Rotoren im Strom der Gezeiten Energie vom Mond
12.03.2008, 12:40 UhrAm Grund der Irischen See macht sich ein britisches Unternehmen künftig die Kraft des Mondes zunutze. Die vom Erdtrabanten hervorgerufenen Gezeiten lassen an der Mündung des Strangford Lough – einer 30 Kilometer tief ins Land geschnittenen Einbuchtung der Küste Nordirlands – Strömungen entstehen, die zu den stärksten der Welt zählen. Dorthinein stellt die Firma Marine Current Turbines (MCT) Ende März zwei riesige, an große Windräder erinnernde Rotoren.
Sie sollen im Rhythmus von Ebbe und Flut Strom für rund 1000 Haushalte liefern – insgesamt etwa 1,2 Megawatt. Damit entspricht die geplante Leistung dieser ersten SeaGen-Anlage etwa dem Tausendstel eines Atomkraftwerks. MCT hat allerdings bereits konkrete Pläne für einen ganzen Park seiner Unterwasser-Strömungsräder vor der Westküste Großbritanniens. Baubeginn soll im Jahr 2009 sein.
Rotoren des Prototypen
Die Räder im Strangford Lough drehen sich sowohl bei einströmendem wie beim ausströmendem Wasser und sollen Ende März installiert werden. Um den 23. März herum soll ein gigantisches Kranboot das Gerät aus dem nahen Belfast herantransportieren und den drei Meter dicken und rund 37 Meter hohen Trägerpfosten herabsenken. Zehn Meter tief in den Bodengrund gerammte Pfähle sollen die Konstruktion sicher verankern, die Arbeiten werden etwa zwei Wochen dauern.
Wasser ist 800 Mal dichter als Luft und strömt typischerweise nur mit einem Fünftel ihrer Geschwindigkeit, erklären die britischen Ingenieure. Daraus haben sie die Größe der Unterwasser-Rotoren abgeleitet: Deren Spannweite ist nur etwa halb so groß wie die einer großen Windkraftanlage gleicher Leistung. Ein eigens in Deutschland geschaffenes Getriebe liefert die für den Generator nötigen hohen Drehzahlen. Die korrosionsfreien, aus Kohlefaser-Verbundstoffen gefertigten zweiflügeligen Rotoren drehen sich nicht so schnell, als dass sie Fische oder Tiere unter Wasser zerhacken könnten, heißt es bei MCT. Dennoch begleiten Biologen die Installation des doppelten Wasserkraft-Rades, das in einer Region mit zahlreichen schützenswerten Tieren entsteht.
Die Rotoren sind an den Enden einer weit ausladenden Querstange befestigt, die sich an dem rund 13 Meter weit aus dem Wasser ragenden zentralen Pfahl ganz aus dem Meer ziehen lässt, um die Maschinen zu reinigen, zu warten oder zu reparieren. Die erste Anlage, der Prototyp, kostet rund 10 Millionen Pfund (rund 13,3 Millionen Euro), nachfolgende Versionen sollen deutlich günstiger ausfallen.
Kosten des Unterwasser-Strömungsparks
Hochgerecht auf seine Lebensdauer soll SeaGen Strom zu rund 24 Cent je Kilowattstunde ins normale Stromnetz einspeisen. Der Preis soll mit größeren Unterwasser-Strömungsparks in der Größenordnung von 50 Megawatt auf rund 10 Cent sinken. Erst mit riesenhaften Installationen von 200 Megawatt wären Preise zwischen 4 und 9 Cent möglich – dann könnte der Gezeitenstrom laut MCT mit der Windkraft konkurrieren.
Rund um die Welt gebe es zahlreiche Standorte, in denen der Gezeitenstrom die nötige Geschwindigkeit von 2,25 bis 2,5 Metern in der Sekunde übersteige, sagt MCT-Sprecher Paul Taylor. Darüber hinaus benötigten die Generatoren eine Wassertiefe von 20 bis 30 Metern. Eine Karte des Unternehmens verzeichnet rund um Großbritannien und an der Nordostküste Frankreichs zahlreiche geeignete Standorte – in deutschen Gewässern ist die Strömung hingegen an keiner Stelle stark genug, sagt Taylor.
150 Terawattstunden jährlich
Zu den Teilhabern und Partnern von MCT gehören Banken, Investmentgesellschaften, Ingenieurbüros, ein Unternehmen für untermeerische Bohrvorhaben und ein Elektrizitätswerk. Sie alle gehen davon aus, dass sich weltweit jährlich insgesamt rund 150 Terawattstunden elektrischer Energie aus der Gezeitenkraft gewinnen ließen, Großbritannien habe daran einen Anteil von 18 Terawattstunden. Dies könnte einen Anteil von 6 bis 7 Prozent des aktuellen britischen Stromverbrauches bedeuten, heißt es bei MCT. Diese Zahlen gehen auf eine Studie des Carbon Trust zurück: Diese private Organisation wurde von der britischen Regierung ins Leben gerufen, um Möglichkeiten zur Reduktion von Treibhausgasen zu prüfen – und private und öffentliche Stellen zu beraten.
Zwar gibt es weltweit mehrere kleinere Forschungsprojekte, die die Strömungsenergie der Gezeiten mit Turbinen nutzen wollen – SeaGen soll aber erstmals kommerziell nutzbare Strommengen liefern. Der Hersteller betont zudem, dass das bloße Einsetzen der Unterwasser-Propeller viel leichter und weniger aufwendig sei als die Konstruktion riesiger Sperranlagen.
Im französischen Saint-Malo wurde zu diesem Zweck eine ganze Flussmündung abgeriegelt. Bei Flut füllt sich das Mündungsbecken, bei Ebbe treibt das ins Meer zurückfließende Wasser die Turbinen. Dies ist jedoch ein schwerer Eingriff in das Ökosystem und die Geologie der gesamten Mündungsregion. Zudem sind die Kosten eines solchen Bauwerkes horrend – und die Akzeptanz bei der Bevölkerung und den Umweltschützern mindestens fraglich.
"Exakte Vorhersagbarkeit, kleine Umweltbelastung"
Wie die Turbinen von Saint-Malo liefert auch das Zwillings-Strömungsrad nur im Rhythmus der Gezeiten Energie, aber immerhin lässt sich dieser Beitrag – anders als jener der unregelmäßig anfallenden Windenergie zuverlässig als Ergänzung der konventionellen Energiegewinnung vorhersagen und damit fest einplanen.
Das Konkurrenz-Unternehmen Swanturbines Ltd. will ähnliche Kraftwerke in den strömungsreichen Küstengewässern schaffen und arbeitet dafür eng mit der gleichfalls britischen Universität Swansea zusammen. Die Homepage fasst die Vorteile der Technik wie folgt zusammen: "Geringe Kosten, kaum sichtbar, exakte Vorhersagbarkeit, kleine Umweltbelastung." Die Konstrukteure haben allerdings auch große Schwierigkeiten zu bewältigen. Die starken Strömungskräfte machen eine sehr starke Verankerung nötig. Seepocken und Algen können die ganze Anlage bewachsen und durch Reibung bremsen. Das Gebiet muss für Schiffe gesperrt oder mindestens deutlich gekennzeichnet werden. Die metallenen Teile der Konstruktionen müssen zudem vor Korrosion geschützt werden und auch Stürmen widerstehen.
Von Thilo Resenhoeft, dpa
Quelle: ntv.de