Wissen

Vor 70 Jahren entdecktDie Kernspaltung

18.12.2008, 12:45 Uhr

Die Kernspaltung ist eine der größten und zugleich unheilvollsten Entdeckungen des vergangenen Jahrhunderts.

Es ist eine der spektakulärsten wissenschaftlichen Entdeckungen des vergangenen Jahrhunderts. Und eine der unheilvollsten: Die Entdeckung der Kernspaltung vor 70 Jahren in Berlin. Mit ihrer Hilfe versorgen unzählige Kraftwerke Millionen von Menschen mit Strom. Doch auch die Atombombe konnte so entwickelt werden.

Davon ahnte der Chemiker Otto Hahn allerdings nichts, als er am Abend des 19. Dezembers 1938 im heutigen Institut für Biochemie der Freien Universität Berlin einen Brief an seine vor den Nationalsozialisten geflohene Forscherkollegin Lise Meitner schrieb und von einem scheinbar seltsamen Befund bei ihren gemeinsamen Experimenten berichtete. Erst Meitner verstand im schwedischen Exil, was Hahn ihr da schrieb: Wird ein Urankern mit Neutronen beschossen, zerbricht er und setzt Energie frei.

Dieser wissenschaftliche Durchbruch kam für die Wissenschaftler überraschend, hatte sich zuvor doch nur eine große Enttäuschung angekündigt: Hahn und Meitner experimentierten bereits viele Jahre in ihrem Labor im Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie im schmucken Villenviertel im Süden Berlins. Beide waren anerkannte Forscher. Hahn galt als sehr korrekter Chemiker, die Physikerin Meitner war durch den sogenannten Beta-Zerfall - eine bestimmte Form der Radioaktivität - berühmt geworden.

Beschuss mit Neutronen

"Seit Beginn der 30er Jahren führten die beiden auch Experimente mit Uran durch", berichtet der Physiker und Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer von der Universität Konstanz. Hahn und Meitner beschossen gemeinsam mit ihrem Kollegen Fritz Straßmann Urankerne mit Neutronen. "Die Idee dahinter war, dass das Neutron vom Urankern eingefangen und dieser dadurch größer wird." Reine Grundlagenforschung also. Doch irgendwie wollten die Experimente nicht gelingen, es entstanden einfach keine erhofften "Transurane".

Mit dem Erstarken der Nationalsozialisten wurde es für die Jüdin Meitner zu gefährlich in Berlin. Sie floh 1938 nach Schweden und ließ Hahn und ihre gemeinsamen Experimente zurück. "Da hat Hahn gemacht, was Chemiker gut können: Er hat gemessen, was bei den Versuchen genau passiert ist", sagt Fischer. Dabei fiel ihm etwas Sensationelles auf: Beim Versuch, mit Neutronen auf Uran zu schießen, war Barium entstanden - und Barium ist nur halb so groß wie Uran.

"Phantastische Erklärung"

"Hahn war die Sache völlig unverständlich", erzählt Fischer. Deswegen schrieb Hahn am 19. Dezember 1938 den besagten Brief an Meitner, wie das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte erläutert, das auch daraus zitiert: "Es ist nämlich etwas bei den "Radium-Isotopen", was so merkwürdig ist, daß wir es vorerst nur Dir sagen. (...) Vielleicht kannst Du irgendeine phantastische Erklärung vorschlagen."

Kurz vor Weihnachten, am 21. Dezember, kam dieser Brief bei Meitner an. "Zuerst war sie sich sicher, dass Hahn sich vertan hat", beschreibt Fischer die Situation. Doch Meitner war auch überzeugt: Wenn Hahn das so schreibt, dann wird es stimmen. Sie schlussfolgerte daher richtig, dass sich der Urankern gespalten hatte.

"Das war ein sehr dramatischer Moment", schildert Fischer in seinem Hörbuch "Paarläufe der Wissenschaft". "Stellen Sie sich vor: Eine 60-jährige, einsame, vertriebene Frau, im tiefen Winter in einem verschneiten Dorf, kurz vor Weihnachten, hat einen Brief in der Hand und eine Rechnung im Kopf - und weiß jetzt, dass man die Welt zerstören kann, weil sie jetzt weiß, dass man Atombomben bauen kann."

Unheilvolle Anwendung

Sie sollte Recht behalten. Schon 1945 warfen die US-Amerikaner Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki, mit verheerenden und bis dahin unvorstellbar schrecklichen Folgen. Doch die Entdeckung der Kernspaltung eröffnete der Menschheit auch eine enorme, friedliche Energiequelle, die in vielen Kernkraftwerken weltweit bis heute genutzt wird.

Trotz dieser revolutionären Entdeckung steht Meitner aber noch immer im Schatten von Hahn. In der Literatur ist meist zu lesen, Hahn habe zusammen mit Straßmann die Kernspaltung entdeckt. Dafür bekam Hahn auch den Chemie-Nobelpreis 1944. "Meitner dagegen gilt oft noch immer als Hahns Mitarbeiterin, die nur eine simple Rechnung durchgeführt hat", sagt Fischer. "In Wirklichkeit war es aber anders: Sie hat das Wissen gehabt, er hat die Versuche durchgeführt." Die Entdeckung der Kernspaltung sei also das Ergebnis der einzigartigen Zusammenarbeit von Hahn und Meitner. Dass die Physikerin dennoch keinen Nobelpreis bekam, bezeichnet Fischer schlicht als "Dummheit der schwedischen Akademie".

Quelle: Aliki Nassoufis, dpa