Der Börsen-Tag Ökonomen zum dritten Rückgang in Folge beim ZEW-Index
10.08.2021, 12:04 UhrJörg Zeuner, Chefvolkswirt Union Investment: "Überraschen darf das kaum. Denn die Experten haben zuletzt so zuversichtlich wie selten in die Zukunft geschaut, im Vormonat waren es kaum fünf Prozent der Befragten, die für die kommenden sechs Monate mit einer Verschlechterung der Lage gerechnet hatten. Dass der Optimismus nachlässt, je länger ein Aufschwung dauert, liegt fast in der Natur der Sache. So wurde die aktuelle Lage erneut besser bewertet als im Vormonat und somit erfolgen die erwarteten weiteren Konjunkturverbesserungen von einem höheren Ausgangsniveau aus. Bemerkenswert ist, wie die befragten Finanzspezialisten den turbulenten Juli mitsamt der Verbreitung der neuen Corona-Variante und der angepassten Strategie der Europäischen Zentralbank in ihren Erwartungen verarbeiten. Trotz des neuen Inflationsziels rechnen weniger Spezialisten mit einer höheren Teuerungsrate auf Sicht von sechs Monaten als noch vor einem Monat. Die Angst vor einer anhaltend höheren Preisdynamik nach dem zu erwartenden Inflationshöhepunkt im vierten Quartal scheint also die Finanzexperten nicht umzutreiben. Dementsprechend haben sich auch die Erwartungen an steigende langfristige Zinsen nicht noch weiter erhöht. Die Rentenmärkte könnten also möglicherweise vor einem impulsarmen Spätsommer stehen. "
Thomas Gitzel, Chefökonom VP Bank: "Es ist nun der dritte Rückgang in Folge, im August geben die ZEW-Konjunkturerwartungen erneut deutlich nach. Die Signale der vom ZEW befragten Finanzmarktanalysen könnten kaum eindeutiger sein: Ab dem vierten Quartal werden die BIP-Zuwächse geringer ausfallen. Mehr noch: Die Konjunkturrisiken rücken nach Einschätzung der Finanzmarktprofis wieder in den Vordergrund. Es ist aus unserer Sicht dennoch nicht zu befürchten, dass nun schon in Bälde die nächste Rezession droht. Die ZEW-Konjunkturerwartungen bereiten uns aber auf wesentlich geringere Wachstumsraten vor. Gegenwärtig laufen noch Post-Corona-Nachholeffekte. Klar ist, dass diese nicht ewig währen können. Darüber hinaus macht auch die Delta-Variante der Welt zu schaffen. Die bereits in Kraft getretenen Restriktionen im Reiseverkehr sind bereits eine konjunkturelle Belastung, kommen weitere Eindämmungsmaßnahmen hinzu, könnte dies die Konjunktur erneut stark belasten. Wie ausgeprägt die Wachstumsnormalisierung ausfällt, hängt entscheidend einmal mehr am Virusverlauf. Allerdings wird auch noch eine Rolle spielen, ob sich in den Schlussmonaten des Jahres die Materialknappheit endlich in Wohlgefallen auflöst. Das denkbar ungünstigste Szenario wäre, wenn das Abebben der Nachholeffekte im Dienstleistungssektor auf eine heftige vierte Corona-Welle und eine fortgesetzte Materialknappheit trifft. Dann würde ein positive Wachstumsrate im vierten Quartal tatsächlich zur Zitterpartie."
Quelle: ntv.de