"Alles einfach weggeblasen" Erik Lesser hofft jetzt auf die letzte Chance

Erik Lesser will das Einzelergebnis vergessen machen.

Erik Lesser will das Einzelergebnis vergessen machen.

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Im Einzel liefert Erik Lesser eine enttäuschende Leistung: Platz 67 steht am Ende für den erfolgreichen Biathleten. Das wird Konsequenzen haben für ihn, glaubt der Routinier. Und hofft auf einen letzten großen Auftritt in der Paradedisziplin.

Erik Lesser ist einer der großen Medaillensammler im deutschen Olympia-Team: Dreimal stand der Biathlet seit 2014 bei Olympischen Spielen auf dem Podest, sieben WM-Medaillen liegen daheim in Oberhof. In Deutschland ist der 33-Jährige ein erfolgreicher Sportler, der wie wenige andere meinungsstark und pointiert vor Kameras tritt, selbst und gerade im Misserfolg. Zuletzt schimpfte er auf die in seinen Augen problematische Prämierung olympischer Medaillen, auch mit Olympia-Gastgeber China fremdelt er deutlich hörbar.

In Russland ist Lesser, der seit 2013 im Biathlon-Weltcup unterwegs ist, beinahe noch beliebter: "Aktuell explodiert mein Instagram-Account. Ich finde es krass und komisch, wie viele Leute da Anteil nehmen an einer für mich einfachen Geste", sagte der 33-Jährige, der seinen russischen Kontrahenten Eduard Latypow in der Corona-Not uneigennützig geholfen hatte. "Ich finde es schön, dass es honoriert wird, aber ein Viertel davon würde auch reichen", sagte Lesser nicht ganz ernst gemeint mit einem Augenzwinkern.

Vor seinem sechsten Platz im Sprint beim Weltcup in Ruhpolding folgten dem Thüringer in dem Sozialen Netzwerk 91.700 Fans. Inzwischen sind es mehr als 100.000 - und von den neuen Fans sind es fast nur russische. "Es ist leicht für mich, zu helfen. Es ist nichts Besonderes", schrieb Lesser an seine russischen Follower, bei denen er sich aber auch ausdrücklich bedankte. Nachdem Latypow zuvor beim Weltcup in der Vorwoche in Oberhof positiv auf das Coronavirus getestet worden war und zwei Wochen Quarantäne angeordnet wurden, hatte Lesser den Russen mit einem Fahrrad und einer Radrolle ausgestattet.

Desaster im Einzel

"Ich hatte nach dem Bekanntwerden dem russischen Fernsehen gesagt, sie sollen mein Angebot ans Team weitergeben. Die sind dann Sonntagabend bei mir vorbeigekommen und haben das abgeholt", berichtete Lesser nun beim Weltcup in Ruhpolding. Auch Schuhe und eine Hose habe er Latypow gegeben. "Einmal am Tag darf er zwei Stunden raus zum Trainieren. Bis nächste Woche Dienstag muss er noch durchhalten und ich hoffe, dass er die Zeit, so gut es ging, rumgebracht hat und trotzdem noch eine gewisse Form bis Peking konservieren kann", sagte Lesser.

In den Tagen von Peking erlebt der Routinier seinen Abschied von Olympia. 2014 in Sotschi war er erstmals Teil der deutschen Mannschaft - und gewann dort Silber mit der Staffel und Silber im Einzel. Im Einzel, dem traditionsreichsten Wettbewerb seines Sports, versagte Lesser nun acht Jahre später. Und der so erfolgreiche Sportler sorgt sich ums eigene Ende. Nach 20 ewigen Kilometern und völlig ungewohnten fünf Schießfehlern stand am Ende des olympischen Auftakts der Biathleten ein 67. Platz unter 92 Startern für den Thüringer. Mit 7 Minuten und 21 Sekunden Rückstand auf den Sieger Quentin Fillon Maillet. Der Russe Latypow, dem Lesser in Oberhof aus der Patsche geholfen hatte, wurde nach drei Schießfehlern dank einer starken Laufform noch Elfter.

