Leere Tanklager in Frankreich Streik bedroht Flugbetrieb
16.10.2010, 17:18 UhrDie Proteste gegen die geplante Rentenreform in Frankreich könnten schon bald Behinderungen im europäischen Luftverkehr auslösen. Am Großflughafen "Charles de Gaulle" geht der Kerosinvorrat zur Neige. Sollte das wichtige Drehkreuz ausfallen, drohen europaweite Behinderungen. Auch immer mehr Tankstellen fallen aus.

Ein Land in Aufruhr: Die Reformbemühungen stoßen ein weiten Teilen der Bevölkerung auf Widerstand. Die genauen Zahlen sind Teil der Auseinandersetzung.
(Foto: AP)
Infolge der Proteste gegen die geplante Rentenreform in Frankreich könnte dem Pariser Großflughafen Roissy-Charles de Gaulle nach Regierungsangaben Anfang kommender Woche der Treibstoff ausgehen. Der derzeitige Kerosinvorrat reiche noch bis Montagabend oder Dienstag, sagte ein Sprecher des Umweltministeriums der französischen Nachrichtenagentur AFP. Es gebe aber "Wege, eine Lösung zu finden, den Flughafen zu beliefern". Die Wirtschaftszeitung "La Tribune" hatte vor dem Wochenende berichtet, die Kerosinreserven am Hauptstadtflughafen Roissy reichten nur noch für "48 Stunden", also mindestens bis Sonntagnachmittag.
Wegen der Rentenproteste sitzen in Frankreich bereits hunderte von Tankstellen auf dem Trockenen. "Es gibt sehr viele Tankstellen, die geschlossen sind, weil sie keinen Nachschub bekommen", sagte ein Vertreter des Kraftstoff-Importverbandes UIP. In allen zwölf französischen Raffinerien wurde weiter gestreikt. Doch räumte die Polizei am Morgen ohne Zwischenfälle die Blockaden von Beschäftigten vor mehreren Öl-Depots des Landes. Die Räumung der Blockaden hatte das französische Präsidialamt nach einem Treffen der zuständigen Minister angeordnet. Zugleich wurde aber eine Reihe neuer Öl-Lager von Streikenden blockiert.
Aufgrund der Streiks musste die Versorgungsleitung für die Pariser Flughäfen Orly und Roissy-Charles de Gaulle sowie für den Süden der französischen Hauptstadt und die Zentralregion unterbrochen werden. Für die Pipeline fehlte laut Betreibergesellschaft Trapil der Kraftstoff-Nachschub aus einer Raffinerie. Mit Blick auf etwaige Engpässe an den Pariser Flughäfen empfahl die zivile Flugbehörde im Ausland startenden Flugzeugen, vor dem Flug nach Frankreich mehr Treibstoff zu tanken, um in Roissy nicht nachtanken zu müssen. Zuvor hatte eine Trapil-Sprecherin gesagt, die Reserven in Orly würden noch für 17 Tage reichen, die genauen Reserven von Roissy seien ihr unbekannt. Von den Protesten gegen die geplante Rentenreform waren auch die wichtigen Öl-Häfen das Landes betroffen.
Gummigeschosse gegen Schüler
Landesweit gingen wieder tausende Schüler gegen die Rentenreform der Regierung auf die Straße. Bei Ausschreitungen am Rande der Schülerproteste wurden 22 Polizisten verletzt. Laut Erziehungsministerium kam es an rund 300 Schulen zu Beeinträchtigungen, laut Schülervertretung UNL an rund 900 Schulen. Zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei kam es im Stadtzentrum von Lyon und in einigen Pariser Vororten. Ein Polizeivertreter sagte aber, bei den jugendlichen Gewalttätern habe es sich nicht um Gymnasiasten gehandelt. Das Innenministerium teilte mit, es seien 22 Beamte verletzt worden. Die Polizei habe 264 Randalierer festgenommen.
Der Schüler, der am Donnerstag bei einem Polizeieinsatz gegen eine Schulblockade bei Paris schwer verletzt wurde, sollte am Freitag operiert werden. Die Polizeidirektion von Paris verbot nach dem Unglück den Einsatz von Gummigeschossen durch die Polizei. Innenminister Brice Hortefeux rief die Polizei nach den Ereignissen auf, "den Einsatz von Gewalt zu begrenzen".
Oppositionschefin Martine Aubry appellierte an die Regierung, die Beratungen über die Rentenreform einzustellen und einen Runden Tisch zu organisieren. "Wir werden uns an der Suche nach einer Lösung beteiligen", sagte sie dem Sender France 2. Sie erinnerte erneut daran, dass Sarkozy früher mehrfach betont hatte, dass er die Rente mit 60 nicht anrühren werde.
Frankreich zählt die Massen
Der Senat soll am nächsten Mittwoch über die Rentenreform abstimmen, ein zentrales Projekt der konservativen Regierung von Staatspräsident Nicolas Sarkozy. Umstritten ist vor allem die Erhöhung des Renteneintrittsalters von 60 auf 62 Jahre.
Für das Wochenende waren weitere Proteste gegen die Rentenreform geplant. Bereits am Dienstag waren nach Angaben der Gewerkschaften rund 3,5 Millionen Menschen auf die Straße gegangen, die Regierung sprach von 1,2 Millionen Demonstranten. Erstmals beteiligten sich in dieser Woche auch viele Schüler und Studenten an den Protesten.
In den vergangenen Tagen hatte es in Frankreich Diskussionen über die Glaubwürdigkeit der Teilnehmerzahlen gegeben. Die Zahlen der Gewerkschaften übersteigen die der Polizei oft um ein Vielfaches - in Paris liegen sie meist drei Mal so hoch, in Marseille auch schon zehn Mal so hoch. Innenminister Brice Hortefeux wollte am Wochenende Vorschläge vorlegen, um die Zählmethoden zu verbessern.
Quelle: ntv.de, AFP/dpa