Anleger ignorieren Risiken Gelassenheit macht Fed nervös
04.06.2014, 17:11 Uhr
Die Wall Street präsentiert sich robust.
(Foto: AP)
Für Börsianer scheint die Welt in Ordnung zu sein: Die Kurse steigen. Der US-Notenbank kommt dieser Überschwang ungelegen. Denn es gibt durchaus Gründe, sich lieber zurückzuhalten.
Die Gelassenheit der Finanzmärkte stimmt die Vertreter der US-Notenbank Federal Reserve zunehmend misstrauischer. Auf den Bildschirmen der Wall-Street-Händler erscheint die Welt als ein Hort der Stabilität. Dabei gibt es durchaus schlechte Nachrichten: Die US-Wirtschaft ist im ersten Quartal geschrumpft, der Aufkauf von Staatsanleihen durch die Fed wurde gedrosselt, die Obama-Regierung hat sich mit dem russischen Präsidenten Putin wegen der Krim-Krise in der Wolle, die Konjunktur in China hat sich abgekühlt und der Nahe Osten wird von Bürgerkriegen zerrissen.
Dennoch hat der Dow-Jones-Index seine dicken Gewinne aus dem letzten Jahr nicht nur verteidigt, sondern seit Jahresbeginn auch noch ein Prozent gewonnen. Die Renditen der zehnjährigen US-Anleihen sind gefallen, obwohl sich die Inflation von ihrem sehr niedrigen Niveau wieder etwas beschleunigt, was normalerweise einen Renditeanstieg auslösen würde.
Auch der Volatilitätsindex VIX deutet auf eine auffallende Ruhe der Investoren hin. Der VIX drückt die erwartete Schwankungsbreite des Aktienindex S&P 500 aus und wird von der Terminbörse Chicago Board Options Exchange veröffentlicht. Der VIX liegt schon seit 74 Wochen in Folge unter seinem langfristigen Durchschnittswert. Diese Stabilität hat es seit 2006 und 2007 nicht mehr gegeben. Ein hoher Wert beim VIX deutet auf einen unruhigen Markt hin und niedrige Werte weisen auf eine Entwicklung ohne starke Kursschwankungen hin. Der VIX wird deswegen auch "Angstbarometer" genannt. Derzeit hat Angst keine Konjunktur.
Auch die Zinsdifferenz von Anlagen mit etwas höherem und solchen mit geringem Risiko bleibt niedrig. Der Spread zwischen Investment-Grade-Anleihen von Unternehmen liegt im Vergleich zu US-Treasurys mit einem Prozentpunkt derzeit so niedrig wie seit Juli 2007 nicht mehr. Je geringer diese Zinsdifferenz, desto weniger risikoscheu sind die Investoren. Diese Entwicklungen treiben der Fed jetzt die Sorgenfalten auf die Stirn. Denn die Experten befürchten, dass Investoren zu wenig Angst vor dem Risiko haben und auch höhere Risiken eingehen. Die Konsequenzen daraus könnten ziemlich unangenehm werden, wie bei der Finanzkrise.
Ein weiteres Beispiel für die steigende Risikobereitschaft ist, dass im letzten Jahr zweimal so viele Junk-Bonds in US-Dollar emittiert wurden wie vor der Finanzkrise 2008. Nach Angaben des Finanzdatenanbieters Dealogic lag das Emissionsvolumen bei 366 Milliarden Dollar und das war ein Rekord. "Dies lässt auf ein großes Maß an Selbstgefälligkeit schließen", sagte Richard Fisher, Präsident der Federal Reserve Bank of Dallas, in einem Interview. "Wenn man selbstgefällig ist, kommt irgendwann die Zeit der bösen Überraschungen."
Entspannte Investoren
Allerdings hat die Fed selbst zur Beruhigung der Investoren beigetragen. Die Notenbank wiegt Investoren mit ihrer Ankündigung stets in Sicherheit, dass die Zinsen auch in Zukunft niedrig sein werden. In ihren offiziellen Mitteilung steht, der kurzfristige Zinssatz werde noch für einen "erheblichen Zeitraum" nahe Null liegen, wenn das Anleihenkaufprgramm oder auch "Quantitative Easing" Ende des Jahres ausgelaufen sein wird. Quantitative Easing bedeutet, dass die Fed Geld druckt, indem sie Staatsanleihen und andere Wertpapiere am Kapitalmarkt aufkauft. Die Fed will so die Wirtschaft ankurbeln, und nichts deutet darauf hin, dass sie von diesem Plan abweicht.
