Endlich Aufschwung im Geldbeutel? Dax-Chefs dämpfen Erwartungen
16.01.2011, 16:58 UhrDie deutsche Wirtschaft kommt weitaus schneller aus der Krise als erwartet, doch beim kleinen Mann spürt vom international beklatschen Aufschwung bislang wenig. Weil bald Tarifverhandlungen ins Haus stehen, wächst in den Dax-Konzernen die Unruhe: BASF, Post und Telekom warnen vorsichtshalber schon jetzt vor hoch gesteckten Forderungen.
Vorstandschefs deutscher Konzerne haben ihre Tarifpartner trotz boomender Konjunktur vor überzogenen Lohnabschlüssen in diesem Jahr gewarnt. "Der große Schluck aus der Pulle ist mit Vorsicht zu genießen", sagte der Chef des Chemiekonzerns BASF, Jürgen Hambrecht, der "Welt am Sonntag" mit Blick auf die Sicherung der Arbeitsplätze. Telekom-Chef Rene Obermann sagte der "Bild am Sonntag" an die Adresse der Gewerkschaften gerichtet: "Man sollte weiterhin mit Augenmaß vorgehen, damit wir auch in zehn Jahren noch gut dastehen."
Hambrecht zufolge haben viele Beschäftigte aufgrund erfolgsabhängiger Prämien in ihren Unternehmen in diesem Jahr bereits mehr in der Tasche. Diese Zuschläge würden je nach Branche zwischen 20 und 50 Prozent höher als 2010 ausfallen. Auch tarifliche Lohnerhöhungen seien gerechtfertigt. "Wir müssen die Arbeitnehmer selbstverständlich im Rahmen der Möglichkeiten am Aufschwung beteiligen", sagte Deutsche-Post-Vorstandschef Frank Appel der "Welt am Sonntag". "Dabei dürfen wir nicht auf dem Auge verlieren, dass wir mit dem Aufschwung 2010 gerade einmal den Einbruch von 2009 wettgemacht haben."
Der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, macht den Gewerkschaftern Hoffnung. Hüther geht von deutlichen Steigerungen bei den Löhnen aus. "Lassen Sie die Drei vor dem Komma stehen, um den Spielraum abzustecken", sagte Hüther dem "Kölner Stadt-Anzeiger" auf entsprechende Fragen. Da die Inflation moderat sei, werde "mit Sicherheit" auch unterm Strich bei den Arbeitnehmern etwas ankommen.
Engpässe bei Hilfsarbeitern?
Als Stolperstein auf dem Weg zu steigenden Erträgen sehen die Unternehmen weiterhin die Suche nach geeignetem Personal. Die günstige Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt führt nach Brancheneinschätzungen nicht nur bei Fachkräften, sondern nun sogar bei Hilfsarbeitern zu Engpässen. Im Produzierenden Gewerbe seien derzeit rund 40.000 Stellen für Geringqualifizierte unbesetzt, berichtet die "Bild"-Zeitung unter Berufung auf den Bundesverband Zeitarbeit (BZA). Im Autobau seien Hilfsarbeiter für die Produktion und Lagerei inzwischen so knapp, dass nicht alle Stellen sofort und in vollem Umfang besetzt werden könnten.
Wenn diese Entwicklung zufrifft, dann könnten sich daraus womöglich starke Anreize für steigende Löhne ergeben. BZA-Chef Volker Enkerts sagte der Zeitung, dass die Lage am Arbeitsmarkt in diesem Segment in einigen Regionen bereits Folgen für die Lohngestaltung habe: "Zum Teil werden ein bis zwei Euro Stundenlohn mehr bezahlt als tariflich vorgeschrieben." Das knappe Angebot macht selbst ungelernte Arbeitskräfte für die Unternehmen immer wertvoller.
Obermann fordert Zuwanderung
Für etwas Entspannung könnte dabei laut einer Umfrage der Beratungsfirma IW Consult im Auftrag der arbeitgeberorientierten "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" und der "Wirtschaftswoche" die Öffnung des Arbeitsmarktes für osteuropäische Arbeitskräfte zum 1. Mai sorgen. Fast 70 Prozent der dabei befragten Ökonomen glauben, dass dies die Rekrutierung für die Unternehmen erleichtern wird.
Die Hälfte der Wissenschaftler rechnet damit, dass überwiegend Geringqualifizierte einwandern. 30 Prozent der Experten erwarten eine verstärkte Zuwanderung von Fachkräften mit einer Berufsausbildung und 19 Prozent gehen von einem hohen Zuzug von Akademikern aus.
"Im IT-Bereich kommt in den nächsten Jahren ein Fachkräftemangel in sechsstelligen Größenordnungen auf uns zu - das darf nicht sein", sagte Telekom-Chef Obermann der "Bild am Sonntag". Die Telekom habe derzeit 628 Stellenangebote im Inland. "Wir können nicht alle Stellen durch eigene Aus- und Fortbildung besetzen", betonte Obermann. "Wir sind auch auf Zuwanderung angewiesen."
Quelle: ntv.de, mmo/dpa