Ye schneller als Phelps und Lochte Weltrekordlerin wirft Fragen auf
29.07.2012, 18:21 Uhr
"Da ist es für mich jetzt nicht mehr sehr schwer": Ye Shiwen.
(Foto: AP)
Diese Leistung ist so unglaublich, dass ein näherer Blick auf Zeiten besonders lohnt. Bei ihrem Olympiasieg über 400 Meter Lagen ist die erst 16-jährige Chinesin Ye Shiwen im Londoner Aquatics Centre im Endspurt sogar schneller als die US-Schwimmstars Ryan Lochte und Michael Phelps.
Erst war sie schneller als Michael Phelps, dann schlug sie Ryan Lochte: Mit ihrem Turbo-Weltrekord von London überraschte die 16-jährige Chinesin Ye Shiwen nicht nur die Schwimmwelt, sondern warf auch viele Fragen auf. "Wir haben ein sehr gutes Training, ein wissenschaftlich gestütztes Training", sagte die frischgebackene Olympiasiegerin, die über 400 Meter Lagen regelrecht zu Gold geflogen war: "Nein, wir sind keine Roboter."
Wie eine Rakete war Ye auf den letzten 100 Meter an der Weltmeisterin und Topfavoritin Elizabeth Beisel vorbeigeschossen - auf der vorletzten Bahn 13 Hundertstelsekunden schneller als eine Dreiviertelstunde zuvor Rekord-Olympiasieger Phelps, auf den letzten 50 Metern sogar 17 Hundertstel schneller als dessen Bezwinger Lochte. Nach dem Turbo-Finale zeigte die Videowand 4:28,43 Minuten an - mehr als eine Sekunde unter dem alten Weltrekord der australischen Peking-Olympiasiegerin Stephanie Rice.
"Dieser Schlussspurt war schon unglaublich", sagte Doping-Experte Fritz Sörgel. Sein Kollege Werner Franke, sonst ultrakritisch gegenüber chinesischen Sportlern eingestellt, bezeichnete Yes Leistung als "ungewöhnlich, auffällig und überprüfungswürdig, aber physiologisch nicht unmöglich". Auf Doping könne man in diesem Fall nicht automatisch schließen, selbst wenn man auf die belastete chinesische Geschichte schaue, sagte Franke: "Gerade junge, früh trainierte Athleten sind mitunter zu außergewöhnlichen Leistungen fähig, weil sie von ihren spezifischen Gewichtsverhältnissen profitieren."
"Von der Kindheit an ein wissenschaftliches Training"
Bei der WM vor einem Jahr in Shanghai war Ye als Fünfte noch sieben Sekunden langsamer gewesen. Kein Wunder, dass nach dem ersten Frauen-Weltrekord im Anschluss an die Ära der Hightech-Anzüge nach den Gründen für die Leistungsexplosion gefragt wurde. "Wir haben von der Kindheit an ein wissenschaftliches Training", betonte die 16-Jährige noch einmal, "da ist es für mich jetzt nicht mehr sehr schwer." Im März erst war Staffel-Weltmeisterin Li Zhesi des Epo-Dopings überführt worden.
Ein anderes Produkt der chinesischen Kaderschmiede hatte nur wenige Minuten zuvor knapp den zweiten Weltrekord seiner jungen Karriere verpasst. Sun Yang, der vor einem Jahr den Uraltrekord von Grant Hackett über 1500 Meter Freistil gebrochen hatte, krönte sich als erster chinesischer Schwimmer zum Olympiasieger und blieb über 400 m nur sieben Hundertstel über der Bestmarke von Paul Biedermann. Damit hat der chinesische Angriff auf die bislang übermächtigen US-Amerikaner im Schwimmen aber gerade erst begonnen. Während der 20-jährige Sun über 1500 m ein sicherer Goldtipp ist, will auch die vier Jahre jüngere Ye noch nachlegen. Über 200 m Lagen war sie vor einem Jahr bereits Weltmeisterin.
Schon in den 90er Jahren hatten chinesische Schwimmer durch eine Leistungsexplosion auf sich aufmerksam gemacht. Nach mehreren positiven Dopingtests vor der WM 1998 kündigte die Regierung an, den Sport neu aufzubauen. Erste Erfolge des neuen Systems wurden bereits vor vier Jahren in Peking sichtbar, als Liu Zige Olympia-Gold über 200 m Schmetterling gewann und ihre Teamkollegen weitere fünf Medaillen hinzufügten. Bei der Heim-WM im vergangenen Jahr in Shanghai waren es bereits fünfmal Gold, zweimal Silber und siebenmal Bronze.
Quelle: ntv.de, Thomas Lipinski und Tobias Küpper, sid