Auch die Teamkollegen Benedikt Doll (6.) und Roman Rees (7.) waren in einer anderen Welt unterwegs. Der vierte deutsche Starter Johannes Kühn leistete sich sogar sechs Schießfehler, war aber als 51. noch über eine Minute schneller unterwegs. Enttäuschend, indiskutabel, ein Desaster.

Und weil er eben eine große Persönlichkeit ist, benannte der enttäuschte Lesser das selbst am klarsten. "Ich habe den 'schlechten' Tag am unpassendsten Tag erwischt. Bravo! Das war's dann wohl mit dem Sprint", schrieb der 33-jährige Thüringer auf Instagram vor dem Rennen am Samstag (10 Uhr MEZ/ARD und im Liveticker auf ntv.de). Er habe einen Tag gebraucht, um sich vom Rennen zu "erholen". Es sei "schwer zu realisieren, dass nach zwei Jahren Training, harter Arbeit und einer Familie zu Hause, die immer Rücksicht nahm, alles einfach weggeblasen wird".

Verzicht "überhaupt gar kein Problem"

Für den Sprint darf Bundestrainer Mark Kirchner wieder vier Athleten nominieren. Rees und Doll sind gesetzt, auch Philipp Nawrath dürfte zum Einsatz kommen. Bleibt noch ein freier Platz. Lesser glaubt nicht dran, dass er den besetzen wird - und hofft stattdessen auf "eine letzte Chance" in der Männer-Staffel (Dienstag, 10 Uhr). "Mit meiner Familie im Rücken und als Mitglied im besten Team der Welt, sollte ich stärker zurückkommen als zuvor", schrieb er. Lesser geht seit vielen Jahren als Startläufer für die DSV-Staffel ins Rennen, mit viel Routine, schnellem Schießen und großer vor allem mentaler Klasse übergibt Lesser das Team in aller Regel in einer aussichtsreichen Position an die Mannschaftskollegen. In Pyeongchang lief das deutsche Quartett zu olympischer Bronze. Es ist schlicht unvorstellbar, dass Erik Lesser nicht Teil des deutschen Teams sein wird. Eigentlich.

Zu Beginn der Spiele hatte Kirchner auf seinen Routinier verzichtet, sowohl in der Team-Mixed-Staffel als auch in der Single-Mixed-Staffel hatte der Bundestrainer anderen das Vertrauen geschenkt. Für Lesser war das "überhaupt gar kein Problem", wie er vor dem Einzel sagte. Nawrath, der die Mixed-Staffel auf Platz 5 ins Ziel brachte, "ist über sechs Kilometer unser Stärkster und sollte den Staffelauftritt als vierter Mann bei Olympia schon mal für die große Staffel spüren". "Klasse gemacht" hätten es alle, auch wenn es keine Medaillen gab. Er selbst hatte ein bisschen auf einen Start in der Single-Mixed-Staffel gehofft - oder aber eben auf den Einsatz im Einzel, wo er vor acht Jahren seine einzige Olympia-Medaille außerhalb der Staffel geholt hatte. "Ich weiß, dass im Einzel die Chancen sehr gut stehen, erfolgreich zu sein", sagte der Thüringer noch. Die Hoffnung endete im Desaster.

Bundestrainer Kirchner wird Erik Lesser dennoch als Startläufer für die Staffel nominieren, im Weltcup baute Kirchner das Team Lesser, Rees, Doll, Nawrath zur Olympiastaffel auf. Ein "schlechter Tag", selbst am unpassendsten Tag, wird daran nicht rütteln. Im letzten vorolympischen Weltcup-Rennen in dieser Besetzung fuhr das deutsche Quartett in Ruhpolding auf den zweiten Rang.

Siebenmal schob Lesser, der große Sportsmann, ein deutsches Team schon so an, dass am Ende eine große Medaille heraussprang. 2015 wurde das Quartett des DSV Weltmeister, 2014 und 2018 gab es olympische Medaillen. Teamplayer Lesser, der Lob gerne großflächig verteilt und sportliche Kritik lieber persönlich hält, ist verlässlich, auch wenn er noch nie zu den Schnellsten im Feld gehörte. Der Teamgedanke beflügelt, wo er manchen lähmt. Und beinahe das Wichtigste: Das Einzelergebnis zählt nicht mehr, wenn der Startschuss für die Staffel fällt.

Quelle: ntv.de

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