Offshore-Ausbau gescheitert? "Uns fehlen Hafenflächen und auch Schiffe"
14.07.2023, 17:39 Uhr
Auf See werden Windkraftanlagen von Schiffen mit Jack-up-Beinen aufgestellt, damit sind sie schwimmende Plattformen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Im Juni räumt Siemens Energy große Probleme bei den Turbinen seiner Windkraft-Tochter Siemens Gamesa ein. An Qualitätsproblemen der Hersteller wird der deutsche Windkraft-Ausbau aber nicht scheitern, sagt Karina Würtz. "Das ist deren Kerngeschäft, die schaffen das", erklärt die Geschäftsführerin der Stiftung Offshore-Windenergie. Die frühere Leiterin eines Nordsee-Windparks bescheinigt allerdings der gesamten Branche Wachstumsprobleme, weil die Betreiber der Windparks immer größere Anlagen mit immer mehr Leistung verlangen. Diese Entwicklung koste die Hersteller nicht nur viel Geld, sondern verursache immer neue Kinderkrankheiten, die erst mit der Zeit behoben werden könnten, sagt Karina Würtz im "Klima-Labor" von ntv.de. Das entscheidende Nadelöhr des deutschen Windkraft-Zubaus aber wird die Installation der Offshore-Giganten sein: Für die riesigen Bauteile fehlen Lagerflächen in den Häfen und Spezialschiffe. "Wir brauchen immer größere Schiffe, weil auch die Turbinen immer größer werden."
ntv.de: Werden unsere Windparks bald heruntergeregelt oder abgeschaltet, weil alle Windräder kaputt sind?
Karina Würtz: Nein. Heruntergeregelt werden Windräder in der Regel, weil zu viel Strom im Netz ist. Das hat man vergangene Woche gesehen. Als es windig war und die Sonne schien, lag der Strompreis an der Strombörse bei minus 40 Cent pro Kilowattstunde. Aber das ist ein anderes Thema als Anlagen abzuschalten, weil sie kaputtgehen oder, weil einzelne Komponenten reparaturbedürftig sind. Dieser Verschleiß ist einkalkuliert und eingepreist.
Was genau läuft denn schief bei Siemens Gamesa?
Das große Problem sind die unsteten politischen Ausbauziele. In Deutschland hat sich das 2021 manifestiert, als praktisch gar nichts mehr gebaut wurde. Das hat sich aber abgezeichnet, denn Offshore ist ein Geschäft mit fünf bis zehn Jahren Vorlauf. Das andere Problem war Corona. Die Branche hatte große Schwierigkeiten, ihre Komponenten zu bekommen. Viele Bauteile kommen nicht aus Europa, es muss viel transportiert werden. Die Frachtraten sind hochgegangen und die Kosten auch - durch die Inflation noch mehr. Jetzt müssen Hersteller wie Siemens Energy damit leben, dass sie die gestiegenen Preise nicht an ihre Kunden weitergeben können.
Aber das erklärt ja nicht, warum Siemens Energy vor hohen Ausfallraten der Turbinen warnt, seine Gewinnprognose kassiert und der Aktienkurs um 35 Prozent einbricht.
Ich kann ich mir nicht vorstellen, dass die Reaktion auf Börsenseite dauerhaft so bleiben wird. Eine zusätzliche Reparaturkampagne kommt nie gut an, aber Serviceleistungen wie Entstörung und Wartung gehören zum Kerngeschäft der Hersteller. Die Anlagen schmeißen herstellerübergreifend immer mal Fehler und müssen stillgelegt werden. Dann schickt man ein Team hin, macht eine Bestandsaufnahme und überlegt, ob die Anlage neu gestartet oder etwas anderes gemacht werden muss. Muss das Öl ausgetauscht werden? Hat man das falsche Schmiermittel genommen? Das ist ein Lernprozess. Aktuell haben wir das Problem, dass die Anlagen und somit auch die Bauteile und die Lasten immer größer werden.
Die Probleme treten nicht nur bei Gamesa auf, sondern betreffen die gesamte Branche, aber Gamesa steht durch die Verbindung zu Siemens im Fokus?
Gamesa befindet sich in einer schwierigen Phase, aber alle Hersteller haben unter der Pandemie und dem Ausbaustopp gelitten. Sie leiden auch unter der Inflation und dem neuen Auktionsregime für die Ausbauflächen. In Deutschland sagt man jetzt: Wer am wenigsten finanzielle Unterstützung braucht, bekommt die Fläche. Das hat ein "Race to the bottom" ausgelöst, weil viele Entwickler sich diese Flächen erst einmal gesichert haben. Je mehr Fläche sie haben, desto mehr Druck können sie in Verhandlungen auf die Turbinenhersteller ausüben. Das machen sie auch, denn die Entwickler müssen ihre höheren Investitionen ja irgendwie ausgleichen.
Aber gerade, wenn die Lage so kompliziert ist, wäre es doch wichtig, dass die Turbinen möglichst selten repariert werden müssen. Es ist ja sehr aufwendig, immer einzelne Teams zu defekten Windrädern auf See zu fahren.
