Superstar in Rente geschickt Olympiaheld Uscins "weiß nicht, wie das passieren konnte"
07.08.2024, 21:00 UhrIm vergangenen Jahr werden sie Weltmeister mit dem deutschen Handball-Nachwuchs, nun trumpfen Renars Uscins und David Späth bei den Olympischen Spielen ganz groß auf. Die beiden lassen Gastgeber Frankreich heftig leiden. Vor allem für Uscins gebühren ganz große Worte.
Renars Uscins riss sich sein Trikot vom Leib, die deutschen Handballer sprangen wie wild ineinander, fielen sich in die Arme, schrien sich an. Alles musste raus, dabei hatten sie über 70 Minuten lang alles auf der Platte gelassen. Im Viertelfinale der Olympischen Spiele gewann das DHB-Team gegen den Gastgeber Frankreich mit 35:34 (29:29, 14:17). In der Verlängerung haben sie die Europameister und Olympiasieger niedergerungen. Eine grandiose Aufholjagd mit zwei fantastischen U21-Weltmeistern lässt das Team von Bundestrainer Alfred Gislason von der ersten Medaille seit 2016 träumen.
Uscins und Torhüter David Späth wuchsen über sich hinaus, wurden zu den Helden der Partie, in der Deutschland zwischenzeitig mit sechs Toren zurückgelegen hatte. Rückraum-Ass Uscins erzielte insgesamt 14 Tore. Uscins war selbst etwas fassungslos: "Ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte, dass ich in so einen Flow gerate auf einmal. Ich habe alles um mich herum vergessen. Ich habe vergessen, wie wichtig die Würfe sind." Kapitän Johannes Golla sagte: "Renars ist einfach Wahnsinn. Er ist das ganze Turnier ein Faktor bei uns. Ich finde es Wahnsinn, mit welchem Selbstvertrauen er da reingeht."
"Eigentlich gibt es so etwas gar nicht"
Auf dem Feld ging die deutsche Party los - die den Franzosen die Stimmung verhagelte. 27.000 meist französische Fans hatten vorher in Lille für eine ekstatische, aufgeheizte Stimmung gesorgt. Denn Frankreich sah doch sechs Sekunden vor dem Ende der regulären Spielzeit schon wie der Sieger aus. Bei einem Tor Rückstand hatte Frankreich Ballbesitz, hätte die Uhr nur herunterspielen müssen. Doch Dika Mem warf den Ball so, dass der zwei Meter große Julian Köster den Pass abfangen konnte. "Zum Glück sucht sich Mem den Köster-Jungen aus, um über ihn drüber zu werfen", so Linksaußen Rune Dahmke und schüttelte ungläubig den Kopf: "Eigentlich gibt es so etwas gar nicht. Ich suche die ganze Zeit nach etwas Vergleichbarem, aber ich finde nichts". Köster jedenfalls warf den Ball zu Uscins, der Richtung Tor gestartet war und zum 29:29 verwandelte. "Köster hat ein unglaubliches Gefühl, was der Gegner macht. Das war ein sehr großer Schock für die Franzosen", sagte Gislason.
Es ging also in die zehnminütige Verlängerung. Und auch in dieser traf Uscins nach Belieben, während Späth hinten den Laden weiter dichtmachte und mit seiner Quote von 39 Prozent ein weiterer Sieg-Garant im DHB-Team war. "Ich spüre einfach nur Glück und Freude", sagte Späth. Er hatte sich in den allerletzten verzweifelten Wurf der Franzosen geworfen, mit der Schlusssirene pariert und war in seiner schon kultigen Manier zum Jubeln eskaliert. Sieben Sekunden zuvor waren Uscins alle Franzosen egal. Er war beim Stand von 34:34 hochgestiegen zum Wurf aus nicht perfekter Lage, übertraf alle und überlistete auch Gerard, der die Deutschen phasenweise zur Verzweiflung getrieben hatte. 35:34, Späths Parade, Sieg, grenzenloser Jubel.
Selbst Gislason hatte so ein Spiel "noch nie" erlebt. "Die Mannschaft war phänomenal und ist stets ruhig geblieben. Ich bin stolz darauf, wie sie diese Aufgabe gemeistert hat", sagte der Isländer und fügte hinzu: "Wenn man bedenkt, wie unerfahren unsere Mannschaft ist, ist es wahnsinnig, so eine Leistung unter diesen Umständen zu bringen." Und Spielmacher Juri Knorr sagte: "Es ist so surreal. Die ganzen Wochen waren surreal. Das Spiel heute stellt das aber nochmal auf den Kopf."
Duracell-Hase Späth im Tor
Vor einem Jahr erst sind Uscins und Späth zusammen U21-Weltmeister geworden, sind direkt danach aufgerückt in den A-Kader von Gislason - und sind seitdem nicht mehr wegzudenken. Späth ist immer dann zur Stelle, wenn Stammtorhüter Andreas Wolff nicht so gut ins Spiel findet oder eine Auszeit bekommen soll. Abseits des Feldes ist der 22-Jährige eher ruhig und zurückhaltend, aber im Tor wird er zum HB-Männchen und Duracell-Häschen, reißt mit seinen Emotionen die Fans mit. "Ich mache mir manchmal Sorgen, dass er nicht irgendwann einmal umkippt", hatte Knorr Anfang des Jahres über seinen Freund gesagt. Und Gislason hält gar nix davon, das einzudämmen: "Das ist sein Charakter, sein Stil. Er muss erst einmal die Bälle halten, um diese Emotionen zeigen zu können. So kann er natürlich für Stimmung sorgen und das macht ihn aus. Ich finde das sehr positiv."
Uscins ist dagegen der Besonnenere auf dem Feld. Er sei "eigentlich viel zu weit für sein Alter", hatte Teamkollege Christoph Steinert vor den Olympischen Spielen über den Mann von der TSV Hannover-Burgdorf gesagt. Der Linkshänder ist voll angekommen im Team. Bereits bei der Europameisterschaft im Januar hatte er einige Spielzeit von Gislason bekommen. Er zahlt das Vertrauen mit Leistung zurück.
Erst recht gegen Frankreich, das Team der Weltstars, von denen der Größte unter den Großen, Nikola Karabatic, vom DHB-Team in die Rente geschickt wurde. Denn auch bei den Siebenmetern übernahm Uscins Verantwortung. Der top aufgelegte Gerard hatte die von Marko Grgic und Juri Knorr pariert, da schnappte sich eben Uscins den Ball, obwohl es eigentlich gar nicht seine Aufgabe im Team ist. "Ich war selbstbewusst, und wir haben ja vorher drei Siebenmeter verworfen. Da habe ich gesagt, ich nehme jetzt den Ball, weil ich auch gesehen habe, dass die anderen vielleicht ein wenig verunsichert sind." Er ließ Gerard auch vom Punkt keine Chance.
Am Ende steht der erste Pflichtsieg gegen Frankreich seit 2013. Für den Gastgeber ist die Olympia-Party vor den frenetischen Heim-Fans beendet, Deutschland trifft am Freitag im Halbfinale auf Spanien. Der Wahnsinn geht weiter. Womöglich endet er mit dem ersten Olympiasieg im Hallenhandball seit 1980, damals hatte die DDR triumphiert.
Quelle: ntv.de, ara/sid/dpa