
Auch mit Schwarzpulver darf Heinrich später im Spiel hantieren. Damit zu zielen ist schwerer, als man denkt...
(Foto: Warhorse Studios/Plaion)
Es ist das Jahr 1403 und die Ereignisse in Böhmen überschlagen sich. "Kingdom Come: Deliverance 2" erzählt die blutige Geschichte des Bürgerkriegs im heutigen Tschechien mit beeindruckendem Realismus und vielen spannenden Ansätzen. Die wichtigste Stärke des Spiels ist auch seine größte Schwäche.
Man könnte diesen Text ungefähr so beginnen: "Mittelalterfans aufgepasst: Kingdom Come: Deliverance 2 ist ein Spiel für euch." Das würde aber die mögliche Zielgruppe des Action-Rollenspiels kleiner fassen, als sie ist. Denn: Nicht nur Geschichtsfanatiker dürften beim neuen Spiel von Entwickler Warhorse Studios auf ihre Kosten kommen. Kingdom Come: Deliverance 2 macht nämlich eine ganze Menge richtig und ist eine durchgehend verbesserte Version des ersten Teils, dem es insgesamt treu bleibt. Gleichzeitig heißt das auch: Der zweite Teil kann wie sein Vorgänger verdammt unbequem und eigensinnig sein - im Guten wie im Schlechten.
Kingdom Come: Deliverance 2 handelt von Schmiedesohn Heinrich, der gemeinsam mit Adelsmann Hans Capon in den böhmisch-ungarischen Thronstreit verwickelt wird. Die beiden waren auch schon die Protagonisten des ersten Teils. Wer direkt in den Nachfolger eintauchen will, kann das jedoch auch, ohne den Vorgänger gespielt zu haben.
Die Reise der beiden beginnt damit, dass Heinrich und Hans einen Brief an den Nobelmann Otto von Bergow überbringen sollen. Danach wollen sie sich noch ein paar schöne Tage mit Bier und Glücksspiel (und vielleicht der einen oder anderen Liebelei) machen, um dann gemütlich in die Heimat zurückzukehren. Doch so schön dieser Plan auch klingt, es wäre kein allzu spannender Plot, nicht wahr? Das dachten sich wohl auch die Entwickler von Warhorse Studios, denn nach den furiosen und chaotischen Anfangsstunden des Spiels ist Heinrich allein, verzweifelt und besitzt nur noch seine Unterwäsche. Ach, und den Brief hat er auch nicht ausgeliefert.
Kämpfe, Dialoge und Witze über Mütter
Von diesem Punkt aus entspinnt sich die rund 80 bis 100 Stunden lange Geschichte des Rollenspiels, in der man so ziemlich alles erlebt, was ein opportunistischer Abenteurer im Mittelalter so erleben konnte. Wir schleichen, kämpfen in ausufernden Schlachten, prügeln uns mit Banditen, reiten durch die Gegend, lesen dicke Wälzer, streicheln unseren Hund, umgarnen Frauen und Männer, werden ausgeknockt und betrogen und vor allem machen wir eine Menge Witze über fremde Mütter. Kein Spaß. Kingdom Come 2 nimmt sich nie zu ernst und kann in den richtigen Momenten wirklich witzig sein - wenn man derbe Witze über Mütter mag.
Heinrichs Weg vom mittellosen Taugenichts zum glänzenden Ritter wird mit wunderschönen und liebevoll gestalteten Zwischensequenzen erzählt. Die Geschichte ist sehenswert, die Charaktere sind zu großen Teilen plastisch geschrieben und genauso liebenswert wie fehlerbehaftet und menschlich. Die Handlung von Kingdom Come 2 ist allerdings kein Feuerwerk, das einen von Sekunde eins mit Wendungen und Action beschießt. Ein paar Stunden braucht die Story nach der Introsequenz, um Fahrt aufzunehmen.
Es lohnt sich aber, auch in der kleinteilig erzählten Anfangsphase dranzubleiben, denn die Geschichte des einfachen Schmiedesohns, der in ein politisches Ränkespiel geworfen wird, ist zumeist packend und immersiv und liefert immer wieder Story-Höhepunkte, die so richtig Spaß machen. Allerdings dümpelt die Geschichten zwischen diesen Highlights manchmal ordentlich vor sich hin. Das ist ein Schönheitsfehler, den man Kingdom Come 2 verzeihen kann, wenn man sich von seinen zahlreichen Stärken packen lässt. Wer aber Wert auf eine durchgängig geniale Geschichte legt, könnte auch mal das Interesse verlieren.
