Irrationale Angst am Himmel Das Risiko der Vielflieger
11.06.2009, 15:55 UhrSeit dem Flugzeugabsturz vor der Küste Brasiliens, der 228 Menschen das Leben kostete, vergeht kaum ein Tag ohne Meldungen über neue Zwischenfälle im weltweiten Luftverkehr. Viele sind beunruhigt: Ist Fliegen unsicherer geworden? Experten warnen vor Hysterie und falschen Schlüssen.

Eine Boeing 747 am Himmel über Singapur: Rein rechnerisch saß bereits die halbe Weltbevölkerung in Maschinen diesen Typs.
(Foto: REUTERS)
"So schlimm dieser Unfall ist - das Flugzeug gehört nach wie vor zu den sichersten Verkehrsmitteln", versichert Jan-Arwed Richter vom Flugunfallbüro JACDEC (Jet Airliner Crash Data Evaluation Centre) in Hamburg, das unter anderem die jährliche Sicherheits-Rangliste der 60 größten Fluggesellschaften herausgibt. Und die Statistik für die erste Hälfte dieses Jahres gibt seiner Einschätzung Recht.
"Obwohl auch in Zeiten der Wirtschaftskrise der Luftverkehr weiter zunimmt, ist die Zahl der folgenschweren Unfälle in den vergangen Jahren immer weiter zurückgegangen", sagt Richter. "Im vergangenen Jahr gab es rund um den Globus 598 Tote bei Flugzeugunglücken zu beklagen. Nur zum Vergleich: Im Straßenverkehr sterben jährlich mehr als 1,2 Millionen Menschen."
Für das erste halbe Jahr hat JACDEC 367 Tote bei Flugzeugunglücken registriert - die Opfer des Fluges AF 447 vom 1. Juni eingerechnet. "Trotzdem ist das kein Zeichen für eine Trendwende", sagt der Experte.
"Wenn nicht in der zweiten Jahreshälfte noch etwas Schlimmes passieren sollte, könnten die Vorjahreszahlen wieder erreicht werden - wenn auch vieles natürlich vom Glück abhängt - wie zum Beispiel die geglückte Notlandung auf dem Hudson-River in New York", sagt Richter. "Es wäre falsch zu hoffen, dass Unfälle völlig ausgeschlossen werden können. Das gilt für jedes Fortbewegungsmittel", betonen auch Psychotherapeuten in ihren Seminaren gegen Flugangst.
Täglich fünf Zwischenfälle
Auch am Donnerstag wurden Zwischenfälle gemeldet: "Airbus in Sibirien notgelandet, weil eine Scheibe gesprungen war", "Feuer im Cockpit - A330 in Guam notgelandet". Solche - bekanntgewordenen Vorkommnisse - sind nur ein Bruchteil vom täglichen Geschehen über den Wolken oder am Boden.
Der "Aviation Herald", der weltweite Zwischenfälle im Luftverkehr dokumentiert, meldet täglich um die fünf Unregelmäßigkeiten. Das reicht von der verhinderten Landung wegen eines erkannten Schadens in einer Landebahn über kleine Kollisionen am Boden und Sicherheitslandungen wegen eines Triebwerksausfalls bis zu schweren Unglücken.
"Natürlich ist nach einem schweren Unglück jeder sensibilisiert", sagt auch Luftfahrtexperte Jürgen Heermann. "Aber nüchterne Zahlen machen deutlich, wie selten doch wirklich größere Zwischenfälle sind und in welcher Relation man das sehen muss: Täglich sind weltweit über 25.000 Verkehrsflugzeuge im Einsatz, allein über Deutschland fliegen pro Tag 8000 Maschinen." Beeindruckend sei auch, dass allein im Jumbo-Jet Boeing 747, von dem 1400 Maschinen gebaut worden seien, bislang 3,5 Milliarden Menschen befördert wurden.
Selektive Risiko-Wahrnehmung
"Auch die Berichte im Aviation Herald - dazu zählt dann eben auch eine außerplanmäßige Landung wegen eines Risses in einer Scheibe - sind trotz der Zunahme im Luftverkehr dank immer besserer Technik und schärferer Überwachung nicht häufiger geworden", sagt JACDEC-Experte Richter und verweist auf das gängige Argument aller Berufsflieger: "Der gefährlichste Teil einer Reise ist immer noch der Weg zum Flughafen."
Fest steht: Allein vom Flughafen Frankfurt am Main aus sind im vergangenen Jahr mehr als 25 Millionen Passagiere gestartet. Sie alle haben ihr Flugziel wohlbehalten erreicht.
Quelle: ntv.de, dpa