Rad-König toppt sogar Merckx "Grandioser" Evenepoel schreibt Olympia-Geschichte
04.08.2024, 06:59 Uhr
Evenepoel genießt den Olympiasieg.
(Foto: Dar Yasin/AP)
Gold im Zeitfahren hat er schon - und im Straßenrennen zieht Remco Evenepoel einfach nach. Das gab es noch nie. Das belgische Wunderkind hat fast alles gewonnen. Wegen seiner offensiven Fahrweise und des riesigen Potenzials erinnert er an den großen Eddy Merckx.
Remco Evenepoels großer Siegeshunger war erst am Eiffelturm gestillt. Den "kleinen Kannibalen" nennen sie den Radprofi in der belgischen Heimat, weil er mit 1,71 Metern eher schmächtig daherkommt, und weil er seine Landsleute wegen seiner offensiven Fahrweise und des scheinbar unbegrenzten Potenzials an den großen Eddy Merckx erinnert. Die Rad-Legende eilte in den 60er- und 70er-Jahren von Sieg zu Sieg, gewann unter anderem fünf Mal die Tour de France. Das Kunststück, das Evenepoel am Samstag im Herzen Paris vollendete, war aber nicht einmal Merckx gelungen.
Olympiasieger war der 79-Jährige nie. Doppel-Olympiasieger wie Evenepoel - dazu hatte Merckx wegen des damals fehlenden Zeitfahrens im olympischen Programm auch nicht die Chance - schon gar nicht. "Das ist historisch. Was für ein Tag", sagte Evenepoel. Am Samstag nach der Eröffnungsfeier hatte der Weltmeister bei den Sommerspielen schon den Kampf gegen die Uhr gewonnen. Nun legte er mit Gold im Straßenrennen nach. "Ich bin so stolz, als erster Fahrer der Geschichte das Double zu schaffen", sagte Evenepoel. Auf dem Trocadero war ein weiterer Traum wahr geworden. Evenepoel, der einmal Fußball-Profi werden wollte und es bis in Belgiens Jugendnationalmannschaften schaffte, hat sich im jungen Alter von 24 Jahren schon viele erfüllt.
Er gewann die Vuelta, wurde Weltmeister im Straßenrennen und im Einzelzeitfahren, siegte zwei Mal beim prestigereichen Monument Lüttich-Bastogne-Lüttich. Die Premiere bei der Tour de France beendete er im Juli als Dritter auf dem Podest, nebenbei gewann er das Weiße Trikot des besten Jungprofis. "Meine Saison ist unbeschreiblich", sagte Evenepoel. Als Bonus löste der Belgier den 2000 erfolgreichen Ullrich als jüngsten Olympiasieger ab. "Einfach grandios", urteilte Maximilian Schachmann staunend. Der Berliner und der Kölner Nils Politt spielten bei der Medaillenvergabe keine Rolle.
Politt läutet Finale ein
Selbst ein Defekt etwas mehr als drei Kilometer vor dem Ziel, ausgerechnet am weltberühmten Louvre, stoppte Evenepoel nicht. Über eine Minute hatte er nach 273 Kilometern und dem längsten Rennen der Olympia-Geschichte auf die anderen Medaillengewinner Valentin Madouas und Christophe Laporte aus Frankreich Vorsprung. Dabei hatte Politt mit einer Attacke rund 60 Kilometer vor dem Ziel das spektakuläre Finale eröffnet und sich mit fünf anderen abgesetzt. Doch nach einem brachialen Antritt von Weltmeister Mathieu van der Poel bei der erstmaligen Überquerung des Monmartre-Anstiegs zur Sacré-Cœur schlossen die Spitzenfahrer auf - und Politt verließen gut 30 Kilometer vor dem Ziel die Kräfte.
Lediglich 90 Fahrer machten sich am Morgen am Eiffelturm auf den Weg in den Südwesten von Paris. Deutschland war mit nur zwei Profis vertreten, die Top-Nationen wie Belgien mit vier Fahrern. Die geringe Teamgröße erschwerte es, das Rennen zu kontrollieren - und so bot sich Außenseitern die Chance, sich zu zeigen. Fahrer aus Ruanda, Uganda, Thailand, Marokko und Mauritius setzten sich noch in Paris ab, fuhren maximal 15 Minuten Vorsprung heraus.
Red Bull-Bora-hansgrohe schielt auf Evenepoel
Die Strecke - eine Mischung aus den hügeligen WM-Kursen von Löwen und Glasgow - hatte zwar nur 2800 Höhenmeter, doch hielten sich die flachen Abschnitte außerhalb der französischen Hauptstadt in Grenzen. Die meisten Fahrer kannten die Straßen und insgesamt 13 Anstiege aus dem Frühjahr von der Fernfahrt Paris-Nizza, die in der Region gestartet wird.
Einer, der Evenepoels Triumphzug in Paris genau verfolgt haben dürfte, ist Ralph Denk. Der Oberbayer ist Teamchef des deutschen Top-Teams Red Bull-Bora-hansgrohe und ein Fan, Evenepoel sei ein "cooler Fahrer", hatte Denk dem SID vor der letzten Tour gesagt. In Belgien spekulieren Medien schon länger über eine künftige Zusammenarbeit, schon ab 2025 könnte es demnach soweit sein. Denk ist zu wünschen, dass er schon vor den Sommerspielen einen Deal geschlossen hat. Billiger ist der junge Kannibale in Paris nicht geworden.
Quelle: ntv.de, tno/dpa/sid