Wenn nicht gerade hochpolierte Zwischensequenzen laufen, wirft Kingdom Come 2 seinen Spielern vor allem eins entgegen: jede Menge Dialog. Das Skript beinhaltet laut Entwickler Warhorse über 2,2 Millionen Wörter. Ein neuer Rekord im Videospiel-Bereich. Das sorgt für eine lebendig bevölkerte Spielwelt. An jeder Ecke gibt es Trunkenbolde, Schmiede, Bauern und Adelsmänner, mit denen man plaudern kann. Viele von ihnen haben kleine und große Aufgaben für Heinrich, manche von ihnen erzählen uns auch nur Klatsch und Tratsch.
Kingdom Come 2 ist dabei ein Rollenspiel durch und durch. Wer eine immense Mittelalter-Welt nach dem eigenen Gusto bereisen will, der ist hier richtig. Ob nobler aufrechter Held, fieser Trunkenbold oder schmieriger und charismatischer Redekünstler: Kingdom Come 2 lässt den Spieler sein, wer er sein will - und lässt ihn so sein eigenes Abenteuer schmieden.
Die Welt sieht übrigens fantastisch aus. Bei unserer Testversion kam die Playstation 5 allerdings auch im Performance-Modus gelegentlich an ihre Grenzen, besonders ein nerviges Flackern trat wiederholt auf.
Eine Welt voller Entdeckungen
Die riesige Welt mit ihren zwei Hauptgebieten Kuttenberg und Trosky ist generell eine der großen Stärken des Spiels. Überall gibt es etwas zu entdecken, und selten kommt man geradlinig zu seinem eigentlichen Ziel. Zu viele Geheimnisse gibt es am Wegesrand zu lüften, zu viele Banditenlager aufzumischen und zu viele Wanderer, mit denen man reden möchte.
Wenn wir nicht gerade reden oder erkunden, kommt es durchaus auch vor, dass wir kämpfen müssen. Das Kampfsystem war eines der herausstechenden Merkmale des Vorgängers und auch in Teil 2 machen die fordernden Kämpfe ordentlich Spaß - wenn man sich mal an sie gewöhnt hat. Denn Kämpfen ist in "Kingdom Come: Deliverance 2" nicht einfach nur unsystematisches und hektisches Knöpfe drücken. Wir müssen unsere Waffe jederzeit richtig platzieren und können Gegner so beispielsweise von der Seite, von oben oder von unten angreifen. Wer seinen Kontrahenten aus einer Richtung erwischt, die dieser nicht erwartet hat, trifft mit höher Wahrscheinlichkeit. Hauen wir nur blindlings auf unseren Gegner ein, geht uns jedoch nach wenigen Schlägen die Ausdauer aus und wir sind mit ziemlicher Sicherheit tot.
Sowohl Heinrich als auch seine Gegner halten nämlich im Regelfall nicht so viel aus. Auf Feinde mit dicker Rüstung müssen wir je nach Level schon länger eindreschen, aber ein Bandit in einfachem Kettenhemd liegt meist nach zwei bis drei Schlägen am Boden. Gerade am Anfang ist das jedoch auch bei uns selbst der Fall.
Da kommt ein großer Frustfaktor ins Spiel: Kingdom Come 2 speichert für den Spieler nur an seltenen Storymomenten. Manuelles Speichern gibt es nicht so wirklich. Der Spieler kann höchstens sogenannten Retterschnaps trinken, den er zuvor brauen oder kaufen muss, oder sich schlafen legen, um den Fortschritt zu speichern. Dementsprechend kann es vorkommen, dass man nach einem unglücklichen Kampf schnell mal eine Stunde Fortschritt verliert. Besonders ärgerlich, weil die Kämpfe wenig Raum für Fehler lassen. Im Gegensatz zu Teil 1 hat Entwickler Warhorse immerhin die "Speichern und Beenden"-Funktion zum Release eingebaut. So kann man über Umwege speichern, indem man das Spiel kurz verlässt und wieder startet.
