Wirtschaft

Sanktionen oder kreative Flucht? "Russland hat die Raiffeisen Bank als Geisel genommen"

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Die Raiffeisen Bank soll in Russland etwa 60 Prozent ihrer Gewinne verdienen.

Die Raiffeisen Bank soll in Russland etwa 60 Prozent ihrer Gewinne verdienen.

(Foto: picture alliance/dpa/TASS)

Die Raiffeisen Bank hat es sich mit allen verscherzt. Mit der Ukraine. Mit den USA. Mit der EU. Denn gut zwei Jahre nach Kriegsbeginn verdienen die Österreicher noch immer prächtig in Russland und versuchen das Unmögliche: Das Land zu verlassen, ohne das Geld zu verlieren.

Wenn die Kassen klingeln, ist der Ruf egal - so lässt sich die österreichische Raiffeisen Bank beschreiben. Denn auch zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine hat sie das Land nicht verlassen. Für die Ukraine ist sie deswegen ein internationaler Sponsor des Krieges.

Auch die USA sind kein Fan der Bank. Anfang März besuchte eine Spitzenbeamtin des US-Finanzministeriums die Wiener Zentrale. Anna Morris ist auf illegale Geldströme aus Ländern wie Russland spezialisiert und vermutet, dass die Raiffeisen Bank dem russischen Oligarchen Oleg Deripaska hilft, Sanktionen zu umgehen. Die EU-Kommission hegt einen ähnlichen Verdacht.

Wladislaw Inosemzew (l.) war früher Professor an der Lomonossow-Universität in Moskau und von 2009 bis 2011 Berater des damaligen Präsidenten Dmitri Medwedew. Zudem entwarf der Ökonom das Programm von Michail Prochorow, mit dem der Geschäftsmann 2012 bei der russischen Präsidentschaftswahl antrat. Seit Herbst 2021 lebt der Ökonom in Washington, D.C. und ist Sonderberater des Middle East Media Research Institute (MEMRI) in Russland-Fragen.

Wladislaw Inosemzew (l.) war früher Professor an der Lomonossow-Universität in Moskau und von 2009 bis 2011 Berater des damaligen Präsidenten Dmitri Medwedew. Zudem entwarf der Ökonom das Programm von Michail Prochorow, mit dem der Geschäftsmann 2012 bei der russischen Präsidentschaftswahl antrat. Seit Herbst 2021 lebt der Ökonom in Washington, D.C. und ist Sonderberater des Middle East Media Research Institute (MEMRI) in Russland-Fragen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Warum tut sich die Raiffeisen Bank diesen Ärger an? Sie darf in Russland mehr Geld verdienen als jede andere Bank, wie der russische Ökonom Wladislaw Inozemsew im ntv-Podcast "Wieder was gelernt" erklärt. "Wenn Ihnen aktuell 200 US-Dollar auf Ihr Konto bei der Raiffeisen Bank in Russland überwiesen werden, teilt Ihnen die Raiffeisen Bank mit, dass Sie nur 50 US-Dollar erhalten, weil die Provision 150 US-Dollar beträgt. So macht die Raiffeisen Bank Geschäfte. Keine russische Bank darf auch nur daran denken, solche Provisionen und Gebühren einzuführen, aber bei der Raiffeisen Bank unternehmen die russische Zentralbank und die russische Kartellbehörde nichts."

Monopol für westliche Transaktionen

"Beim österreichischen Geldhaus Raiffeisen Bank International (RBI) sprudeln dank des umstrittenen Russlandgeschäfts Gewinne in Milliardenhöhe", hieß es vor gut einem Jahr bei ntv.de. Damals gab die kleine Bank aus Wien bekannt, dass sie im ersten Kriegsjahr fast 3,5 Milliarden Euro Gewinn gemacht hatte. Knapp die Hälfte davon stammte Experten zufolge von der russischen Tochter in Moskau. Laut dem russischen Botschafter in Österreich waren es sogar 60 Prozent. Als einzige westliche Bank steht die Raiffeisen Bank auf der Liste der 13 systemrelevanten Kreditinstitute in Russland.

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Denn das Wiener Geldhaus besitzt in Russland eine Art Monopol für alle Transaktionen zu westlichen Banken. "Sie ist ein Bindeglied zwischen dem russischen und dem westlichen Bankensystem und kann deshalb eine Menge Geld in Russland verdienen", sagt Ökonom Inozemsew. Es gibt nur ein Problem: Nach Beginn des Angriffs auf die Ukraine hat die russische Notenbank Kapitalkontrollen verhängt, um zu verhindern, dass speziell westliche Unternehmen mit ihrem Hab und Gut ins Ausland flüchten. Das betraf und betrifft bis heute auch die russischen Einnahmen der Raiffeisen Bank.

Wer gehen will, kann gehen

Das Management der Bank kommentierte die missliche Lage eher wortkarg. Nach Kriegsbeginn hieß es monatelang lediglich, alle strategischen Optionen würden geprüft, hin zu einem gesteuerten Ausstieg aus Russland und Belarus. Erst im März 2023 sprach Raiffeisen-Chef Johann Strobl erstmals öffentlich über einen möglichen Verkauf der russischen Tochter - natürlich für einen entsprechenden Preis.

Das sei das große Problem, sagt Inozemsew. Wer gehen wolle, könne gehen. Jederzeit. Das hätten andere westliche Unternehmen vorgemacht. Aber wer geht, riskiert, alles zu verlieren. So wie zuletzt Carlsberg und Danone.

