Rugby-Riesen aus Zwergenstaat Wie die Fidschi-Giganten die Olympischen Spielen beherrschen
25.07.2024, 22:55 Uhr
Jerry Tuwai ist der Star, auf seinen Schuhen steht "Messer und Gabel".
(Foto: picture alliance / DPPI media)
Die Fidschi-Inseln sind etwas kleiner als Sachsen. Doch wenn es um Rugby Sevens geht, ist das Südpazifik-Archipel das Nonplusultra. Die Männer haben in Rio und Tokio jeweils Gold gewonnen - und streben in Paris nach dem Hattrick.
Es wurde laut. Richtig laut im Stade de France. Diese Olympischen Spiele von Paris werden zwar erst am Freitagabend offiziell eröffnet, doch den ersten atmosphärischen Höhepunkt gab es schon am Donnerstagnachmittag - beim Gruppenspiel zwischen Frankreich und den Fidschi-Inseln im Rugby Sevens. Der ambitionierte Olympia-Gastgeber gegen den zweimaligen Olympiasieger - voilá.
"Allez le bleus" hallte es durch die Arena. Die Stadionsprecherin sprach von einem "großen, großen Spiel". Knapp 70.000 Fans wollten dabei sein. Frankreich liebäugelt, auch aufgrund des Heimvorteils, mit einer Medaille. Die Fidschi-Inseln wollen zum dritten Mal Gold gewinnen.
Seit 2016 gehört diese abgespeckte Variante zum olympischen Programm. Sie ist kurzweiliger, dynamischer und deshalb unterhaltsamer als das klassische Rugby. Denn gespielt wird, wie der Name es erahnen lässt, mit sieben Akteuren - und nicht mit 15. Somit ist immer Action auf dem Rasen. Die Spielzeit beträgt zwei Mal sieben Minuten. Inklusive der Halbzeitpause ist so eine Partie nach rund 20 Minuten vorbei.
Beeindruckende Bilanz: 15 Spiele, 15 Siege
Frankreich spielte, frenetisch unterstützt von den eigenen Fans, stark. Und Frankreich führte nach vier Minuten 5:0. Doch auch Frankreich musste, trotz einer guten Leistung, letztlich als Verlierer vom Platz, verlor 12:19. So ist es bislang allen Gegnern ergangen, die sich mit den Fidschi-Inseln bei Olympischen Spielen gemessen haben.
In der, zugegeben, noch kurzen Olympia-Geschichte dieser Sportart, hat das 332 Inseln umfassende Südpazifik-Archipel, das mit einer Fläche von 18274 Quadratkilometern etwas kleiner als Sachsen (18449 Quadratkilometern) ist, als einzige Nation bislang alle Spiele gewonnen. Sechs Siege 2016 in Rio, sechs Siege 2021 in Tokio - und in Paris sind an den ersten beiden Tagen dieses Olympia-Turniers vier weitere Erfolge hinzugekommen (Update 22.30 Uhr: am späten Abend gewann das Team das Viertelfinale gegen Irland nach langem Rückstand knapp mit 19:15). Durch das 19:12 gegen Frankreich hat das Team von Trainer Osea Kolisinau, das Viertelfinale erreicht.
Vor acht Jahren in Rio war Kolisinau noch selbst auf dem Spielfeld - und der Star des Teams. Das Finale gewannen die Fidschi-Inseln gegen bemitleidenswerte Briten 43:7. Es war die erste Medaille überhaupt in der Geschichte der 900.000 Einwohner-Nation, die 1956 erstmals Sportler zu Olympischen Spielen entsandt hatte.
Vijay Singh war viele Jahre das sportliche Aushängeschild des Landes. Der Golfer (Spitzname: der große Fidschianer, wegen seiner 1,88 Meter Körpergröße) gewann 2000 das Masters in Augusta, hinzu kamen zwei Siege (1998, 2004) bei der PGA Championship. Durch seinen zweiten Triumph verdrängte Singh am 5. September 2004 Tiger Woods von der Spitze der Golf-Weltrangliste. Insgesamt war der heute 62-Jährige 32 Wochen Branchenprimus.
