"Verblüffender Effekt" Placebogabe muss nicht heimlich sein
07.03.2011, 12:18 Uhr
Die Wahrnehmung der Krankheitssituation spielt eine große Rolle beim Placebo-Effekt.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Ausgehend von einer Studie empfiehlt die Bundesärztekammer ihren Mitgliedern, künftig mehr Placebos einzusetzen. Die Wirkung der Zuckerpillen ist im Gehirn nachweisbar, sie ist also keine pure Einbildung. Und die Pillen helfen selbst dann, wenn der Patient davon weiß. Was dahintersteckt und inwiefern zum Beispiel auch Optimismus einen Placebo-Effekt hat, erklärt Experte Robert Jütte.
n-tv.de: Herr Professor Jütte, bei welchen Krankheiten lassen sich Placebos gut einsetzen?
Robert Jütte: Placebos wirken häufig bei Schmerzen, bei Depression und Schlafstörungen, aber auch bei Reizdarm und Magendarmbeschwerden. Wie Studien zeigen, lässt sich bei einer Vielzahl von Erkrankungen ein starker Placebo-Effekt beobachten.
Haben Placebos grundsätzlich eine direkte medizinische Wirkung oder wirken sie ausschließlich auf dem "Umweg" der Psychologie?
Wie die experimentelle Placebo-Forschung zeigt, wirkt keine Therapie direkt. Immer ist das Gehirn daran beteiligt. Jedem therapeutischen Handeln wird vom Patienten eine Bedeutung beigemessen, die entsprechend vom Körper interpretiert wird. Es ist also nicht die Gabe selbst, die wirkt, sondern das sogenannte "therapeutische Setting".
Nehmen wir an, das "therapeutische Setting" stimmt und der Patient fühlt sich bei seinem Arzt gut aufgehoben. Helfen Placebos unter diesen Umständen selbst dann, wenn der Patient weiß, dass er wirkstofflose Pillen schluckt?

"Jedem therapeutischen Handeln wird vom Patienten eine Bedeutung beigemessen."
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Ja, das tun sie tatsächlich. Das hat eine neuere amerikanische Studie gezeigt. Die Placebogabe wirkt auch dann, wenn der Arzt dem Patienten sagt, dass er ein Placebo bekommt. Das ist ein verblüffender Effekt, zu dem es noch zu wenig Forschung gibt. Grundsätzlich darf auf eine Aufklärung des Patienten über Nutzen und Risiken nicht verzichtet werden. Das kann aber im konkreten Fall auch so aussehen, dass der Arzt den Patienten wählen lässt zwischen einer Standardtherapie mit ihren Chancen, Risiken und Nebenwirkungen und einer Therapie, in der der Patient eine Substanz bekommt, die laut Studien ebenfalls körpereigene Mechanismen in Gang setzt, deren genaue Wirkungsweise aber noch nicht bekannt ist.
Man hat herausgefunden, dass die Wirkung eines Placebos von der Aktivierung der Stirnlappen ausgeht. Wofür ist dieser Hirnbereich verantwortlich?
Der vordere Bereich des Stirnlappens, der auch als präfrontaler Cortex bezeichnet wird, reguliert die kognitiven Prozesse, und zwar so, dass wir zu situationsgerechten Handlungen fähig sind.
Was ist mit Meditation und zum Beispiel auch Optimismus? Beides soll ebenfalls unterstützend wirken bei Heilungsvorgängen. Aktivieren auch sie die Stirnlappen? Ist ihre Wirkung mit der von Placebos vergleichbar?
Ein Erklärungsmodell für die Vermittlung des Placebo-Effekts ist der sogenannte mentalistische Ansatz. Er geht davon aus, dass Erwartungen, Hoffnung und insbesondere die Wahrnehmung der Krankheitssituation den Placebo-Effekt hervorrufen. Dieser Ansatz lässt sich neurobiologisch mit der Stimulierung des präfrontalen Cortex erklären. Deshalb vermag auch eine optimistische Grundhaltung zu wirken.
Zählen homöopathische Globuli zu den Pseudo-Placebos, also zu den Arzneistoffen mit sehr niedriger Wirkstoffdosis? Wirken auch sie über den Placebo-Effekt?

Prof. Dr. Robert Jütte ist Medizinhistoriker und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer. Er leitete eine Arbeitsgruppe zum Placebo-Effekt.
(Foto: Universität Stuttgart / Robert Jütte)
Homöopathische Mittel werden häufig als Pseudo-Placebos von Ärzten eingesetzt, die nicht an die Wirkung der Homöopathie glauben. Eine aktuelle Übersichtsarbeit zeigt aber, dass Placebo-Effekte in der Klassischen Homöopathie nicht größer zu sein scheinen als Placebo-Effekte in der konventionellen Medizin. Das heißt, Globuli wirken manchmal besser, manchmal schlechter als Placebos. Ein Pauschalurteil verbietet sich daher.
Wie oft werden Placebos bisher von Ärzten in Deutschland eingesetzt?
Für Deutschland gibt es keine repräsentativen Umfragen. Nach früheren Studien und einer Befragung bayerischer Ärzte im Jahre 2010 zu urteilen, dürfte der Anteil sehr hoch sein, etwa zwischen 50 und 80 Prozent.
In welchem Ausmaß könnten Placebos Medikamente und andere Therapien ersetzen?
Nie werden Placebos Medikamente oder andere Therapie ersetzen können. Sie können aber helfen, Nebenwirkungen zu reduzieren und die Medikamenten-Dosis zu verringern. Damit können auch Kosten gespart werden. Der Lerneffekt des Körpers zum Beispiel, der ebenfalls am Placebo-Effekt beteiligt ist, kann optimal in die Therapie eingebaut werden.
Die Fragen stellte Andrea Schorsch
Quelle: ntv.de