Putins Botschafter verspricht Schmerzen

Vermutlich dämmert der Raiffeisen Bank, dass die unverschämt hohen Provisionen nur ein Lockmittel waren, um sie jetzt erpressen zu können. Denn der russische Botschafter in Österreich warnte bereits im Dezember: Ein möglicher Rückzug der Bank aus Russland könne die Stabilität der Gruppe gefährden und würde "für die österreichischen Steuerzahler nicht schmerzlos über die Bühne gehen".

Ökonom Inozemsew wird deutlicher: "Russland hat die Raiffeisen Bank als Geisel genommen", sagt er im Podcast. Die Bank habe sich bereits mehrfach an die russische Zentralbank gewendet und um Rat gebeten. "Die russische Zentralbank kann aber keine Bedingungen für den Rückzug ausarbeiten. Das läuft in Russland anders. Hier gibt es eine Kommission für Auslandsinvestitionen, die der Regierung unterstellt ist. Am Ende entscheidet also Präsident Putin."

Letztlich bleiben der Bank genau zwei Möglichkeiten. Sie kann in Russland bleiben, wie früher sehr viel Geld verdienen und ihren schlechten Ruf im Westen akzeptieren, oder sie kann gehen und ihre lukrativste Sparte aufgeben. Oder etwa nicht?

Dubioses Tauschgeschäft

Denn möglicherweise hat die Raiffeisen Bank einen dritten Weg gefunden, um zumindest einen Teil ihrer russischen Einnahmen ins Ausland zu retten: ein Tauschgeschäft mit der russischen Firma MKAO Rasperia. Die besitzt 28,5 Millionen Aktien des österreichischen Baukonzerns Strabag. Das entspricht gut 24 Prozent des Unternehmens - im Wert von aktuell knapp 1,1 Milliarden Euro.

Im Dezember kündigte die Raiffeisen Bank an, Rasperia diese Aktien abkaufen zu wollen. Mutmaßlich würden sie anschließend als eine Form von Sachdividende an die Wiener Mutter übertragen. Kein Rubel hätte Russland verlassen. Jede Kopeke würde von einem russischen Konto auf ein anderes russisches Konto überwiesen. Die Kapitalkontrollen der russischen Zentralbank wären umgangen worden.

Der russische Oligarch

Doch hinter MKAO Rasperia steht der russische Oligarch Oleg Deripaska. Ihm gehören die Strabag-Anteile. Der enge Vertraute von Wladimir Putin wurde allerdings kurz nach Kriegsbeginn von EU und auch USA mit Sanktionen belegt. Brüssel und Washington vermuten nun, dass er persönlich von dem Tauschgeschäft der Raiffeisen Bank profitieren würde, was ein Verstoß gegen die Sanktionen wäre.

Deshalb hatte sich Anfang März Anna Morris, die Spitzenbeamtin des US-Finanzministeriums, in der Wiener Zentrale der Raiffeisen Bank angekündigt. Deswegen scheint auch die EU-Kommission die Geduld mit der Bank zu verlieren. Gespräche über Strafen für die Österreicher selbst machen bereits die Runde.

Wer kontrolliert Illiadis?

Das Tauschgeschäft allerdings ist ausgefuchst: Seit Ende März hat nämlich MKAO Rasperia selbst ebenfalls einen neuen Besitzer. Die Firma wurde zusammen mit den Strabag-Anteilen einem Unternehmen namens Illiadis übertragen. Das hat Strabag selbst mitgeteilt, nachdem der österreichische Konzern von Illiadis und auch Deripaska über das Geschäft informiert wurden.

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Der Grund scheint offensichtlich: Anders als bei Rasperia ist bei Illiadis unklar, wem die Firma gehört. Eine sanktionsrechtliche Prüfung könne daher nicht erfolgen, sagt Strabag in der Mitteilung. Der Konzern behauptet, er könne "nicht beurteilen, ob die Transaktion Auswirkungen auf den beabsichtigten Erwerb der Strabag-Anteile durch die Raiffeisen Bank hat".

Strabag lässt allerdings Vorsicht walten: "Die Gesellschaft geht weiterhin davon aus, dass die Strabag-Aktien der MAKO Rasperia gemäß EU-Sanktionsverordnung eingefroren sind."

Abwarten und hoffen

Die Raiffeisen Bank sieht es anders. Wo Strabag zweifelt, geben sich die Wiener Banker in einer Mitteilung überzeugt, dass der geplante Kauf der Aktien "in vollem Umfang mit allen geltenden Sanktionsvorschriften übereinstimmt". War die Transaktion also der finale Schritt eines raffinierten Plans, um das eigene Vermögen doch noch aus Russland herauszuschaffen?

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"Es wäre das bestmögliche Ergebnis", glaubt Wladislaw Inosemzew. Er drückt der Raiffeisen Bank die Daumen, dass der Plan aufgeht. Doch der Ökonom zweifelt noch immer, ob den österreichischen Managern bewusst sei, mit wem sie es hier zu tun hätten: "Die russische Regierung wird für dieses Geschäft Bedingungen stellen", warnt er. "Denn so wie ich die Lage in den vergangenen beiden Jahren verstanden habe, wird Moskau der Raiffeisen Bank nicht erlauben, zu ihren Bedingungen zu gehen."

Der Ökonom bringt im Podcast daher eine vierte Option ins Spiel: Nichts tun. Wie am Anfang. "Ich kann mich täuschen", sagt Inosemzew, "aber ich glaube, die Raiffeisen Bank wird abwarten und hoffen, dass der Krieg vorbeigeht und sie weiter Geschäfte in Russland machen kann."

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Quelle: ntv.de

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