Wirtschaft

"Qualitätsdumping" bei SüßigkeitenWenn im Schoko-Müsli kaum noch Schokolade steckt

13.11.2025, 15:29 Uhr Laura-StresingLaura Stresing
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Joghurt mit Schokoladenmüsli: Steigende Kakaopreise verleiten Hersteller dazu, den Schokoladen-Anteil zu senken. (Foto: IMAGO/imagebroker)

Durch Klimawandel, Extremwetter und Missernten werden Kakao und Schokolade immer teurer. Damit Verbraucher trotzdem zugreifen, knausern Hersteller bei den wertvollen Zutaten. Ein genauer Blick auf die Verpackung zeigt, wie im Süßwarenregal getrickst wird.

Schokolade und Kaffee führen erneut die Liste der Lebensmittel an, die sich zuletzt am stärksten verteuert haben. Das geht aus den am Mittwoch vorgelegten Inflationsdaten des Statistischen Bundesamts hervor. Demnach sind Süßigkeiten aus Schokolade im Vergleich zum Vorjahresmonat um 21,2 Prozent teurer geworden. Für Kaffee zahlen Konsumentinnen und Konsumenten im Schnitt fast 22 Prozent mehr. Dabei haben sich Lebensmittel insgesamt im gleichen Zeitraum nur um 1,3 Prozent verteuert.

Die Gründe sind bekannt: Klimawandel, Extremwetter und Krankheitsbefall führen immer häufiger zu Ernteausfällen. Politische Krisen und Spekulationsgeschäfte treiben die Weltmarktpreise für die exotischen Bohnen zusätzlich in die Höhe. Schon Anfang 2024 zogen die deutschen Importpreise für Kakaobohnen und -masse extrem an. Im Vergleich zum Niveau von 2021 haben sie sich nahezu verdreifacht.

Die höheren Importkosten machen sich auch im Supermarktregal bemerkbar - allerdings mit deutlicher Verzögerung und in abgeschwächter Form. Schokoladenhersteller geben die Preiserhöhungen sozusagen häppchenweise weiter, um Käuferinnen und Käufer nicht abzuschrecken. Verbraucherschützer warnen jedoch bereits, dass der Blick aufs Preisschild allein nicht ausreicht: Oft greifen Lebensmittelkonzerne auf subtilere Taktiken zurück, um ihre Gewinne abzusichern.

Schokoriegel ohne Schokolade

Dass etwa viele Schokoladentafeln in diesem Jahr um zehn Gramm leichter wurden, ist in Deutschland bereits aufgefallen. Anderswo sparen Hersteller jedoch auch bei den Inhaltsstoffen. So berichtet die "New York Times", dass US-Anbieter längst reihenweise die Rezeptur ihrer Schokoriegel angepasst haben, um die Produktionskosten zu senken. Der verstärkte Einsatz minderwertiger Fette anstelle teurer Kakaobutter hat jedoch zur Folge, dass viele Marken das Wort "Milchschokolade" von der Verpackung streichen mussten.

Die deutschen Verbraucherschützen haben dafür schon einen Begriff geprägt: "Skimpflation" nennt es sich, wenn an wertvollen Zutaten gespart wird und dafür andere, günstigere Ersatzstoffe zum Einsatz kommen. Selten sind die Fälle so eindeutig und klar gekennzeichnet wie in den Beispielen der "New York Times". Doch auch in Deutschland ist bereits ein Produkt aufgetaucht, bei dem das Wort "Milchschokolade" nach einer Rezepturveränderung aus dem Titel verschwunden ist, wie eine Anfrage von ntv.de bei der Verbraucherzentrale Hamburg (VZHH) ergab.

Produktfotos zeigen, dass die von der Discounter-Kette "Action" vertriebenen, mit Schokolade überzogenen Rosinen inzwischen unter der Bezeichnung "Milk Chocolate Style Raisins" verkauft werden. In der neuen Zutatenliste ist von einem Überzug mit "Milchschokoladengeschmack" die Rede. Die 54 Prozent Vollmilchschokolade wurden unter anderem durch pflanzliches Fett und Kakaomasse ersetzt. "Schokolade darf nur mit Kakaobutter hergestellt werden beziehungsweise nur höchstens fünf Prozent Fremdfette enthalten, was aber in Deutschland vollkommen unüblich ist", erklärt Armin Valet von der VZHH gegenüber ntv.de.

Eine Umbenennung des Produkts war somit unvermeidlich, räumt auch "Action" auf Nachfrage von ntv.de ein. Dennoch handle es sich um eine Verbesserung. "Wir haben die Zusammensetzung des Produkts geändert, damit es weiterhin zum niedrigsten Preis erschwinglich bleibt und haben die Gelegenheit genutzt, den Geschmack und das Aroma zu verbessern", teilt die Pressestelle mit. Die neue Rezeptur werde von der "Action"-Kundschaft sogar bevorzugt, die Verkäufe seien gestiegen.