Der Markt glaubt den Zusicherungen der Fed jedoch mehr, als sie selbst es tut. Wenn man sich die an der Optionsbörse CBOT gehandelten Kontrakte der Fed Funds Futures anschaut, ergibt sich folgendes Bild: Demnach rechnen die Investoren für Dezember 2015 mit einer Federal Funds Rate von 0,6 Prozent. Die Erwartungen liegt damit deutlich unter der Fed-Projektion von 1 Prozent, die nach der März-Sitzung der Notenbank als Median-Schätzung veröffentlicht wurde. Die Terminmärkte signalisieren weiter, dass die Rate dann ein Jahr später, also im Dezember 2016, bei 1,6 Prozent liegen dürfte. Dies wiederum wäre ein Wert unter der Median-Erwartung der Fed von 2,25 Prozent.
Der Leiter der New Yorker Fed, William Dudley, warnte in einer Frage-und-Antwort-Runde im vergangenen Monat, dass die ungewöhnlich niedrige Marktvolatilität zu einer höheren Risikobereitschaft der Investoren führe. Die Ruhe an den Finanzmärkten hatte die Fed in ihrer April-Sitzung bereits diskutiert und bei dem Treffen Mitte Juni könnte dies wieder auf die Agenda kommen. Allerdings neigen die Experten wohl eher dazu, über die Marktrisiken zu sprechen, als diesen mit vorsorglichen Maßnahmen, wie etwa einer frühen Zinserhöhung, zu begegnen. Obwohl die Risikobereitschaft zunimmt, sehen sie keine damit einhergehende Zunahme von Gefahren für die Stabilität des Finanzsystems als Ganzes.
Es wird erwartet, dass die Notenbank auf der Juni-Sitzung ihren Kurs beibehält. Das heißt, die milliardenschweren Geldspritzen für die Wirtschaft werden stufenweise weiter gedrosselt und der Leitzins bei praktisch null belassen. Für die Fed-Vertreter ist dies ein Balanceakt. Sie wollen die Zinsen zur Ankurbelung der Wirtschaft niedrig lassen und die Inflation in Richtung Zielwert von 2 Prozent steigen lassen, weil eine zu niedrige Inflation die Konjunkturerholung behindern könnte.
Allerdings ist die Fed durch die Finanzkrise auch ein gebranntes Kind. Die Notenbanker halten deshalb auch nach Anzeichen Ausschau, ob ihre lockere Geldpolitik gefährliche Nebenwirkungen auf die Finanzmärkte hat. "Das ist ihr hausgemachtes Problem. Sie können nicht beides haben", kritisiert Martin Barnes, Chefvolkswirt bei der Investment-Beraterfirma BCA Research. "Wenn sie eine Null-Zins-Politik wollen, wie können sie dann erwarten, dass dies keine Auswirkung auf die Risikobereitschaft hat und zu Exzessen führt?", fragt Barnes.
Esther George, Präsidentin der Kansas City Fed, ist wie ihr Kollege Richard Fisher skeptisch gegenüber der Null-Zins-Politik der Notenbank eingestellt. Sie fordert, dass die Fed die Zinsen energischer als geplant erhöht, um gefährliche Nebenwirkungen zu vermeiden. Esther George vertritt mit ihrer Meinung eine Minderheit und hat in diesem Jahr bei der Zinspolitik kein Stimmrecht. "Ich befürchte, dass wenn man die Zinsen sehr niedrig belässt bis ins späte Jahr 2016 hinein, die Finanzmärkte noch weiter angeheizt werden. Die Investoren streben nach Renditen in einer Wirtschaft, die auf voller Leistung läuft, was langfristig ein nachhaltiges Wachstum gefährden könnte", sagte Esther George.
Quelle: ntv.de, DJ