Wirtschaft

Leere Regale in Supermärkten "Größte Rohstoffkrise seit Zweitem Weltkrieg"

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Besonders Speiseöl ist in Supermärkten derzeit ein knappes Gut.

(Foto: IMAGO/MiS)

In manchen Supermärkten sind Regale regelrecht leergefegt. Aus der Lebensmittelbranche heißt es, die Versorgungssicherheit sei zwar gewährleistet, der Blick in die Zukunft aber schwierig. Es werde zu "deutlichen Verknappungen" kommen.

"Nur in handelsüblichen Mengen" - das lesen Sie beim Einkaufen mittlerweile wieder häufiger. Vor zwei Jahren zu Beginn der Corona-Krise hingen Schilder mit diesen Aufschriften an den Regalen mit dem Toilettenpapier, jetzt sehen wir sie unter anderem beim Speiseöl. Russlands Krieg gegen die Ukraine sorgt für eine schwere Versorgungs- und Handelskrise.

Einerseits werden Saatflächen in der Ukraine durch russische Angriffe zerstört, andererseits kann ohnehin weniger exportiert werden, weil Russland sämtliche ukrainische Häfen beschädigt oder sogar vollständig zerstört hat.

So wird zum Beispiel das weltweite Getreide-Angebot knapper. Die Ukraine war bislang für 14 Prozent der weltweiten Getreideexporte - also Weizen, Gerste und Mais - verantwortlich. Im Zuge des Krieges wird das nicht zu halten sein. Der ukrainische Landwirtschaftsminister Mykola Solskyj geht derzeit davon aus, dass sein Land 25 bis 50 Prozent der Ernteerträge einbüßen könnte.

Ausverkauftes Mehl liegt nicht am Krieg

Beim Getreide sind Deutschland und die EU zwar autark, das heißt, überhaupt nicht auf Importe angewiesen. Leergefegte Regale, wo eigentlich das Mehl steht, suggerieren in diesem Fall, es gäbe eine Knappheit. Die aber nur entsteht, weil manche Menschen bestimmte Lebensmittel hamstern. "Supermärkte sind generell darauf ausgelegt, dass die Menschen in haushaltsüblichen Mengen kaufen. In Ausnahmesituationen wie aktuell gilt das leider für viele nicht mehr. Das ist ein Problem, denn wenn wenige Menschen viel kaufen, haben viele wenig", sagt Christian Böttcher, Sprecher des Bundesverbands des Deutschen Lebensmittelhandels, im ntv-Podcast "Wieder was gelernt".

Beim Speiseöl gestaltet sich die Situation etwas anders. Hier liegt es nicht einzig an Hamsterkäufern, dass manche Regale leer sind. "Die Ukraine ist der weltweit größte Exporteur von Sonnenblumensaaten, aber auch Sonnenblumenrohöl. Davon bleibt auch Deutschland nicht verschont. Es sieht hier wirklich schlecht aus, vor allem beim Sonnenblumenöl", so Böttcher. Die Speiseöl-Situation werde auch mittelfristig kompliziert bleiben, merkt der Sprecher an. "Die Menschen in der Ukraine haben gerade natürlich Dringenderes zu tun, als sich um unsere Ölversorgung zu kümmern."

Erdgaskosten um fast 400 Prozent gestiegen

Für das ein oder andere leere Regal ist ohnehin nicht einzig Russlands Krieg gegen die Ukraine verantwortlich. Die Lebensmittelindustrie stehe seit Jahren unter Stress, sagt Stefanie Sabet, eine der Geschäftsführerinnen der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, im Podcast. "Das ist die größte Rohstoffkrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Situation war schon vor dem Krieg und der Pandemie sehr angespannt, hat sich dann durch Corona intensiviert und jetzt ist natürlich noch mal ein erhebliches Maß an Anspannung und Herausforderung obendrauf gekommen."

Wo finde ich "Wieder was gelernt"?

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Die zentralen Kostentreiber in der Ernährungsindustrie sind die gestiegenen Energiepreise. Allein im vergangenen Jahr sind die Erdgaskosten der Branche innerhalb der Europäischen Union im Vergleich zu 2020 um fast 400 Prozent gestiegen. Ebenfalls eklatant fallen die Kosten für Frachtcontainer aus: hier gab es einen Anstieg um mehr als 200 Prozent. Und auch Holzpaletten, dringend benötigt für den Warentransport, sind um mehr als die Hälfte im Preis gestiegen - innerhalb von nur einem Jahr. Als wäre das nicht schon problematisch genug, ist der Fachkräftemangel in der Lebensmittelbranche besonders groß, so fehlen nicht erst seit gestern Tausende LKW-Fahrer.

Weniger Bürokratie gefordert

Die Angst vor leeren Regalen treibt aktuell auch Süßigkeitenhersteller um. Der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie warnt vor einer Situation in "existenzbedrohendem Ausmaß". Grund sei die drohende Gasknappheit. Damit Unternehmen nicht pleitegehen, wird die Politik aufgefordert, unbürokratisch zu helfen. Die Politik müsse "alle Maßnahmen prüfen, die dazu beitragen, dass die Hersteller von Lebensmitteln weiter produzieren können", hieß es vom zuständigen Verband.

Stefanie Sabet sieht das ähnlich. Ganz konkret fordert sie zum Beispiel Ausnahmen bei der sogenannten Deklarationspflicht. Demnach müssen die Inhaltsstoffe eines Produkts natürlich auch auf der Verpackung stehen. Das gilt auch dann, wenn sich die Inhaltsstoffe nur geringfügig ändern, wenn zum Beispiel statt des knappen Sonnenblumenöls Rapsöl verwendet wird. Ziemlich aufwändig, gerade in diesen Zeiten könne man die Regeln lockern, um die Etikettierungen nicht austauschen zu müssen, schlägt Sabet vor. "Klar, alles, was Allergene sind, muss natürlich gekennzeichnet sein, aber wir brauchen hier eine gewisse Flexibilität bei den Behörden. In Deutschland funktioniert das ganz gut, aber nicht im gesamten EU-Binnenmarkt."

Versorgungssicherheit ist (noch) gewährleistet

Die Unternehmen in der Ernährungsindustrie seien an der Belastungsgrenze, macht Stefanie Sabet deutlich. Aber Grund zur Sorge, dass flächendeckend Regale in den Supermärkten leer bleiben, bräuchten wir derzeit trotzdem noch nicht zu haben. "Ich weiß, dass ganz viele Verbraucher derzeit besorgt sind, aber aus unserer Sicht muss man keine Sorgen haben, dass man seinen Einkaufswagen nicht voll kriegt. Da sollte man auch Vertrauen in die Lieferketten haben. Wir haben das schon mal unter Beweis gestellt, dass wir das auch in schwieriger Situation hinkriegen und wir werden das auch diesmal schaffen."

Die Versorgungssicherheit könne derzeit aufrechterhalten werden, macht die Verbandschefin deutlich. "Aktuell haben wir vor allem eine Preisexplosion. Was wir nicht absehen können, sind natürlich die mittel- und langfristigen Folgen für die Versorgungssicherheit", sagt Sabet. Es zeichnet sich aber jetzt schon ab, dass es eine Düngemittel-Knappheit geben wird, dass die Aussaat in der Ukraine ausfallen oder zumindest deutlich reduziert wird. "Das heißt, wir werden in Zukunft eine deutliche Verknappung im Angebot sehen und können jetzt noch nicht abschätzen, wie groß die Verknappung ausfallen wird."

"Wieder was gelernt"-Podcast

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.

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Quelle: ntv.de

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