Die Börse tanzt Ist Facebook 100 Milliarden wert?
14.06.2011, 13:56 UhrDie Kurse von Börsenneulingen schießen hoch, wenn sie irgendetwas mit sozialen Netzwerken zu tun haben. Während viele Anleger verzückt sind, fühlen sich andere an den Dotcom-Boom erinnert. Doch womöglich hat die Party noch gar nicht richtig angefangen: Facebook kommt ja noch vorbei.
Ob irrational oder nicht: Was derzeit an der Börse in Sachen Internet-Aktien stattfindet, ist zweifellos Überschwang. Börsengänge geraten zur Party. Investoren reißen sich um die Papiere vom Schnäppchenportal Groupon, dem Online-Karrierenetzwerk Linkedin oder dem russischen Suchmaschinen-Betreiber Yandex.
Die Kurse scheinen nur eine Richtung zu kennen: nach oben. So schießen die Papiere von Linkedin am ersten Handelstag zeitweise satte 120 Prozent in die Höhe. Das Netzwerk – im Kern eine mit Lebensläufen gefüllte Datenbank – ist plötzlich zehn Mrd. Dollar wert.
Das Ende der Party ist noch nicht in Sicht, denn der Höhepunkt steht ja erst noch bevor: Facebook hat sich angekündigt. Das soziale Netzwerk wird wohl im nächsten Frühjahr an die Börse gehen – und beabsichtigt, alle Rekorde zu brechen. US-Medien zufolge strebt Facebook eine Bewertung von 100 Mrd. US-Dollar an. Damit wäre das Unternehmen an der Börse mehr wert als Deutsche Bank, Deutsche Post und Deutsche Lufthansa zusammen.
Optimistische Investoren
Ist Facebook wirklich so kostbar? Einige Investoren scheinen davon überzeugt. Sie schrauben die Bewertung immer weiter nach oben. Im Juni 2010 war das Unternehmen mit 23 Mrd. Dollar bewertet worden, im Januar 2011 von Goldman Sachs mit mehr als doppelt so viel. Im März wollte ein Finanzinvestor bei Facebook einsteigen und taxierte das Netzwerk auf 65 Mrd. Dollar.
Nun stehen also 100 Mrd. Dollar im Raum. 100 Mrd. Dollar für ein Unternehmen mit 2000 Mitarbeitern – und mehr als 600 Millionen Nutzern. Dem Vernehmen nach erwirtschaftete Facebook von Januar bis September 2010 einen Umsatz von 1,2 Mrd. Dollar und verdiente unter dem Strich 355 Mio. Dollar. Doch das sind Schätzungen. Da Facebook nicht an der Börse notiert ist, muss es keine Zahlen vorlegen.
Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hatte es bisher nicht eilig gehabt, sein Unternehmen an die Börse zu bringen. Das Netzwerk hat genug Investorengelder. Allerdings dürfte der Gang an die Börse nach US-Regeln unausweichlich sein: Facebook wird voraussichtlich in diesem Jahr die Marke von 500 Anteilseignern übersteigen. Damit würden öffentliche Quartalsberichte Pflicht. Und wenn man schon seine Zahlen offenlegen muss, kann man genauso gut auch den Geldregen einer Aktienplatzierung mitnehmen.
Weniger Nutzer in den USA
Doch bis es soweit ist, lädt Facebook zum Träumen ein. Das erinnert an damals, Ende der 90er Jahre. Anleger stürzten sich auf alles, was auch nur im Entferntesten nach New Economy klang. Unternehmen, die weder Geld verdienten noch ein überzeugendes Geschäftsmodell hatten, waren Millionen wert. Doch die Spekulationsblase zerplatzte mit lautem Knall. Mittlerweile ruhen die Überflieger auf dem Friedhof der New Economy.
Ist die Blase zurück? Die Nutzerzahlen bei Facebook wachsen immer noch rapide – doch Kratzer in der Erfolgsstory sind dem Fachblog "Inside Facebook" zufolge nicht zu übersehen. In den vergangenen zwölf Monaten gewann das Unternehmen weltweit im Schnitt 20 Millionen neue Nutzer – im April waren es noch 13,9 Millionen und im Mai 11,8 Millionen. Dazu kommt, dass Facebook in den USA und einigen europäischen Ländern Nutzer verliert. So ging in den USA die Zahl der aktiven Nutzer von 155,2 Millionen auf 149,4 Millionen zurück. Das sind für Facebook keine katastrophalen Nachrichten, zumal in Indien eine Wachstumsrate von zehn Prozent verzeichnet wird. Doch Investoren könnte das dennoch zu denken geben. Technologie-Analyst Arun George von Altum Securities warnt Anleger vor einem Einstieg in soziale Netzwerke. "Ich denke, sie werden massiv überbewertet."
Doch andere Analysten widersprechen. So hält es Richard Holway von der Beratungsfirma Techmarketview nicht für ausgeschlossen, dass Facebook die hohen Erwartungen erfüllen kann. "Wie bei der Dotcom-Blase wird es eine kleine Zahl von Firmen geben, die es schaffen", betont Holway. "Aber für jeden Erfolg wird es 99 oder 999 Fehlschläge geben."
"Irrationaler Überschwang"
Analystin Debra Aho Williamson weist auf einen fundamentalen Unterschied zum Dotcom-Hype hin. Unternehmen wie Linkedin seien schon seit geraumer Zeit auf dem Markt und würden mit einem Börsengang abwarten. "Sie sind nicht erst gestern aufgetaucht und gehen heute an die Börse." Linkedin habe einen soliden Umsatz. Matt Brischetto von Pacific Crest Securities drückt es so aus: "Der Unterschied zwischen 2000 und 2011 ist, dass es sich um reale Unternehmen handelt, die Geld verdienen."
Doch wie Facebook genau sein Geld verdient, bleibt unklar. "Es ist tatsächlich ein Zeichen von irrationalem Überschwang in allem zu sehen, das mit sozialen Netzen zu tun hat", sagt deshalb Josh Bernoff von Forrester Research. "Es ist ein Enthusiasmus, der weit über die Unternehmens-Aussichten hinausgeht." "Diese sozialen Netzwerke haben enorme Möglichkeiten, Menschen einzubeziehen. Sie bieten damit Firmen ein großes Potenzial, potenzielle Kunden zu erreichen", ergänzt er. Das sei wirklich aufregend. Allerdings gebe es nun einmal Grenzen, wie viel ein Unternehmen wert sein kann.
"Die Leute gehen davon aus, dass eine Technologie-Firma ihren Platz für immer halten kann. Dabei gibt es immer einen neuen, der irgendetwas besser macht", sagt David Menlow von der auf Börsengänge spezialisierten Website ipofinancial.com – und erinnert an den Hype, den die Seite Myspace hervorrief, um kurz darauf von Facebook überrannt zu werden.
Womöglich wächst Facebook Konkurrenz aus China. Dort gibt es ein Netzwerk namens Tencent - seine Angebote werden von mehr als 650 Millionen Menschen genutzt. Tendenz: steigend.
Quelle: ntv.de, mit rts/dpa