Curling-Phänomen Thomas Ulsrud Das Fitnessmonster mit der Herzchenhose
20.02.2018, 09:38 Uhr
Herzallerliebst.
(Foto: imago/Bildbyran)
Als Curlingspieler ein Star zu sein - in Deutschland undenkbar. Nicht so in Norwegen. Thomas Ulsrud ist sportlich erfolgreich, weiß sich und seine Crew aber noch besser zu vermarkten. Der Hype entstand aus einem Missgeschick.
Thomas Ulsrud verbringt viel Zeit im Kraftraum. Sehr viel Zeit verwendet er dort auf seine Bauchmuskeln. Die "New York Times" schreibt, "er hängt kopfüber an einer Metallstange und quält sich mit sadistischen Crunches". Sein Oberkörper sei "zerklüfteter als ein norwegischer Fjord". Zu überprüfen ist das leicht. Der Norweger macht kein Geheimnis um seinen Muskel-Wahn. Er vermarktet ihn. Für einen Kalender ließen er und seine Crew sich vor Weihnachten in roter Unterwäsche fotografieren. Die Nachfrage war groß. Die Auflage ebenso. In seiner Heimat ist er extrem populär, eine Kultfigur - dabei ist Ulsrud "nur" ein Curler.
Curling ist in Skandinavien, anders als in Deutschland, zwar äußerst beliebt. Aber das weite Land hat viele Wintersporthelden. Der Sport steht in Konkurrenz zu den heiligen Langläufern um Marit Bjoergen und Johannes Hoestflog Klaebo. Beide haben bei den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang bereits eine Goldmedaille gewonnen. Da sind die Alpinen mit ihrem charismatischen Erfolgs-Duo Kjetil Jansrud und Abfahrtssieger Aksel Lund Svindal. Die Biathleten mit Fahnenträger Emil-Hegle Svendsen und Johannes Thignes Bö. Und die Skispringer mit ihren Superadlern um Zwirbelbart Robert Johansson. Sich in solch einem Feld als Curler zu behaupten - faszinierend.
Von der Notlösung zum Kultstück
Natürlich ist Ulsrud, der im Hauptberuf Berater ist, vor allem ein herausragender Sportler. Der 46-Jährige ist Weltmeister und Doppeleuropameister, hat bei den interkontinentalen Meisterschaften fünf Medaillen, bei den kontinentalen Wettkämpfen elf gewonnen. Und bei Olympia hat er sich Silber erkämpft, 2010 in Vancouver. Gefeiert wurden er und seine Crew damals aber nicht vorrangig für ihre Medaille, sondern für ihr extravagantes Outfit. Das trugen sie allerdings nur, weil es vor dem Turnier ein unerwartetes Kleidungsproblem gab: "Wir hatten unsere offiziellen Uniformen nicht erhalten", erinnert sich Ulsrud. "Da beschloss mein Teamkollege Christopher Svae spontan, die berühmte Harlekin-Hose im Internet zu kaufen. Wir haben sie erst nur zum Training getragen. Die Leute mochten sie aber."
Es war der Beginn eines Hypes. Aus der Verlegenheitslösung wurde sehr schnell eine lukrative Corporate Identity. Die "Norwegian Olympic Curling Team's Pants" haben eine Facebook-Seite mit fast 500.000 Fans. Das ausgeflippte amerikanische Modelabel Loudmouth, das auch den extrovertierten US-Golfer John Daly und den wohl noch extrovertierteren schottischen Darts-Profi Peter "Snakebite" Wright ausstattet, nahm die Ulsrud-Crew unter Vertrag. In Pyeongchang haben die Norweger sogar zwölf unterschiedliche Paar Hosen dabei. "Für jedes Spiel eine andere", erklärt Hosen-Hype-Initiator Svae.
Am Valentinstag trugen die Skandinavier beispielsweise ein rosa Outfit mit Herzen. Im Gangneung Curling Center wurden sie dafür lautstark abgefeiert. Ungewöhnlich laut. Denn Curling - das hat bei diesen Olympischen Winterspielen sonst eher einen meditativen Charakter. Das taktische Duell auf dem Eis mit Draws (gesetzten Steinen), Guards (Wächtersteinen) und Takeouts (wuchtigen und zielgenauen Abschüssen) wird hier geschätzt, die Halle ist oft ausverkauft, nicht aber so eskalierend begleitet wie beispielsweise Skeleton, Short-Track oder aber die Eishockey-Spiele des koreanischen Vereinigungsteams.
Alkohol und Kippen sind verschwunden
Svae, das Mastermind hinter den ungewöhnlichen Hosen, freut sich dennoch über das große Interesse - und die damit verbundene Werbung für seine Disziplin: "Viele Leute denken, wir haben gewonnen. Auch wenn wir es nicht getan haben, das ist gut. Und es zieht die Aufmerksamkeit auch junger Leute auf unseren Sport." Für die Zukunft des Curlings ist das mindestens genauso wichtig wie Ulsrud, das Oberkörpermonster mit der Herzchenhose, es bis hierher war. Er hat dem olympischen TV-Phänomen nicht nur das Extrovertierte gegeben, nicht nur die medienwirksame Aufmerksamkeit im dichten Programm der Spiele. Ulsrud steht mit seiner Kraftraumwut auch für die Professionalisierung des Sports. "Früher waren es ältere Leute, die Curling gespielt haben. Sie haben die ganze Nacht Bier getrunken", sagte Ulsrud der "New York Times", die ihm ein ausführliches Porträt gewidmet hat. "Das waren damals die besten Spieler."
Brian McWilliams, Cheftrainer der USA, erzählt: "Als ich 2006 angefangen habe, haben die Spieler nach dem fünften End (Anmerk. d. Red.: so einer Art Halbzeitpause) erstmal eine geraucht." Exzessiver Alkohol und Kippen sind längst verschwunden. In Vorbereitung auf die Spiele sollen sich fast alle Mannschaften ein brutales CrossFit-Programm auferlegt haben. Um mit dem legendären Kissenbesen beim Wischen mehr Druck auf das Eis zu bekommen, um also einen stärkeren Wasserfilm zu erzeugen. Um beim "Schießen" der 20 Kilo schweren Steine über die Dauer eines Spiels (bis zu 90 Minuten) nicht zu ermüden. "Wenn du ein Champion werden willst", sagt Ulsrud, "dann frag dich jeden Tag, ob du heute schon trainiert hast wie einer."
Beim "Schach auf Eis" geht es aber um mehr als Fitness. Strategie und Nervenstärke spielen eine herausragende Rolle: "Alles dreht sich ums Selbstbewusstsein. Man kann die beste Technik der Welt haben, aber wenn du nicht das Vertrauen in deine Stärke hast, triffst du den Schuss niemals", analysiert Ulsrud, der als Skip der Chefstratege seines Teams ist. Genau an diesem Mangel an Vertrauen scheint es im norwegischen Team allerdings derzeit zu hapern.
Am frühen Vormittag kassierten der Skip und seine Jungs eine 3:10-Klatsche gegen Großbritannien. Nach sieben von neun Spielen in der "Round Robin", der im "Jeder-gegen-jeden"-Modus gespielten Vorrunde, liegen die Norweger nur auf Rang fünf, mit erst drei Erfolgen sind sie bereits zwei Siege hinter Kanada, der Schweiz und eben Großbritannien. Um noch das Halbfinale zu erreichen und sich die Chance auf eine (letzte) olympische Medaille zu erhalten, braucht's mindestens Platz vier. Eher unwahrscheinlich. Schade um die ungetragenen Hosen.
Quelle: ntv.de