Ein französischer Kachelmann? Was an DSK hängen bleibt
01.07.2011, 18:16 Uhr
Ankunft vor Gericht: Dominique Strauss-Kahn.
(Foto: REUTERS)
Die Zweifel an der Schuld von Dominique Strauss-Kahn elektrisieren Frankreich. Seine Partei wittert eine Chance, dass DSK - wie der Politprofi in seiner Heimat genannt wird - nun doch bei den nächsten Wahlen antritt. Muss Präsident Sarkozy das Comeback eines gefährlichen Rivalen fürchten?
Der derzeit prominenteste Angeklagte der Welt ist vielleicht unschuldig: Die Nachricht von der anderen Seite des Atlantiks setzt die politische Elite in Paris unter Strom.
Knapp sieben Wochen sah alles danach aus, als sei mit Dominique Strauss-Kahn der bis dato aussichtsreichste Anwärter auf die nächste französische Präsidentschaft erledigt - zur Strecke gebracht vom Vorwurf einer versuchten Vergewaltigung in New York. Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin, eines Zimmermädchens, stellen nun die Situation auf den Kopf. Für die Sozialistische Partei (PS) des 62-Jährigen sind die Entwicklungen hochbrisant. Denn sie plant schon ohne den gestürzten IWF-Chef für die Wahlen im Frühjahr 2012.
Was war passiert? Am 14. Mai , einem bis dahin ganz normalen Samstag im frühlingshaften New York City, holen US-Beamte den damaligen IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn am Flughafen JFK kurz vor dem Start nach Paris aus der Ersten Klasse einer Air-France-Maschine. Kurz darauf musste nicht nur Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren Terminkalender ändern. Sie hatte den einflussreichen Chef des Währungsfonds eigentlich tags darauf zu Krisengesprächen erwartet, die heikle Lage in Griechenland stand auf der Agenda. Daraus wurde nichts. Die Vorwürfe gegen Strauss-Kahn wiegen schwer, die US-Justiz greift hart durch - ohne Ansehen von Position und Macht des Verdächtigen. Der mächtigste Finanzfachmann der Welt in Handschellen? Binnen Minuten rast die Schlagzeile um die Erde: "Strauss-Kahn in New York verhaftet".
Schnell tauchen schmutzige Details auf: Der 62-jährige Franzose soll in einer 3000-Dollar-Luxus-Suite eines New Yorker Hotels nackt über ein Zimmermädchen hergefallen sein. Er soll sie bedrängt, auf das Hotelbett geworfen und zum Oralsex gezwungen haben. Die Hotelangestellte habe sich schließlich jedoch befreit und aus dem Zimmer flüchten können. Die 32-Jährige identifiziert später Strauss-Kahn als Täter. Bei einer DNA-Untersuchung sichert die Polizei Spuren, die einen intimen Kontakt zwischen dem Finanzexperten und der Frau belegen. Sollte Strauss-Kahn in einem Prozess schuldig gesprochen werden, droht ihm eine jahrelange Haft. Es ist ein internationaler Skandal. Ein politisches Erdbeben erschüttert Frankreich.
Wirklich nur "Science-Fiction"?
Am Sonntag, dem 15. Mai, weiß es längst die ganze Welt: Frankreich befindet sich in einer Art Schockstarre. Auf den Titelblättern aller Zeitungen gibt es nur ein Thema. Was heißt das für die französische Politik? Nervös blicken Börsianer in Richtung Washington. Ist der IWF ohne seinen Chef überhaupt noch handlungsfähig? Was geschieht nun mit Griechenland? Strauss-Kahn wird formell der versuchten Vergewaltigung, sexuellen Belästigung und Freiheitsberaubung beschuldigt. In einem Polizeirevier in Harlem identifiziert das Zimmermädchen, eine 32-jährige Einwanderin aus dem westafrikanischen Guinea, Strauss-Kahn als ihren Aggressor. Das juristische Verfahren steht im grellen Licht der Weltmedien: Ungeschützt steht Strauss-Kahn im Blitzlichtgewitter. Die Bilder des unrasierten "DSK" in Handschellen gehen um die Welt.
Montag, 16. Mai: Der IWF erklärt sich für "voll handlungsfähig". IWF-Vize John Lipsky übernimmt informell die Amtsgeschäfte. In Deutschland warnt die Bundesregierung vor einer Vorverurteilung. Über Schuld oder Unschuld müsse die New Yorker Justiz entscheiden, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert. Rechtsstaatlich gelte so lange die Unschuldsvermutung. Ein New Yorker Richter folgt der Argumentation der Staatsanwaltschaft und verweigert Strauss-Kahn wegen Fluchtgefahr eine Freilassung auf Kaution. Der Beschuldigte wird auf die Gefängnissinsel Rikers Island gebracht. In Paris wittern DSK-Anhänger eine Hetzkampagne. "Ich bin von einer internationalen Verschwörung überzeugt", sagt die sozialistische Politikerin Michèle Sabban. "Dies ist eine neue Form eines politischen Attentats."
