Kratzen bis es blutet Juckreizambulanz gibt Hoffnung
28.11.2006, 11:31 UhrSchwimmbad und Sauna sind für Marion M. tabu, auch kurzärmelige Shirts oder Röcke. Zu groß, zu unansehnlich sind aus ihrer Sicht die Spuren, die jahrzehntelanges Jucken und damit unausweichliches Kratzen hinterlassen haben. Zahlreiche zentimetergroße, leicht verheilte, teils aber auch offene Wunden an Armen, Beinen und am Rumpf übersähen die Haut der 42-Jährigen. "Es kribbelt einfach ständig, und ich kann mir das Kratzen nicht immer verkneifen." So beschreibt die Frau ihre mittlerweile 20 Jahre andauernde Leidensgeschichte.
"Da müssen Sie mit leben." Mit diesem oft gehörten Satz hatte sich die zweifache Mutter aus dem Westmünsterland fast schon abgefunden, als sie von der Juckreiz-Ambulanz an der Universitätsklinik Münster hörte. Die deutschlandweit einzige Einrichtung dieser Art bietet einen medizinisch fachübergreifenden Check für Betroffene und kommt der Ursache für das Dauerjucken in den meisten Fällen auch auf die Spur. Ziel ist es, den Teufelskreis aus Juckreiz und dem anschließenden Kratzen zu durchbrechen.
"Juckreiz ist nicht einfach ein Impuls, der immer mit der häufig geäußerten Anweisung "Kratz doch nicht immer" unterdrückt werden kann", erklärt Ambulanz-Leiterin und Hautärztin Sonja Ständer. Spätestens nachts kratzten viele Patienten automatisch die Haut blutig. Stattdessen müsse diesem Alarmsymptom des Körpers besondere Beachtung geschenkt werden. "Oft steckt tatsächlich eine Erkrankung dahinter", erklärt die Expertin.
Psychische Probleme wie etwa Depressionen seien bei den tausenden Betroffenen äußerst selten anzutreffen, "auch wenn sich das Vorurteil in der Gesellschaft hartnäckig hält". Weil auch Marion M. diese Vorurteile nur zu gut kennt, möchte sie ihren vollständigen Namen nicht nennen.
Seit dem Start der speziellen Juckreiz-Sprechstunde vor vier Jahren hat der Zulauf - mittlerweile aus dem gesamten Bundesgebiet – ständig zugenommen. Der Hauptgrund, sagt die Dermatologin, liegt in den vielfältigen Ursachen des Juckreizes und den bislang noch zu geringen Therapiemöglichkeiten. "Wenn aber wie in den meisten Fällen schwere, oft länger zurückliegende Primärerkrankungen wie Tumorleiden oder Diabetes zu Grunde liegen, kann eine Salbe allein nicht helfen."
Auch Marion M. wurde jahrelang von verschiedenen Ärzten mit immer neuen Salben versorgt, eine deutliche Linderung brachten sie nicht. Viel schlimmer waren für die gelernte Köchin aber die Ratschläge von Medizinern, die ihr sagten, sie habe den falschen Beruf, oder ihr Übergewicht sei Auslöser für ihre Probleme. Nach dem Gespräch mit Ambulanzchefin Ständer ist ihr die neue Hoffnung anzusehen: "Endlich versteht jemand die Probleme und wiegelt nicht ab", sagt die zweifache Mutter, der zur genauen Untersuchung ein mehrtägiger stationärer Aufenthalt bevorsteht.
Den bei den meisten Juckreiz-Betroffenen nötigen Komplettcheck in der Klinik begründet die Expertin mit der Vielzahl an Ursachen für deren Leiden. "Man weiß mittlerweile, dass der Mensch ein Juckreiz-Gedächtnis hat und ein chronischer Verlauf -ähnlich den Schmerzpatienten -denkbar ist. So wird ohne zunächst erkennbare Ursache einfach weitergekratzt", erklärt Dermatologin Sonja Ständer.
Um die Auslöser des Juckreizes zu ergründen, kommen auf die Patienten in der Universitätsklinik außer ausführlichen Gesprächen auch Blut- und Allergietests sowie gegebenenfalls Ultraschall und Röntgen zu. Nach mehreren dieser Untersuchungen ist Marion M. einer Linderung ihres Dauerjuckens einen kleinen Schritt näher gekommen, der bislang ständige Juckimpuls meldet sich deutlich seltener. Damit wächst auch die Zuversicht der Frau, "irgendwann mal wieder ein Kleid tragen zu können. Das wäre wirklich toll."
(von Juliane Albrecht, dpa)
Quelle: ntv.de