
Akito will Tokio mit übernatürlichen Fähigkeiten von Geistern und Dämonen befreien.
(Foto: Bethesda)
Einmal als Geisterjäger durch die japanische Hauptstadt: "Ghostwire Tokyo" fängt den Puls der Metropole gekonnt ein und liefert eine Story voller Mystery und Action. Die wirklich beeindruckende Welt kann aber nicht über das verschenkte Potenzial des Spiels hinwegtäuschen.
An der Shibuya-Kreuzung in Tokio wechseln bei "grün" rund 15.000 Menschen gleichzeitig die Straßenseite. Das urbane Wahrzeichen ist ein Beispiel dafür, wie lebendig und verwirrend die japanische Millionenmetropole sein kann. "Ghostwire Tokyo" liefert den knallharten Kontrast - die Stadt ist menschenleer und wird von Geistern heimgesucht. Das Action-Adventure für PS5 und PC von Tango Networks verbindet Mystery-, Shooter- und Open-World-Elemente. Während die optisch genialen Einblicke in die schillernde Metropole zum Staunen und die Analogien zur japanischen Kultur zum Schmunzeln anregen, gibt es bei Story und Gameplay nicht den erhofften Wow-Effekt.
Zu Beginn von "Ghostwire Tokyo" fegt ein mysteriöser Nebel durch die Straßen und verschluckt alle Menschen. Übrig bleibt nur ihre Kleidung. Vom tödlichen Dunst verschont bleibt der junge Japaner Akito, der auf der besagten Shibuya-Kreuzung einen tödlichen Unfall hatte, jedoch vom Geist des Geisterjägers "KK" befallen wird. Der Spieler schlüpft also gleich in eine Doppelrolle. Das Duo versucht fortan, das Rätsel des tödlichen Nebels zu lösen und muss herausfinden, was Akitos Schwester mit der ganzen Sache zu tun hat. Dabei stellen sich den beiden allerhand Geister und Dämonen der japanischen Mythologie entgegen. Mit übernatürlichen Fähigkeiten aus Wind, Wasser und Feuer geht es den Kreaturen aus dem Jenseits dann an den Kragen.
Die ganz spezielle Tokio-Tour
Wer noch nicht in Tokio war, der bekommt über das Spiel einen Eindruck, wie grell, faszinierend und befremdlich Japans Hauptstadt sein kann. Die Raytracing-Effekte bringen Reflexionen und Spiegelungen hervor, die für eine fast fotorealistische Kulisse sorgen. Der hohe Detailgrad kann das, was die Stadt ist, sehr gut einfangen: der Einklang von Moderne und Tradition in einer Mischung aus Asphaltdschungel mit grünen Oasen. Ob es Touristen-Hotspots wie der Skytree oder die kleinen Gassen und Hinterhöfe sind - in allen Ecken steckt viel Liebe für Tokio drin. Die Neonfarben, der Regen und die Geistererscheinungen komplettieren die mysteriös-bedrohliche Atmosphäre.
Es bleibt aber am Ende nur eine Kulisse. Denn viele Gebäude lassen sich nicht betreten oder erkunden. Mit den meisten Objekten kann man ebenfalls nicht interagieren, dabei sind die Straßen geradezu geflutet mit den Rückbleibseln der verschwundenen Bevölkerung. Sammelt man dann doch mal einen bestimmten Gegenstand auf, wird's immer interessant. Warum der Shubun no Hi in Japan ein Nationalfeiertag ist, aus was Sakura-Mochi gemacht sind oder wofür ein Kagura-suzu-Stab benutzt wird - jede Figur, jede Süßigkeit und jede Notiz haben eine eigene Beschreibung und Erklärung. So wird kompakt japanische Geschichte und Kultur vermittelt. Ein kleiner Touri-Trip durch Japan.
Gameplay voller Monotonie
"Ghostwire Tokyo" hat enormes Potenzial eine packende Geschichte zu erzählen. Die Synchronisation und Vertonung ist hervorragend. Das verbale Hin und her der zwei Protagonisten wird durch den Lautsprecher des PS5-Controllers richtig greifbar. Auch die Charakterentwicklung von Akito und KK vom "Duo auf Abwegen" zum "Duo Infernale" treibt die Story schön voran - wenn da nicht die Bremsklötze in Form des wenig innovativen Gameplays wären.
