Trainerin deutet Verschwörung an Warum Walijewas Dopingfall so brisant ist
12.02.2022, 13:20 Uhr
Gedopt (worden)?
(Foto: AP)
Russlands Eiskunstlauf-Wunderkind Kamila Walijewa verzaubert bei ihrem Auftritt im Teamwettbewerb. Danach ist der Aufschrei groß: positiver Dopingtest. Im Fall der 15-Jährigen ist Eile geboten, es geht um die Teilnahme der Top-Favoritin im Einzel. Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Was hat die Affäre ausgelöst?
Bei den russischen Meisterschaften in St. Petersburg am 25. Dezember muss sich Supertalent Walijewa einem Dopingtest unterziehen. Weil das Moskauer Dopinglabor seine internationale Zulassung im Zuge des Skandals um Russlands staatlich organisierten Sportbetrug verloren hat, wird der Test in Stockholm ausgewertet. In Walijewas Probe wird das verbotene Herzmittel Trimetazidin nachgewiesen. Das Ergebnis erreicht die russische Anti-Doping-Agentur (Rusada) deren Angaben zufolge aber erst am 7. Februar - das ist ungewöhnlich spät. Zu diesem Zeitpunkt hat sie bereits das russische Team zum Olympiasieg im Mannschaftswettbewerb geführt.
Wieso dauerte es so lange, bis das Testergebnis bekannt wurde?
Die Rusada nennt die aktuelle Corona-Situation und erkranktes Laborpersonal als Gründe für die Verzögerungen bei der Auswertung des Tests. Dies hätte "nie passieren dürfen", sagte Travis Tygart, der Chef der amerikanischen Anti-Doping-Agentur Usada, bei Yahoo Sports. Für gewöhnlich würden Anti-Doping-Behörden solche Testauswertungen vor großen Wettbewerben sogar beschleunigen, um Szenarien wie nun bei den Winterspielen zu verhindern, sagte der Dopingjäger. Die Verzögerungen seien "unentschuldbar" und ein "katastrophaler Fehler des Systems".
Warum müssen jetzt die Sportrichter ran?
Walijewa wird am 8. Februar vorläufig von der Rusada gesperrt. Einen Tag später wird die Strafe aber nach ihrem Einspruch ausgesetzt. Damit dürfte die Top-Favoritin auch am olympischen Damen-Einzel teilnehmen, das am 15. Februar beginnt. Das will das Internationale Olympische Komitee (IOC) nicht so einfach hinnehmen. Im Eilverfahren soll der Internationale Sportgerichtshof CAS urteilen, ob die Rusada die Sperre von Walijewa aufheben durfte. Erst wenn dieses Urteil gesprochen ist, wird der Eislauf-Weltverband (ISU) über die Medaillenvergabe im Teamwettbewerb entscheiden. Der CAS-Spruch werde noch vor Dienstag verkündet, versicherte das IOC.
Was macht den Fall so brisant?
Eisprinzessin Walijewa ist der größte Star der Russen in Peking und die derzeit mit Abstand beste Eiskunstläuferin der Welt. Auch der Kreml stellte sich schnell hinter die 15-Jährige. Der Fall bricht die Wunden des Manipulationsskandals wieder auf, der Russland offiziell die Zulassung für die Sommerspiele in Tokio und Olympia in China kostete. In Peking tritt das Team als Mannschaft des Russischen Olympischen Komitees (ROC) ohne die eigene Landesfahne und Hymne an. Der neue Dopingfall, noch dazu mit einer Minderjährigen, zieht die Abkehr der Russen von den Sünden der Vergangenheit erneut schwer in Zweifel. Das IOC muss sich wieder fragen lassen, ob die Sanktionen hart genug und zielführend waren.
Wer fällt das Urteil?
Für die Zeit der Winterspiele hat der CAS eine Ad-hoc-Kommission aus einem Kreis internationaler Juristen einberufen. Für den Fall Walijewa bilden der Italiener Fabio Iudica, der Amerikaner Jeffrey Benz und der Slowene Vesna Bergant Rakocevic das Richtergremium. Die Anhörung wurde für Sonntagabend in Peking angesetzt. Wegen der Corona-Pandemie wird das Verfahren weitgehend per Video geführt. Das Urteil sollen die Streitparteien am Montag erfahren. Zunächst geht es dabei nur darum, ob die Rusada die vorläufige Sperre für Walijewa kurzfristig wieder aufheben durfte.
Welche Rolle spielt Walijewas Alter in der Sache?
Laut dem Regelwerk der Welt-Anti-Doping-Agentur ist die 15 Jahre alte Russin als Minderjährige eine "geschützte Person". Wird ihr ein Dopingvergehen nachgewiesen, kann die Strafe milder und eine mögliche Sperre auch deutlich geringer als zwei Jahre ausfallen. Stärker in den Fokus gerät ihr Umfeld mit Trainerin Eteri Tutberidse. "Wir würden da eine harte Linie begrüßen. Auf die Entourage sollte in diesem und allen anderen Fällen geschaut werden", sagte IOC-Sprecher Mark Adams am Samstag. Werden Trainer oder Betreuer überführt, Minderjährigen verbotene Substanzen gegeben zu haben, droht ihnen eine Sperre von mindestens vier Jahren.
Was sagt die russische Seite zu dem Fall?
"Ich möchte sagen, dass ich absolut sicher bin, dass Kamila unschuldig und sauber ist", sagte Tutberidse im russischen Staatsfernsehen. Es gebe viele Fragen und wenige Antworten. "Wir hoffen wirklich, dass die Gerechtigkeit siegen wird", erklärte die Trainerin. Auch Russlands Sportminister Oleg Matyzin zeigte sich überzeugt davon, dass die junge Sportlerin "absolut unschuldig" sei. Er habe selbst zweimal mit Walijewa telefoniert, sagte Matyzin der Agentur Interfax zufolge. "In ihrer Stimme liegt Optimismus und Energie." Es sei "sehr merkwürdig", dass Walijewas Fall erst während der Olympischen Spiele zur Sprache gekommen sei, kritisierte ihre Trainerin Tutberidse. "Entweder ist dies ein fataler Zufall oder ein gut ausgeklügelter Plan."
Warum ist Trimetazidin verboten und was bewirkt es?
Trimetazidin steht auf der Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur in der Rubrik S4 "Hormone und Stoffwechsel-Modulatoren". Nach Angaben der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) ist es ein "Arzneimittel zur Vorbeugung von Angina pectoris" (anfallsartige, starke Schmerzen in der Herzgegend), das die Blutzufuhr zum Herzen durch Weitung der Blutgefäße fördert. Im Eiskunstlauf könnte man "einen Moment der Übersäuerung der Muskulatur" überbrücken, wie sie in der zweiten Hälfte einer Kür eintreten" könne, erklärte Sven Authorsen, Olympiaarzt der Eiskunstläufer. Bekannte Dopingfälle mit Trimetazidin waren die des chinesischen Schwimmstars Sun Yang und der russischen Bobfahrerin Nadeschda Sergejewa bei den Winterspielen 2018 in Pyeongchang.
Quelle: ntv.de, ara/dpa