre Court in Wimbledon den Weg durch die Massen und fiel Andy Murray um den Hals. Wenige Minuten später flatterte erstmals in der Geschichte des All England Clubs der Union Jack über dem heiligen Rasen - und Großbritannien hatte einen neuen Helden.
"Ein großer Brite ... in seiner stärksten Stunde", titelte die "Times" am Morgen nach Murrays goldenem Triumph über Roger Federer. Mit 6:2, 6:1, 6:4 hatte der 25-Jährige den Weltranglistenersten aus der Schweiz deklassiert und damit erfolgreich Revanche für die bittere Niederlage im Wimbledon-Finale genommen.
Momentum dank Fans
Die Nachricht vom ersten britischen Tennisgold seit 92 Jahren bahnte sich in Windeseile ihren Weg vom Centre Court auf der Anlage im Londoner Südwesten über den Henman Hill, der nun endgültig Mount Murray heißen dürfte, in die unterirdischen Schächte der Tube bis zum Olympic Park im Osten. "Achtung, Achtung: Andy Murray hat soeben das olympische Tennisturnier in Wimbledon gewonnen", hallte es aus den Lautsprechern, und wildfremde Menschen lagen sich in den Armen.
"Andy, durch dich fühlen wir uns stark", hatte ein Fan mit einem albernen rot-weiß-blauen Hut auf dem Kopf gerufen. Murray erwiderte die Liebe, die ihm von den Rängen entgegenschlug, mit großartigem Rasentennis, inspiriert vom britischen Goldrausch in den Tagen von London. "Die Unterstützung war bei allen Events unglaublich. Das Momentum, das unser Team in den vergangenen Tagen getragen hat, hat auch mir den letzten Schub gegeben", sagte Murray. Dass ausgerechnet Murray auf der Euphoriewelle des Teams GB durch die Olympischen Spiele surfte, war noch vor acht Wochen nahezu ausgeschlossen gewesen.
Vom mürrischen Murray zum Sieger der Herzen
Zwar war er in Britannien der einzige Hoffnungsträger seiner Sportart, doch wurde er eher geduldet als geliebt. Die letzte britische Wimbledonsiegerin Virginia Wade beschimpfte ihn bei den French Open in Paris als "Drama Queen", bei jeder Niederlage war er plötzlich nur noch "der Schotte". Murrays mürrisches Verhalten stieß den Briten auf, sie wünschten sich den ewigen Halbfinal-Verlierer Tim Henman zurück. Das Wimbledonturnier änderte die Stimmung auf der Insel grundlegend. Murray brach den Fluch und zog als erster Brite seit 74 Jahren ins Finale des wichtigsten Tennisturniers der Welt ein.
Zum ersten Sieg nach Fred Perry 1936 reichte es zwar wieder nicht, doch gewann Murray mit einer emotionalen, von Tränen erstickten Rede die Herzen der Fans. Auf einmal war er ein Champion - auch ohne Krone, wie der Guardian seinerzeit schrieb. Wimbledonsieger der Herzen zu sein, reicht Murray jedoch nicht, und schon im nächsten Jahr wird er im All England Club wieder an Fred Perrys Büste vorbeilaufen müssen. Dann werden die Olympischen Spiele nur noch eine Fußnote in der Turniergeschichte der "Championships" sein. "Ich würde gerne Wimbledon gewinnen, keine Frage", sagte Murray mit der Goldmedaille um den Hals und genoss den Moment: "Aber das hier fühlt sich auch gut an, das würde ich gerade gegen gar nichts eintauschen wollen."
Quelle: ntv.de, Cai-Simon Preuten, sid