Schweißgebadete Anleger Dax schließt im Plus
10.11.2011, 18:00 Uhr
Lukas Papademos (rechts) soll es machen.
(Foto: dpa)
Die Wirren und Wendungen in der europäischen Schuldenkrise bescheren dem deutschen Aktienmarkt einen weiteren turbulenten Handelstag: Nach einem schwachen Start und einer kurzen Phase der Erleichterung kommt am Nachmittag neue Nervosität auf. Der Leitindex geht am Abend halbwegs versöhnlich aus dem Handel. Nebenwerte und Technologietitel geben deutlich nach.
Das Hickhack in Rom und Athen bei der Bildung von Übergangsregierungen hat die europäischen Aktienanleger am Donnerstag in Atem gehalten. Unterstützung erhielten die Märkte dabei von Spekulationen um eine Ernennung des ehemaligen EU-Kommissars Mario Monti zum italienischen Ministerpräsidenten. "Wir sollten diese Kursgewinne aber ins rechte Licht rücken", betonte Aktienstratege Tom Elliott von JPMorgan Asset Management. "Eine neue Regierung ist nur der erste Schritt einer Erholung Italiens."
Die Entwicklung in Griechenland weckte Händlern zufolge die Hoffnung auf eine leichte Erholung am deutschen Aktienmarkt. Der Dax schloss 0,66 Prozent im Plus bei 5867,81 Punkten. Zuvor hatte der Leitindex einen bewegten Handelsverlauf verzeichnet und mehrmals das Vorzeichen gewechselt. Der MDax konnte sich nicht in der Gewinnzone halten und sank um 0,30 Prozent auf 8845,12 Punkte. Der TecDax fiel um 1,34 Prozent auf 682,37 Punkte.
"Die Einigung in Griechenland auf einen neuen Regierungschef sowie die besser als befürchtete gelaufene Anleiheauktion in Italien haben die Hoffnung auf eine leichte Beruhigung am Markt geschürt", kommentierte ein Händler von L&S Broker. Am Nachmittag jedoch hatte der Dax allerdings einen großen Teil seiner Tagesgewinne wieder abgegeben.
Papademos soll Griechenland retten
In Athen hatte das griechische Präsidialamt angekündigt, dass Lukas Papademos die neue Übergangsregierung führen solle. Börsianer werteten die Ernennung des früheren EZB-Vizechefs, der angesichts des Machtgerangels zwischen Sozialisten und Konservativen schon fast aus dem Rennen schien, positiv. Das würde den Märkten eine Rückkehr zur Normalität signalisieren.
Fondsmanager Andy Lynch, dessen Arbeitgeber Schroders ein Vermögen von 197 Mrd. Pfund Sterling verwaltet, betonte, dass die Politik bis auf weiteres den Takt der Börsen vorgeben werde. "Sparmaßnahmen werden langfristig helfen, kurzfristig aber belasten. Denn Einsparungen bedeuten eine schrumpfende Wirtschaft. Es gibt keine schmerzfreie Schrumpfkur."
Der deutsche Aktienmarkt reagierte zunächst erleichtert auf die Nachricht, fiel dann jedoch wieder zurück. Grund für die neu aufkommende Unruhe war laut Analyst Frank Schneider von Alpha Wertpapierhandel, dass sich Gerüchte um ein Sondertreffen der Europäischen Zentralbank (EZB) an diesen Donnerstag nicht bewahrheitet hatten. Am Markt war spekuliert worden, dass die EZB eventuell ein groß angelegtes Programm zum Ankauf von Staatsanleihen auf den Weg bringen könnte.

Die Mitte der Woche am deutschen Aktienmarkt: So sah die Lage am Vorabend in Frankfurt aus.
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Angesichts des anhaltenden Gerangels um eine Übergangsregierung in Italien waren die europäischen Aktienmärkte am Nachmittag zudem wieder ins Minus gerutscht. Der Eurostoxx50 notierte zeitweise etwa 0,2 Prozent schwächer, nachdem er zuvor in der Hoffnung auf die Ernennung des ehemaligen EU-Kommissars Mario Monti zum neuen Ministerpräsidenten kurzzeitig knapp 2 Prozent zugelegt hatten. Dax und Eurostoxx50 pendelten im Handelsverlauf in einer Spanne von plus 2 bis minus 2 Prozent.
Der Mailänder Leitindex MIB hielt sich nur knapp in positivem Terrain. Der Euro bröckelte ebenfalls ab und kostete 1,3577 Dollar. Im Gegenzug näherten sich die Renditen der zehnjährigen italienischen Anleihen wieder der psychologisch wichtigen Marke von 7 Prozent. "Der letzte Weckruf ist jetzt klar an den Märkten zu hören: 'Italien, mach bitte Deine Hausaufgaben, du kannst das auch. Es geht nicht weiter mit la dolce vita.'", fasste Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank, die Lage in einem Interview zusammen.
An den Anleihe-Märkten war Händlern zufolge eine leichte Entspannung zu spüren. Die Renditen der zehnjährigen italienischen Bonds gingen auf knapp 7 Prozent zurück, nachdem sie am Vortag mit 7,5 Prozent auf den höchsten Stand seit der Euro-Einführung geklettert waren. Positiv wirkten sich hier Händlern zufolge auch erneute Stützungskäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) aus.