Schockwellen bis in den Wahlkampf
Doch was passiert, wenn der Vorwurf der versuchten Vergewaltigung nicht haltbar ist? Kann Strauss-Kahn dann in die Politik zurückkehren? Kann er vielleicht sogar als Gegner von Präsident Nicolas Sarkozy bei den Präsidentschaftswahlen 2012 antreten? Der ehemalige sozialistische Premierminister Lionel Jospin bezeichnete die aufkommenden Zweifel am Wahrheitsgehalt der Vorwürfe bereits als "Donnerschlag" - in Anlehnung an die Formulierung, die Parteichefin Martine Aubry zu Beginn der Affäre gewählt hatte. Der Chefredakteur des Magazins "L'Express", Christophe Barbier, äußert sich vorsichtiger. Eine Kandidatur hält er allenfalls für hypothetisch denkbar. "Das ist Science Fiction", sagt Barbier. Aubry selbst wollte sich zunächst nicht äußern. Sie hoffe für ihren Freund DSK auf ein Ende des Alptraums, sagte die Tochter des Europapolitikers Jacques Delors.
Ungemütlich ist die Situation auch für Aubry selbst. Erst Anfang der Woche hatte die 60-Jährige nach langem Zögern angekündigt, für die Schwesterpartei der deutschen SPD Präsidentschaftskandidatin werden zu wollen. Viele hatten vor der DSK-Affäre erwartet, dass sie bei den Vorwahlen der Sozialisten nach US-amerikanischem Vorbild nicht gegen den bis dato hoch geschätzten Parteifreund antreten würde. Sollten sich die Zweifel an den Vorwürfen erhärten, könnte der Druck wachsen, ihm noch eine Chance zu geben. Mit Michèle Sabban forderte eine erste PS-Politikerin bereits, die Vorbereitungen für die Vorwahlen im Herbst auszusetzen.
Sarkozy könnten die Entwicklungen hingegen weiter in die Karten spielen. Sein konservativ-rechtes Regierungsbündnis darf darauf hoffen, vom möglichen Chaos bei der größten Oppositionspartei zu profitieren. Schon der unfreiwillige Rücktritt von Strauss-Kahn als Chef des Internationalen Währungsfonds IWF bescherte ihm einen unerwarteten Erfolg. In der Hast der Nachfolgedebatte gelang es Sarkozy, seine Wirtschafts- und Finanzministerin auf dem internationalen Topposten zu platzieren. Hätte Strauss-Kahn sich mit Blick auf eine Präsidentschaftskandidatur in Frankreich geordnet zurückgezogen, wäre der begehrte Job womöglich an ein anderes EU-Land gegangen.
Wie viel Affäre geht noch durch?
Kaum diskutiert wurde zunächst die Frage, ob Strauss-Kahn in moralischer Hinsicht noch das Zeug zum Kandidaten hat. Selbst wenn sich die Vergewaltigungsvorwürfe nicht bestätigen sollten, dürfte das wenig schmeichelhafte Bild eines chronischen Ehebrechers bleiben. Angesichts von Spermaspuren steht es nach derzeitigem Stand der Ermittlungen außer Frage, dass es am Mittag des 14. Mai zu sexuellen Handlungen in dem New Yorker Hotelzimmer kam. Strauss-Kahns Frau Anne Sinclair musste schon zu Beginn der Amtszeit ihres Mannes beim IWF eine Demütigung ertragen. Damals machte eine Affäre ihres Mannes mit einer ungarischen Mitarbeiterin Schlagzeilen.
Doch das alles fällt in den privaten Bereich: Ein außereheliches Verhältnis alleine galt in Frankreich bislang nicht als ernsthaftes Karriererisiko. Auch im Fall Strauss-Kahn stünde eine bloße Affäre - oder gar ein pikanter Erpressungsversuch, wenn auch von spektakulären Ausmaßen - einer Kandidatur im Pariser Präsidentschaftswahlkampf nicht entgegen. Hier gilt: Die Erregungskurven der französischen Politik folgen anderen Mustern als in Deutschland oder den USA. Und selbst dort muss "einvernehmlicher Sex" - samt aller Vorstufen und freiwillig praktizierten Spielarten - nicht automatisch zur totalen gesellschaftlichen Disqualifikation führen. Das haben Monica Lewinsky und Bill Clinton auf ihre ganz eigene Art und Weise eindrucksvoll bewiesen.
Triumphale Rückkehr nach Paris?
In den Straßen von Paris macht bereits das Wort von einer "vollständigen Rehabilitation" die Runde. Der tiefe Fall des Dominique Strauss-Kahn könnte - zumindest aus dem Blickwinkel der derzeitigen Opposition in Paris - durchaus noch in ein triumphales Comeback münden. Möglicherweise wäre dann der Aufenthalt auf Rikers Island nur eine Episode im Leben eines schillernden Ausnahmepolitikers - der dem derzeitigen Staatspräsidenten Nicolas Sarcozy dann durchaus ernsthaft gefährlich werden dürfte.
Eine ganz andere Dimension könnte die Affäre DSK allerdings noch erreichen, wenn die Anhänger einer internationalen Verschwörungstheorie tatsächlich handfeste Beweise für die Verwicklung von Hintermännern vorlegen könnten. Dann stünden New York, Paris und Washington nicht nur vor einer Art französisch-amerikanischen "Kachelmann" - dann hätte die Welt möglicherweise ein " " von nie gekannten Ausmaßen.
Quelle: ntv.de, mmo/AFP/dpa