Griechenland und die EU einigen sich auf ein drittes Hilfspaket. Die vereinbarten Reformen zeigen: Angela Merkel hat von Athen die bedingungslose Kapitulation verlangt. Und Alexis Tsipras hat sie unterschrieben.
Am Morgen danach gibt sich Angela Merkel jovial. "Der Weg wird noch ein langer, zum Teil auch noch ein mühsamer sein. Aber es ist aller Anstrengung wert, wenn man dann zu neunzehnt zu einer Einigung kommt", sagt die Kanzlerin nach den Marathon-Verhandlungen der Euro-Staatschefs in der Nacht.
Eine Einigung? Für Griechenlands Premier Alexis Tsipras muss das wie Hohn klingen. Bis zu 86 Milliarden Euro soll sein Land im geplanten dritten Hilfspaket bekommen. Aber nur, wenn er einen Sparplan erfüllt, der härter ist als der, den die Griechen beim Referendum vor einer Woche eigentlich abgelehnt haben.
Es ist ein historischer Moment für die Europäische Union. Zum ersten Mal hat sie einem Mitgliedsland unverhohlen mit der totalen wirtschaftlichen Zerstörung gedroht, falls es nicht einlenkt. Finanzminister Schäuble hat offen gesagt: Entweder Athen bessert seine Vorschläge massiv nach - oder verlässt die Eurozone. Mit der Einigung hat Athen nun die bedingungslose Kapitulation unterschrieben.
Reform-Gewitter im griechischen Parlament
Bis Mittwoch soll die Syriza-Regierung von Alexis Tsipras vier Gesetze durchs Parlament peitschen:
- Eine Mehrwertsteuerreform soll die Einnahmen erhöhen.
- Sofort-Maßnahmen sollen eine umfassende Rentenreform einleiten.
- Ein neues Gesetz soll die griechische Statistikbehörde Elstat politisch unabhängig machen.
- Quasi-automatische Budgetkürzungen für den Fall, dass sie von den geplanten Sparzielen abweicht.
Nur falls Athen diese Reformen pünktlich verabschiedet, wollen die Euro-Länder entscheiden, ob sie überhaupt Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket aufnehmen. Danach soll Griechenland weiter liefern:
- Eine umfassende Rentenreform soll bis Oktober vorliegen.
- Ladenöffnungszeiten sollen gelockert werden.
- Die Märkte für Medikamente, Backwaren und Milch sollen liberalisiert werden.
- Sogenannte "geschlossene Berufe", die der Staat mit Vorschriften künstlich vor Konkurrenz schützt, sollen geöffnet werden (z. Bsp. Fährtransport).
- Der Stromnetzbetreiber ADMIE soll privatisiert werden, um den Wettbewerb zu erhöhen.
- Entlassungen sollen erleichtert werden.
- Die Aufsicht der Banken soll verschärft, die Ernennung der Aufseher entpolitisiert werden.
Für all diese Reformen muss Griechenland genaue Zeitpläne und überprüfbare Kennzahlen vorlegen. Schon bis zum 20. Juli soll die Syriza-Regierung zudem konkrete Vorschläge für eine Verwaltungsreform machen. Und sie soll alle Gesetze aufheben, mit denen sie nach ihrem Wahlsieg frühere Reformen zurückgedreht hatte.
Europa pfändet Athen das Tafelsilber
Den Versprechen aus Athen trauen die Euro-Länder nicht mehr. Sie wollen von Griechenland Sicherheiten, bevor neues Geld fließt. Die wichtigste Neuerung beim geplanten dritten Hilfspaket ist daher der sogenannte Treuhandfonds: In ihm soll Griechenland seinen Staatsbesitz bündeln und unter Aufsicht der Geldgeber verkaufen, um Schulden abzutragen. 50 Milliarden Euro sollen so zusammenkommen.
Athen wird damit faktisch enteignet und muss sein Staatsvermögen unter ausländische Kontrolle stellen. Die Euro-Länder pfänden einem ganzen Volk sein Tafelsilber - als eine Art Sicherheit für die neuen Kredite. Die Hälfte der geplanten Gewinne soll in die Bankenrekapitalisierung fließen, ein Viertel die Rückzahlung der Kredite. Nur das letzte Viertel soll für Investitionen in Griechenland verwendet werden.
Erst wenn Athen all das erledigt hat, wollen die Euro-Länder sich mit Erleichterungen bei der griechischen Schuldenlast überhaupt befassen - aber auch nur möglicherweise. "Die Eurogruppe steht bereit, falls nötig mögliche zusätzliche Maßnahmen (mögliche längere Zahlungsfristen) zur Verbesserung der Schuldentragfähigkeit in Erwägung zu ziehen", heißt es in schönstem Diplomatenslang. Einen Schuldenerlass schließen die Euro-Länder weiter kategorisch aus. Um die akuten Finanzprobleme - Athen braucht unter anderem bis kommenden Montag mehr als 3,5 Milliarden Euro für die Rückzahlung an die Europäische Zentralbank - haben sich die Staatschefs erst gar nicht gekümmert. Die dringend nötige Brückenfinanzierung sollen die Finanzminister am Montag noch regeln.
"Alles in allem: die Vorteile überwiegen die Nachteile", findet Angela Merkel. "War eigentlich für die vielen Stunden sehr sachlich", kommentiert sie die Verhandlungen. Wo man in all dem denn überhaupt noch die griechische Handschrift erkennen könne, will ein Reporter wissen. "Naja, es gibt sie in Form des hohen Finanzmittelbedarfs. Es gibt sie in Form des Kompromisses, dass von 50 Milliarden Euro auch 12,5 Milliarden Euro für Investitionen in Griechenland verwandt werden. Es gibt schon Punkte, mit denen wir auf die griechischen Belange eingegangen sind".
Quelle: ntv.de