Wer viel sauft, kriegt dafür Fähigkeitspunkte
Im komplexen Kampfsystem findet sich ein Kernprinzip des Spiels wieder, das sich durch alle Aspekte von Kingdom Come 2 zieht. Es will so realistisch sein wie möglich. Das macht das Spiel aus. Der Realismus hat aber auch immer eine Kehrseite. Denn er kann extrem frustrierend sein. Wo man in einem anderen Spiel einen wichtigen Heiltrank schnell per Knopfdruck brauen kann, setzt einem Kingdom Come 2 ein Rezeptebuch vor, dessen Anweisungen man minutiös befolgen muss: Erst kommt Wein in den Topf, dann sucht man seine Kräuter raus. Erst zwei Handvoll Disteln, dann für zwei Umdrehungen der Sanduhr brodeln lassen, dann drei Handvoll Brennnesseln mahlen und etwas Kohle beigeben, dann das Ganze noch destillieren und abfüllen. Etwas falsch gelesen oder den Sud zu lange köcheln lassen? Der Trank ist nutzlos und die Zutaten verschwendet. War das schon beim Lesen mühsam? Genauso spielt es sich auch. Und genauso soll es sich spielen.
Auch essen und schlafen müssen Spieler in Kingdom Come 2 regelmäßig, sonst sind sie übermüdet oder hungrig, und das wirkt sich selbstverständlich negativ auf eure Fähigkeiten aus. Ist ja logisch. Fähigkeiten verbessert man übrigens nur dadurch, dass man sie trainiert. Wer Fähigkeitenpunkte in der Schwertkampf-Kategorie sammeln will, muss also schwertkämpfen. Genauso verhält es sich für Kategorien wie Stehlen, Redekunst, Wissenschaft und witzigerweise auch Trinkfestigkeit. Wer viel säuft, schaltet neue Fertigkeiten in dieser Kategorie frei. Wer nüchtern lebt, aber dafür seine Zeit darauf verwendet, Waffen zu schmieden, levelt die Handwerker-Fähigkeit.
Selbstverständlich wirkt sich auch unser Äußeres auf unseren Erfolg aus. Wer ungewaschen und blutverschmiert auftaucht, ist deutlich weniger charismatisch und überzeugend in Gesprächen und wird meist unfreundlich behandelt. Tauchen wir hingegen in schicker, modischer und frisch gewaschener Kleidung auf, fressen uns die Bewohner der Mittelalter-Welt aus der Hand. Außer natürlich, wir halten uns an Orten auf, an die wir nicht hingehören. Oder nehmen Dinge, die uns nicht gehören. Dann werden die Dorfbewohner schnell ungemütlich und wir können uns nur mit Bestechungsgeld vor dem Pranger retten. Gerade am Anfang tut es unheimlich weh, seine hart verdienten Groschen abgeben zu müssen, weil man versehentlich in das falsche Gebäude spaziert ist. Aber so ist das mit dem Realismus eben.
Für wen das Spiel nichts ist
Genau an diesem Punkt lässt sich festmachen, für wen Kingdom Come 2 genau das richtige Spiel ist - und wer die Finger davon lassen sollte. Wer bis hierhin gelesen hat und sich denkt: Dafür habe ich nicht die Geduld - der hat womöglich recht. Denn Geduld fordert Kingdom Come 2 einem ab. Aber wer sich einmal eine halbe Stunde lang von einer Banditenbande hat verprügeln lassen, nur um sie dann im zwanzigsten Anlauf letztlich mit ein paar geschickten Streichen zu besiegen, weiß: Es lohnt sich!
Entwickler Warhorse will es den Spielern nicht einfach machen. Kingdom Come 2 ist kompromisslos. Es sagt: Ich bin, wie ich bin und, und ihr müsst damit klarkommen. Hier wird man nicht an die Hand genommen, vieles muss man selbst verstehen. Das ist die größte Schwäche des Spiels und seine größte Stärke. Wer sich nämlich durch die Anfangsfrustration beißt, auf den wartet ein liebevoll gestaltetes Spiel mit großartigen Mechaniken, einer fantastischen und immersiven Welt und einer guten Geschichte. Und vielen derben Sprüchen über fremde Mütter.
Quelle: ntv.de