Absolut, gerade im Winter. Aber der Punkt ist schlicht und ergreifend: Diese Anlagen sind eine Ansammlung von Technik und verschiedener IT-Systeme. Die werfen Fehler und müssen neu gestartet werden. Das ist wie bei einem Computer. Aber gerade die Turbinen von Siemens Gamesa und Vestas werden immer besser: Im Windpark Amrumbank West drehen sich Turbinen von Siemens mit einer Nennleistung von 3,6 Megawatt (MW). Ich habe Nordsee Ost geleitet, dort wurden 6,15 MW-Turbinen von Senvion verbaut. Damals war man der Meinung, das sei die natürliche Grenze. Im benachbarten Windpark Kaskasi drehen sich inzwischen 9er-Turbinen von Siemens Gamesa.
Das haben wir auch gehört: Moderne Windräder sind deutlich leistungsfähiger, als man früher dachte.
Ja. Das sind große Schritte von einer Systemplattform auf die nächste. Die Anlagen werden größer und schwerer und brauchen deswegen auch ein deutlich dickeres Fundament. Die Anlagen selbst sind auch sehr unterschiedlich. Manche Modelle von bestimmten Herstellern sind fehleranfälliger und reparaturbedürftiger als andere.
Und die Turbinen von Siemens Gamesa sind im Moment besonders reparaturanfällig?
Die scheinen gerade eine schlechte Phase zu haben, aber grundsätzlich gehören sie zu den besten auf dem Markt. Man geht bei neuer Technik auch von einem Reparaturbedürftigkeitsverlauf aus, der einer Badewannenkurve folgt: Am Anfang geht die Verfügbarkeit neuer Systeme in den Keller, weil man Kinderkrankheiten ausmerzen muss. Dann laufen sie irgendwann einigermaßen stabil, bevor die Fehlerrate nach ein paar Jahren wieder deutlich zunimmt.
Durch den Verschleiß?
Ja. Deswegen müssen regelmäßig Komponenten ausgetauscht werden. Das ist an Land genauso, aber dort bekommt man es nicht mit, weil es viel weniger aufwendig ist.
Werden diese Probleme denn bei den Ausbauzielen eingepreist oder wird lieber ohne Fehler gerechnet?
Es gibt in der Projektentwicklung sicherlich Tendenzen, dass man sich die Welt ein bisschen schöner macht, als sie wirklich ist. Erst im Betrieb merkt man: Hoppla, daran habe ich gar nicht gedacht. Das kostet jetzt extra. Aber kein Hersteller will langfristig Geld verlieren. Wer also Erfahrung mit dem Offshore-Betrieb hat, wird das sicherlich einpreisen.
Und die Hersteller verlieren Geld, weil sie für einen gewissen Zeitraum eine Gewährleistung übernehmen, wie man es von anderen elektronischen Geräten kennt?
Ja, sie bieten eine Gewährleistung an, verkaufen ihre Turbinen in der Regel aber auch mit einer Mindestverfügbarkeit: Diese Anlage läuft mindestens x Stunden im Jahr. Und wenn man es noch weitertreibt, soll die Anlage bitte auch in den Stunden verfügbar sein, wo viel Wind weht.
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Das wäre gut.
Man lernt dazu. Deswegen sind die Hersteller noch Jahre nach dem Bau im Windpark unterwegs und tauschen Komponenten aus. Es kann auch passieren, dass sich tatsächlich in der Herstellung ein Fehler eingeschlichen hat, der dann nicht nur bei einer Turbine, sondern bei allen auftritt, wo diese Komponente verbaut wurde. Das ist der sogenannte Serienschaden.
Offshore-Windparks sind auch noch ein relativ neues Konzept, kann das sein?
Ja. In deutschen Gewässern ist mit Alpha Ventus der erste Hochseewindpark 2010 in der Nordsee in Betrieb gegangen. Unsere Nachbarn haben ihre Gehversuche etwas früher gemacht. Aber Offshore nimmt aus gutem Grund eine entscheidende Rolle bei der Energiewende ein: Wind ist kostenfrei. Das ist ein nicht zu unterschätzender Faktor. Wir freuen uns, dass die Politik das erkannt hat. Es tut sich viel, die Ausbauziele steigen weltweit. Aber der Preisdruck ist extrem. Die einzelne Anlage wird immer größer. Dadurch braucht man weniger Stahl für die Fundamente. Aber größere Anlagen erfordern sehr viele Investitionen der Hersteller. Das muss man sich vorstellen wie im Automarkt: Autohersteller verdienen erst Geld, wenn sie in die Massenfertigung kommen. Deswegen werden bestimmte Modelle ewig und drei Tage mit nur kleinen Anpassungen vermarktet. Auf diese Weise kommen die Entwicklungskosten wieder rein. In dieser Situation sind die Turbinenhersteller leider noch nicht. Die fertigen nach wie vor Kleinstserien.
Weil sich technologisch sehr schnell sehr viel verändert?
