Mehr Macht für Kartellwächter Dieses Gesetz soll Abzocke künftig verhindern
06.07.2023, 20:42 Uhr Artikel anhören
Ein neues Kartellrecht soll Schnellschüsse wie den Tankrabatt, um Verbraucher zu entlasten, unnötig machen.
(Foto: picture alliance / pressefoto_korb)
Seit September vergangenen Jahres arbeitet die Ampel-Koalition unter Hochdruck an der laut Wirtschaftsminister Robert Habeck "größten Reform des Wettbewerbsrechts seit vielen Jahrzehnten". Wirtschaftsvertreter und Juristen laufen seitdem Sturm. Vor allem an der künftigen Macht der Kartellbehörde scheiden sich die Geister. Was erhofft sich die Politik von der Novelle, was war der Auslöser dafür, und was ändert sich?
Worum geht es bei der Gesetzesreform?
Das Bundeskartellamt als oberste Wettbewerbsbehörde bekommt deutlich mehr Befugnisse und Eingriffsmöglichkeiten in die Geschäftspolitik der Unternehmen. Die Ampel-Regierung will so Marktmissbrauch verhindern und Verbraucher und Verbraucherinnen vor überhöhten Preisen schützen. Bislang konnte das Kartellamt erst eingreifen, wenn ein Markt mindestens drei Jahre lang gestört war und das dann auch noch mindestens zwei Jahre so blieb. Das soll künftig schneller gehen. Beim Gesetzentwurf hat die Ampel-Regierung mächtig aufs Tempo gedrückt: Eine erste Fassung gab es im September, weniger als ein Jahr später hat der Bundestag das Gesetz nun verabschiedet.
Was war der Auslöser für das neue Gesetz?
Anlass für eine Novelle hatten die Preisausreißer an den Tankstellen im vergangenen Jahr gegeben. Die Verbraucher und Verbraucherinnen hierzulande mussten immer mehr für Benzin und Diesel zahlen, selbst als die Ölpreise, die infolge des Ukrainekriegs durch die Decke gegangen waren, schon wieder sanken. Die Kartellwächter hatten keine Handhabe dagegen. Was folgte, war eine breite Diskussion über die Marktmacht der Mineralölkonzerne.
Was genau wurde reformiert?
Die Kartellwächter können künftig vor allem schneller durchgreifen, wenn Preise etwa von Rohöl oder Lebensmitteln plötzlich nach oben schnellen. Konkret können sie schon dann Maßnahmen anordnen, wenn in ihren Augen lediglich "Störungen" des Wettbewerbs vorliegen – illegales Verhalten ist mit der Reform also keine Voraussetzung mehr. Bisher konnten die Wettbewerbshüter auch nur einen Bericht vorlegen, Missstände aber nicht selber abstellen.
Im Extremfall kann das Eingreifen des Kartellamts die "Entflechtung" eines Unternehmens oder auch die Abschöpfung von zu Unrecht erzielter Gewinnen bedeuten. Erträge aus Innovationen sollen bei der Gewinnabschöpfung ausdrücklich außen vor bleiben.
Müssen Unternehmen jetzt Angst vor einer Zerschlagung haben?
Eine Entflechtung bedeute nicht zwangsläufig die Zerschlagung eines Unternehmens, wie Wettbewerbsökonom Justus Haucap im Interview mit ntv.de sagt. Sie soll ausdrücklich nur als Ultima Ratio bei einer "erheblichen und fortwährenden Störung des Wettbewerbs" möglich sein. Der Gesetzentwurf orientiert sich hier an der Arbeit der britischen Wettbewerbsbehörde CMA. Als Beispiel nennt Haucap "eine organisatorische Trennung": "Bei der Post wäre das etwa, den Brief- und den Paketbereich in der Rechnungslegung transparenter voneinander abzugrenzen."
Wie sagen die Kritiker?
Etliche Branchenverbände - auch abseits der Mineralölwirtschaft - laufen seit Monaten Sturm gegen das Gesetzesvorhaben. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnte Ende Juni zum wiederholten Mal vor "Systembruch, der ein ausgesprochen negatives bis destruktives Signal für Investitionen und Innovation zum Schaden für den Wirtschaftsstandort Deutschland setzt". Der Handelsverband Deutschland (HDE) und die Tourismuswirtschaft stellen sogar die Verfassungsmäßigkeit infrage.
Im Kern lautet der Vorwurf, dass das Kartellamt zu viel Macht erhalte und die Reform ein Einfallstor für staatliche Willkür sei. Der Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) moniert, die Behörde könne künftig Unternehmen sanktionieren, obwohl sie gar nicht gegen das Gesetz verstoßen haben. Ein Expertengutachten der Universität Tübingen im Auftrag des HDE stützt die Befürchtung. Für die Rechtsunterworfenen sei "nicht erkennbar, wann eine Störung vorliegt: Sie können ihr Verhalten nicht so ausrichten, dass sie Zwangsmaßnahmen voraussehbar vermeiden", schreibt Autor Martin Nettesheim, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Europa- und Völkerrecht. Man müsse davon ausgehen, dass das Regelwerk "künftig die Gerichte beschäftigen" werde, zitiert die "Wirtschaftswoche" den Wettbewerbsökonomen und Präsident des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim, Achim Wambach. Wambach war von 2016 bis 2020 Vorsitzender der Monopolkommission und damit einer der Nachfolger Haucaps.
Gibt es andere Stimmen, die den Plan der Regierung unterstützen?
Die gibt es. Haucap beispielsweise hält die Verschärfung des Wettbewerbsrechts für nötig. Es gehe um "Gefahrenabwehr", wie er im ntv.de-Interview sagt. Unternehmen müssten sich "nicht erst verbotenerweise absprechen, um faktisch ein Kartell zu bilden. Es reicht, dass sie sich ohne Absprachen so verhalten. Dann agieren sie völlig legal, sorgen aber für überhöhte Preise".
Haucap war 2008 bis 2012 Vorsitzender der Monopolkommission. Den Tankrabatt als Reaktion auf die Preisexplosion an der Zapfsäule war in seinen Augen eine übereilte und nicht gut durchdachte Maßnahme. Die neue Gesetzeslage würde solche Schnellschüsse verhindern. Die Gefahr von Willkür aufseiten des Bundeskartellamtes sieht Haucap nicht, da alle Entscheidungen einer gerichtlichen Prüfung unterzogen werden können. Er hofft, dass sich das Kartellamt nach der Reform auch um die marktbeherrschende Stellung der Deutschen Post und der Deutschen Bahn kümmern wird.
Quelle: ntv.de