Warum nur? Dax im Rausch der Tiefe
18.08.2011, 17:49 Uhr
Laut Cognitrend verlassen die Bullen fast fluchtartig das Lager. Der Anteil der Optimisten sackt um 14 Punkte auf 43 Prozent, der der Bären wächst um 10 Punkte auf 33 Prozent.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Nerven der Marktteilnehmer werden wieder hart auf die Probe gestellt: Ohne große neue Nachricht rauscht der deutsche Leitindex in der Spitze sechs Prozent in die Tiefe. Am Ende des Tages verbucht er den größten Tagesverlust seit fast drei Jahren. Börsianer rätseln über die Ursache für den plötzlichen Kursrutsch. Fluchtinstinkt der Anleger oder "Fat Finger"?
Die Anleger haben sich in Scharen aus den europäischen Aktienmärkten zurückgezogen. Ohne konkrete neue Nachrichten verdoppelte der Leitindex am Nachmittag plötzlich prozentual seine Verluste und rauschte danach erst fünf Prozent, dann über sechs Prozent in den Keller.
Am Ende dieses nervenaufreibenden Handelstages landete der Dax bei minus 5,8 Prozent und 5.602 Punkten. Das Tagestief lag bei 5.535 Zählern.
Börsianer in Frankfurt sprachen von einem ganzen Schwall an Verkäufen im Dax-Future. "Vermutlich eine Reaktion auf das Unterschreiten der Wochentiefs um 5.700 Punkte im Future", meinte ein Händler. Man sei nun von Kopf bis Fuß auf das Erreichen neuer Jahrestiefs unter 5.500 Punkten eingestellt.
Schon Ende Juli und Anfang August hatte eine regelrechte schwarze Serie die internationalen Börsen in die Tiefe gerissen. Die Dimension der Kurseinbrüche hat mittlerweile das Niveau vom Herbst 2008 erreicht - also die Zeit der schweren Finanzmarktkrise im Zuge der Pleite von Lehman Brothers. Mit dem Verlust vom Donnerstag büßte der Dax nun einen großen Teil seiner Gewinne der vergangenen Woche wieder ein. Seit Anfang August aber verlor das Börsenbarometer mehr als 21 Prozent.
Der plötzliche Absturz gab den Marktteilnehmern allerdings einige Rätsel auf. Vermutungen, dass eine Fehleingabe eines Händlers, ein Fat Finger, Schuld sein könnte, ließen sich nicht belegen. Als plausibleres Szenario wurde am Markt die Vermutung gehandelt, dass sich beispielsweise ein großer Versicherer habe absichern wollen.
"Da mussten einige Anleger ihre Positionen decken", sagte ein Händler. Der Dax und die meisten Dax-Werte haben seit dem Juli-Verfall rund 18 Prozent verloren. "Da müssen einige handeln, was die Sache nicht einfacher macht", hieß es.
Gründe über Gründe
Allerdings könnte sich das Verbot von Leerverkäufen in einigen europäischen Staaten negativ auf den deutschen Leitindex ausgewirkt haben. Da dort das so genannte Short Selling zu rein spekulativen Zwecken untersagt sei, wichen einige Anleger offenbar auf den Dax aus, hieß es am Markt. Bei Leerverkäufen leihen sich Anleger Aktien, um diese sofort zu verkaufen. Sie wetten darauf, dass der Kurs weiter fällt und sie die Papiere billiger zurückkaufen können. Zum "shorten" eines gesamten Marktes oder einer Branche können Investoren aber auch Terminkontrakte auf einen Index wie zum Beispiel Dax-Future verkaufen.
Das unbefriedigende Ergebnis des deutsch-französischen Gipfels in dieser Woche trug einem Händler zufolge zur Verunsicherung bei. "Einige fürchten vor allem die Finanztransaktionssteuer." Präsident Nikolas Sarkozy und Bundeskanzlerin Angela Merkel hatten diese Abgabe auf Börsengeschäfte vorgeschlagen. Für zusätzliche Verunsicherung sorgte Händlern zufolge der kleine Verfall am Terminmarkt. Dort werden am Freitag die Optionen auf Indizes und Aktien fällig.
An der Wall Street sorgten eingetrübte Aussichten für die Weltwirtschaft für die deutlichen Kursverluste. Neben schwächer als erwartet ausgefallenen Konjunkturdaten lieferte die US-Bank Morgan Stanley mit ihrer gesenkten Prognose für das weltweite Wirtschaftswachstum einen weiteren Belastungsfaktor
"Es gibt derzeit einfach keine Kaufgründe, wir werden mit Sicherheit die Tiefs noch einmal testen", orakelte ein Händler vor diesem Hintergrund. Die Anleger seien sich im Unklaren darüber, ob es sich bei der gegenwärtige Konjunkturabschwächung lediglich um ein temporäres Nachlassen der Wachstumsdynamik oder den Beginn einer Rezession handele. Erst wenn sich eine Antwort auf diese Unklarheit abzeichne, dürften die Investoren wieder beherzt bei den Aktien zugreifen.
Raus aus zyklischen, rein in defensive Titel
Anleger, die am Aktienmarkt investiert sein müssen, schichteten um. Verkauft wurden zyklische Papiere von Autobauern und Technologieunternehmen, gekauft werden dagegen Pharma- und Telekomwerte.
Zu den Werten, die die geringsten Abschläge zu verzeichnen haben, gehörten Beiersdorf mit minus 2,1 Prozent. Infineon verloren 5,4 Prozent.
Im MDax fuhren die Aktien von Kabel Deutschland Achterbahn. zuletzt notierten sie 2,2 Prozent niedriger. Das zwischenzeitliche Plus ging auf das Konto von angeblichen Plänen des Kabelnetzbetreibers, eigene Aktien zurückzukaufen.
Aixtron aus dem TecDax standen weiter unter Abgabedruck und gaben um 7,7 Prozent nach. Auch eine Dialog Semiconductor verloren 5,9 Prozent.
Die im SDax gelisteten Air Berlin-Aktien gaben nach der Vorlage von Zahlen kräftig nach. Der Kurs rappelte sich zwischenzeitlich aber hoch, als bekannt wurde, dass Air-Berlin-Vorstandschef Joachim Hunold sein Amt niederlegt und der frühere Deutsche-Bahn-Chef Hartmut Mehdorn das Unternehmen vorübergehend führen wird. Positiv auf den Kurs wirkte sich auch die Ankündigung aus, dass Air Berlin eine groß angelegte Restrukturierung plant. Wegen tiefroter Zahlen soll unter anderem das Streckennetz ausgedünnt werden. Der Kurs notierte zuletzt 3,9 Prozent leichter.
Quelle: ntv.de, ddi/DJ/rts/dpa