Und weil die Käufer der Flächen und die späteren Betreiber die Hersteller vor sich hertreiben. Die fordern, dass Anlagen mindestens 15 MW leisten, sonst rechnet sich der Betrieb für sie nicht. Dort müssen die Hersteller hin, aber die Entwicklung kostet sehr viel Geld.
Wie teuer ist so eine Offshore-Anlage denn?
Das hängt davon ab, ob man die Installation dazu nimmt oder nicht. Im Moment kosten Turbinen 1,0 bis 1,5 Millionen Euro pro Megawatt. Das Fundament sind 6 bis 7 Millionen Euro extra. Dann kommen noch die Kabel und natürlich die Installation dazu.

... müssen auch die Spezialschiffe für die Installation immer größer werden.
(Foto: picture alliance / Jochen Tack)
Ein teurer Spaß.
Ja. In den meisten Fällen kommt in der Nordsee auch noch eine Umspannplattform dazu. Das ist sozusagen die Steckdose auf dem Meer. Dort wird der Strom der einzelnen Turbinen gesammelt, in Gleichstrom umgespannt und an Land gebracht, um Übertragungsverluste zu minimieren. In der Ostsee sind die Distanzen zur Küste deutlich geringer, deswegen muss man das da nicht so kompliziert machen.
Wirtschaftsminister Robert Habeck hat davon gesprochen, dass zusammen mit anderen Anrainern in wenigen Jahren ein Äquivalent von 50 Atomkraftwerken in der Nordsee stehen wird. Sind das realistische Ziele, wenn man diese Probleme betrachtet?
Ich halte sie nicht für realistisch, das liegt aber nicht an den Turbinenherstellern. Das ist deren Kerngeschäft, die schaffen das. Aber bis 2030 eine Leistung von 30 Gigawatt zu installieren oder bis 2040 mindestens 40 Gigawatt … Das wird schwer, weil uns Hafenflächen fehlen. Wir haben bei Weitem nicht genug Umschlagflächen und schwerlastfähige Flächen, die in der Lage wären, diese Ausbau-Spitze aufzufangen. Denn bis 2028 wird nur wenig Windkraft hinzugebaut. Dann ist für drei Jahre ein massiver Zubau geplant. Danach wird er wieder zurückgefahren. Auf diese Kurve kann sich keine Infrastruktur vorbereiten. Das lohnt sich gar nicht.
Das betrifft auch nicht nur Hafenflächen, sondern mindestens genauso die Schiffe. Auch die Fundamente für die Turbinen werden ein Problem sein, die benötigen nämlich ebenfalls schwerlastfähige Flächen mit einer Kaikante am Hafen. Wir und unsere Nachbarn greifen ja alle auf dieselben Ressourcen zu.
Uns fehlen Schiffe?
Das sind in der Regel spezielle Installationsschiffe für Offshore-Komponenten. Die Fundamente, die Türme, die Blätter und auch die Gondel - das ist alles groß und schwer. Allein für die Installation hat sich ein Markt herausgebildet. Diese Schiffe müssen in der Regel auch Jack-up-Beine haben, denn eigentlich sind es schwimmende Plattformen, die am Ort des Geschehens ihre Beine ausfahren, fest auf dem Meeresboden stehen und dem Kran genügend Stabilität geben, damit das Schiff nicht ins Schlingern gerät, wenn er mit seinem Ausleger die Komponenten hebt.
Kann man diese Schiffe nicht bauen? Die Komponenten stauen sich ab 2028 an den Hafenkanten?
Wenn man bis dahin die nötigen Flächen hat, ja. Tatsächlich brauchen wir sogar immer größere Schiffe, weil auch die Turbinen immer größer werden.
Das klingt nach einem ziemlich schlechten Plan. Und wir haben noch nicht einmal über die fehlenden Monteure gesprochen.
Ja (lacht). Wir haben an dieser Stelle industriepolitisch eine mächtige Flanke offen. Das adressieren wir auch seit geraumer Zeit. Aber diese Erkenntnisse müssen in der Politik noch bei einigen einsacken. Die glauben doch sehr an die unsichtbare Hand des Marktes, die alles regelt. Das wird sie auch, aber dann wird sehr viel Fertigung und Lagerung nach China gehen. Das sieht man bereits: Ein Windpark, der sich gerade in Planung befindet, hat bekannt gegeben, dass man die Fundamente aus China bezieht, weil die europäischen Hersteller bereits ausgelastet sind.
Es werden riesige Fundamente von China nach Deutschland transportiert? Das ist doch verrückt. Sollte man sich nicht europäisch darauf einigen, die Ausbauziele anzupassen und auch den Entwicklern und späteren Betreibern der Windparks mitteilen, man möge bitte auch kleinere Windräder installieren, für die Lagerflächen und Schiffe vorhanden sind?
Das kann man natürlich machen. Dann würden die Entwickler und Betreiber aber noch einmal über den Strompreis verhandeln wollen.
Mit Karina Würtz sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet.
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Quelle: ntv.de