Man kann sich in "Ghostwire Tokyo" trotz der Open-World nicht gleich zu Beginn komplett frei bewegen. Zuerst müssen Torii-Eingangstore vom Nebel gereinigt werden, um weitere Areale und Nebenquests freizuschalten. Die sind besonders am Anfang noch recht abwechslungsreich und teilweise irre witzig: Kleine Dämonen (Yokai) einfangen, Kirschbäume zum Blühen bringen oder Toilettenpapier für einen auf dem Lokus festsitzenden Geist finden. Die Entwickler haben sich in den Beschäftigungen abseits der Hauptstory kreativ gezeigt, wirklich einladend sind die Quests aber nicht. Das liegt in erster Linie an den NPCs (Non-playable Characters), an die sie gebunden sind. Die Hilfe suchenden Geister treten immer als gesichtslose und halbtransparente Astralerscheinungen auf, die mit einer Heliumstimme sprechen. Es wirkt wie der immer gleiche Start mit austauschbaren Textbausteinen.
Ganz nebenbei sammelt man dann noch Energiepunkte für die eigenen Angriffe, Nahrung für die Heilung und hilft umher schwirrenden Seelen ins Jenseits. Auf Dauer artet das alles in Arbeit aus. Das ist für Open-World-Spiele mit ihrer Flut an Quests und Sammelmöglichkeiten nicht ungewöhnlich, der Spannungsbogen der Hauptstory kann so aber selten aufrechterhalten werden.
Kaum Dynamik im grellen Kampfgeschehen
In der Ego-Perspektive schleudert Akito Windstöße und Feuerkugeln auf Geister, kann einen Schild aufbauen, um Angriffe zu blocken, oder mit Talismanen Tarn- oder Schockfelder aufbauen. Zudem gibt es noch einen Bogen, der aber nur selten gebraucht wird. Abseits der Tatsache, dass sich die Angriffe über einen Fähigkeitenbaum erweitern lassen, war es das eigentlich schon mit dem Gameplay. Die Kämpfe sind im Spiel zwar immer besonders effektvoll inszeniert, sie laufen aber spätestens ab der Hälfte des Spiels fast immer gleich ab.
Die Geister stürmen in der Regel blind auf Akito zu, man weicht zurück und erledigt so einen nach dem anderen - oder mit einer großen Energiewelle alle auf einmal. Das wiederholt sich dann mit den immergleichen Gegnern, die nur minimale Abstufungen erhalten. Mal schleppt der Geist ein Messer mit sich, mal schützt er sich mit einem großen Regenschirm vor Angriffen oder schießt langsam voranschreitende Feuerkugeln als Barriere. Die Ego-Perspektive verbietet hier leider jede Dynamik. Zudem ist die Methode, Gegner aus dem Hinterhalt mit einem Schlag auszuschalten, viel zu effektiv. Einfach anschleichen und den Kern des Geistes extrahieren - das klappt bei nahezu allen Gegnerklassen.
Rein technisch müssen sich die Entwickler nichts vorwerfen lassen. Es gab beim Test keine Bugs oder Grafikfehler. Das Spiel liefert lediglich zu wenig neue Ansätze, um wirklich alle Spieler abzuholen. Im Kräftemessen mit den diesjährigen Open-World-Spielen wie "Horizon Forbidden West" oder "Elden Ring" degradiert sich "Ghostwire Tokyo" eher zum Liebhaberstück.
Eine interessante Story wird von ideenlosem Gameplay und stumpfem Quest-Grind ausgebremst - in einer dafür sensationellen anzuschauenden Welt. Das hat es mit "Watch Dogs: Legion" in ähnlicher Form schon vor zwei Jahren in London gegeben. Auch da war die futuristisch abgewandelte Metropole das Highlight und immerhin das Anspielen wert. Wer besonders gerne den Blick nach Fernost schweifen lässt oder schon immer mal Lust hatte, sich mit Tokio und der japanischen Kultur auseinanderzusetzen, der wird durch das Spiel viele schöne Einblicke erhalten, die faszinierend und verwirrend zugleich sind.
"Ghostwire Tokyo" erscheint am 25. März für Playstation 5 und PC.
Quelle: ntv.de