Vorher-Nachher-Vergleich-einer-Packung-Schoko-Rosinen-aus-dem-Discountermarkt
Vorher-nachher-Vergleich einer Packung "Schoko-Rosinen" aus dem Discountermarkt. (Foto: Verbraucherzentrale Hamburg / ntv.de)

Markenhersteller fürchten Imageverlust

Der Fall sei in Deutschland bislang eine Ausnahme und außerhalb des Billigsegments nur schwer umsetzbar, glaubt Verbraucherschützer Valet. "Markenhersteller werden diesen Weg wahrscheinlich nicht gehen, weil es einen öffentlichen Aufschrei geben würde", sagt er und erinnert an den Fall des Saftherstellers Granini. Dieser hatte im vergangenen Jahr aufgrund steigender Orangenpreise den Fruchtgehalt seiner Säfte so weit reduziert, dass die Getränke nur noch als "Nektar" verkauft werden durften. Weil Granini den Preis unverändert ließ, sei es trotzdem eine "Mogelpackung", befand die Verbraucherzentrale damals.

Doch nicht immer sind Rezepturveränderungen so offensichtlich, weiß Dorothee Seelhorst von der Verbraucherzentrale Niedersachsen. Manchmal findet sich auf der Verpackung zwar ein Hinweis auf eine "neue" oder sogar "verbesserte Rezeptur" - das könnte ein Signal sein, dass sich ein genauer Blick aufs Kleingedruckte lohnt. "Aber manchmal geht nur aus der Zutatenliste hervor, dass etwas an dem Produkt verändert wurde", sagt Seelhorst. In solchen Fällen ist das "Qualitätsdumping", wie Valet es nennt, besonders schwer zu durchschauen.

Das Portal "Lebensmittelklarheit" der Verbraucherzentralen soll für mehr Transparenz sorgen. Hier können Verbraucherinnen und Verbraucher Lebensmittel melden, von denen sie sich getäuscht fühlen. Die Expertinnen und Experten Verbraucherzentralen prüfen die Produkte, vergleichen Inhaltsstoffe und ermahnen Hersteller bei Versäumnissen. Aber: "Wir sind darauf angewiesen, dass uns Verbraucher auf Auffälligkeiten hinweisen", betont Valet.

"Kakaotropfen" statt Zartbitterschokolade

Manchmal kann bereits der Geschmack einen ersten Hinweis geben, wie ein in dem Verbraucherportal dokumentierter Fall zeigt: Demnach hatte ein Hersteller eines Schoko-Müslis die Stückchen aus echter Zartbitterschokolade heimlich, still und leise mit "Kakaotropfen" aus Dattelpulver, Reisextrakt und anderen Zusatzstoffen ersetzt. Das schmecke "billig und nicht mehr so lecker", so die Beschwerde einer Verbraucherin.

Auch die Verbraucherschützer bemängeln das Produkt. Zwar wurden Name und Bezeichnung des Müslis leicht verändert. Doch: "Gerade wenn eine wertgebende Zutat wie Schokolade wegfällt, sollte auf der Schauseite ein Hinweis auf die Änderung ins Auge springen. Alles andere ist intransparent und führt zu berechtigtem Ärger." Der Hersteller selbst räumt ein, die Rezeptur "moderat" angepasst zu haben, "um Preiserhöhungen zu vermeiden". Dabei sei gezielt daran gearbeitet worden, "das sensorische Erlebnis (Geschmack, Textur) möglichst nahe an der alten Rezeptur zu halten."

Der Fall zeigt auch, worin die hohe Kunst besteht: Die Konzerne wollen ihre Produktionskosten senken, ohne dass dies auffällt oder auf dem Etikett bekannt gegeben werden muss. Vor allem aber muss das Produkt weiterhin schmecken. "Die Rezeptur zu verändern, ist nicht so einfach", sagt Valet. "Das braucht Zeit – insbesondere, wenn man wenigstens nach außen die gleiche Qualität herstellen möchte."

Dennoch rechnet Valet fest damit, dass Hersteller immer besser darin werden, Qualitätsverluste zu verschleiern. "Gerade bei Produkten, die zusätzlich Schokolade enthalten und nicht nur aus Schokolade bestehen", steige die Wahrscheinlichkeit, dass am Kakao gespart wird. "Hier den Herstellern auf die Schliche zu kommen, wird sehr schwierig sein." Auch bei Süßigkeiten mit hohem Haselnussanteil führen steigende Rohstoffkosten bereits vermehrt dazu, dass mit neuen Zusammensetzungen experimentiert wird. Wenn am Ende aber wenigstens der Preis stimmt, werden Kundinnen und Kunden wahrscheinlich trotzdem zugreifen.

Quelle: ntv.de

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