Am Morgen hatten Hinweise auf Gespräche zwischen deutschen und der französischen Regierung Unruhe ausgelöst: Angeblich sei die Frage zur Debatte gestanden, so wurde am Markt kolportiert, Ländern der Eurozone die Option einzuräumen, die Währungsunion zu verlassen. Damit sei das bisherige Tabu - der unbedingte Erhalt der Eurozone - untergraben worden. Die Bundesregierung dementierte umgehend, dass Pläne für eine Verkleinerung der Eurozone vorbereitet würden. "Die Bundesregierung verfolgt solche Pläne ausdrücklich nicht", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. "Unsere Politik ist im Gegenteil darauf gerichtet, die Eurozone als Ganzes zu stabilisieren und ihre Probleme an der Wurzel anzupacken."
In normalen Zeiten hätte wohl das vorliegende Bündel an Zahlen das Marktgeschehen dominiert. Geschäftsergebnisse zum dritten Quartal gab es unter anderem von Schwergewichten wie der Deutschen Telekom, Siemens, RWE und K+S. Die sehr angespannte Gemengelage in Europa habe allerdings die auf Hochtouren laufende Berichtssaison überlagert, erklärte ein Beobachter.
Zu den größten Dax-Gewinnern zählte die Deutsche Telekom, deren Aktie sich angesichts eines überraschenden Gewinnanstiegs um 3,7 Prozent auf 9,11 Euro verteuerte. Vor allem die zum Verkauf stehende Tochter T-Mobile USA habe sich besser entwickelt als erwartet, schrieb LBBW-Analyst Stefan Borscheid.
Bei RWE griffen Investoren in der Hoffnung auf günstigere Gaslieferverträge zu und verhalfen dem Versorger zu einem Kursplus von 2,5 Prozent auf 28,77 Euro. Die Papiere des Konkurrenten Eon, der Gas ebenfalls zum Teil teurer einkaufen muss als er es verkaufen kann, stiegen sogar um 4,1 Prozent auf 16,96 Euro. Unzufrieden waren die Anleger dagegen mit dem Düngemittel- und Salzhersteller K+S. Wegen eines vorsichtigen Ausblicks rutschten die Titel 4,7 Prozent ins Minus auf 42,40 Euro.
Den Zahlen von Siemens konnten Börsianer sowohl Positives als auch Negatives abgewinnen. Mit einem hauchdünnen Plus von 0,07 Prozent blieben die Siemens-Aktien hinter dem Gesamtmarkt zurück. Die Aktien der Lufthansa zeigten sich von der Gewinnwarnung des Mitbewerbers Air-France-KLM belastet. Insbesondere die hohen Treibstoffkosten bereiteten den Fluggesellschaften Probleme und dies betreffe die gesamte Branche, hieß es im Handel. "Rezessionsgefahren und die Möglichkeit, dass sich der Ölpreis mit einer sich verschärfenden Krise im Iran noch verteuern könnte, sind keine guten Nachrichten für den Sektor", hieß es. Lufthansa verloren 0,5 Prozent.
Im Nebenwerteindex MDax sorgten die Aktien von Stada für Furore. Die Aktien des Arzneimittel-Herstellers drehten dank der Aussicht auf die Nachzahlung ausstehender Rechnungen ins Plus und verteuerten sich um 12,8 Prozent auf 19,40 Euro. Stark gefragt war auch der Luftfahrt- und Rüstungskonzern EADS, dessen Aktien dank überraschend starker Geschäftszahlen 4,8 Prozent auf 20,86 Euro zulegten. Die Zahlen seien sehr gut, der Ausblick stark, so ein Händler. EADS rechnet nun mit deutlich mehr Bruttobestellungen. Der Bund will zudem im kommenden Jahr über die staatliche Förderbank KfW bei dem Unternehmen einsteigen.
Im TecDax standen auffallend viele Solartitel auf der Verliererseite: Am Indexende gingen Solarworld 6,2 Prozent tiefer aus dem Handel. Phoenix Solar gaben 5,3 Prozent ab. Q-Cells verloren rund 3 Prozent. Die Kurse der großen Indizes an der Wall Street spiegelten die Bewegungen in Europa wider. Sie legten zunächst leicht zu, konnten ihre Anfangsgewinne aber nicht halten. Der US-Standardwerteindex Dow Jones notierte bei Börsenschluss in Deutschland 0,6 Prozent fester.
Richtungsweisende Bond-Auktion
Eine Auktion italienischer Staatspapiere mit einer Laufzeit von 12 Monaten hatte am Vormittag viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Die Qualität der Platzierung wurde genau verfolgt, wobei die sogenannte Bid-to-Cover-Ratio besonders im Vordergrund stand. Sie misst über das Verhältnis von Angebot und Zuteilung die Nachfragereaktion am Markt. Im Fall der 12-monatigen Rom-Bonds lag dieses Verhältnis bei 1,99, erwartet worden war eine etwas schwächere Nachfrage von 1,88. Die durchschnittliche Rendite lag bei 6,087 Prozent nach zuvor 3,57 Prozent und blieb damit immerhin deutlich unter dem Niveau der zehnjährigen Anleihe. "Die Platzierung ist für die Italiener sehr teuer geworden", kommentierte ein Händler. Das sei natürlich vollkommen inakzeptabel auf Dauer.
Bei einer guten Annahme könne es zu einer kräftigen Erholung an den Märkten kommen, hatte es im Vorfeld geheißen. Die Auktion am Berichtstag galt als wichtiger Lackmustest für die Auktion länger laufender Papiere am kommenden Montag.
Quelle: ntv.de, mmo/DJ/dpa/rts