In Rio im Schnitt mit 16 Punkten gewonnen
Durch die Olympischen Spiele hat Fidschis Rugby Sevens'-Team seit Rio die größte globale Bühne bekommen. Bei der Premiere gewannen Kolinisau und Co. ihre Partien im Schnitt mit 16 Punkten Vorsprung, in Tokio waren es 15,2 Zähler. Richtig zittern mussten sie nie. Der knappste Erfolg war ein 12:7 im Viertelfinale 2016 gegen Neuseeland.
"Rugby Sevens ist unser Sport", sagt Akuila Cama im Gespräch mit ntv.de. Er steht in der Mixed-Zone des Stade de France und interviewt Fidschis' Spieler nach dem Sieg gegen Frankreich für das nationale Fernsehen. Daheim war es zu Spielbeginn bereits 1:30 Uhr nachts am Freitag. Trotzdem, so Cama, seien "ganz sicher alle aufgewesen" und hätten das Spiel geguckt. "Dies sind die Olympischen Spiele, das bedeutet so viel für uns", betont der Journalist.
Star des Teams ist Jerry Tuwai. Der 35-Jährige erzielt gegen Frankreich den zwischenzeitlichen 5:5-Ausgleich. Er ist der einzige Spieler, der schon bei den Olympiasiegen in Rio und Tokio dabei war. Und er ist zum "Rugby Sevens'-Spieler des Jahrzehnts" gewählt worden - nicht in seiner Heimat, sondern weltweit. Tuwai stammt aus Newtown, einem verarmten Vorort der Hauptstadt Suva. Da das Rugby-Equipment für seine Familie viel zu teuer war, musste er in seiner Kindheit und Jugend zunächst improvisieren, leere Wasserflaschen oder zusammengeknotete T-Shirts als Ei nutzen. Als Teenager fuhr Tuwai oft mit seinem Vater, einem Fischer, hinaus aufs Meer - und verkaufte anschließend den Fang auf der Straße. "Schwere Arbeit", sagt er noch heute.
"Messer und Gabel" - Worte mit Wirkung
Auf seinen Schuhen hat er auch an diesem Nachmittag im Stade de France wieder jene Botschaft stehen, die er sich schon seit so vielen Jahren vor jedem Spiel dort rauf schreibt: "Messer und Gabel". Diese Worte hatte ihm einst seine Mutter mitgegeben, als die finanziell schwachen Eltern endlich genug Geld gespart hatten, um ihrem Sohn Rugby-Schuhe zu schenken. "Dies ist dein Leben, dies sind dein Messer und deine Gabel", hatte die Mutter dem damals sichtlich überraschten Jerry mit auf den Weg gegeben. Worte mit Wirkung. Bis heute.
Was ihn immer noch motiviere, wurde Tuwai vor diesen Spielen öfter gefragt. Schließlich sei er ja schon zwei Mal Olympiasieger geworden. Seine Eltern, lautete die Antwort. Wenn er erschöpft sei, keine Kraft mehr habe, dann denke er einfach an das bescheidene Haus, in dem er aufgewachsen sei - sowie an seine hart arbeitende Mutter und den Vater.
In Paris könnte Tuwai zum dritten Mal Olympiasieger werden. Ihn auf dem Feld zu haben, sei "so wichtig", sagt Trainer Kolinisau. Als er und Tuwai in Rio erstmals Gold gewannen, ließ Fidschi, dem Team zu Ehren, die weltweit ersten Sieben-Dollar-Noten drucken. Auf der einen Seite ist Osea Kolinisau zu sehen, der in gewohnt wuchtiger Manier mit dem Rugby-Ei im linken Arm läuft. Die Rückseite zeigt die gesamte Mannschaft mit Goldmedaillen um den Hals. Auch die Gold-Equipe von Tokio wurde mit Sieben-Dollar-Noten gewürdigt.
Doch nicht nur sie, sondern auch die Frauen. Die holten vor drei Jahren überraschend Bronze. Und seitdem hat Kolinisau "einen Wandel" vernommen. Es passiere gerade etwas, sagt er. Rugby Sevens ist auf den Fidschi-Inseln längst nicht mehr nur ein Sport für Männer. Seit Tokio würden "mehr Eltern ihre Töchter zum Rugby" bringen, betont Kolinisau stolz. Denn sie würden sehen, dass ihre Töchter "eine Olympionikin" werden könne. Das Frauen-Turnier von Paris beginnt am Sonntag. Die Fidschi-Inseln liebäugeln wieder mit einer Medaille.
Quelle: ntv.de