Politik

Experten erwarten Wechsel-Welle Erste Austritte bei Kassen

Tausende Kassen-Mitglieder machen von ihrem Sonderkündigungsrecht Gebrauch, wegen der Erhebung von Zusatzbeiträgen zu einer Kasse zu wechseln, die darauf verzichtet. Da sich die Spirale der Beitragserhöhungen für hunderttausende gesetzlich Versicherte immer weiter dreht, darf getrost von einer Wechsel-Welle ausgegangen werden.

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(Foto: picture alliance / dpa)

Nach der Ankündigung von Zusatzbeiträgen erwarten Experten eine Wechsel-Welle bei den Versicherten der betroffenen gesetzlichen Krankenkassen. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) hatte die gesetzlich Versicherten zum Kassenwechsel ermuntert: "Jetzt schon haben genügend Krankenkassen angekündigt, in diesem Jahr keinen Zusatzbeitrag zu nehmen. Also lohnt sich ein solcher Wechsel in jedem Fall." Er selbst sieht sich in seinen Reformplänen bestärkt. "Insgesamt weisen diese neuerlichen Zusatzbeiträge darauf hin, dass es nach wie vor dringend notwendig ist, das System zu verändern, das System zu verbessern."

Austritte bei DAK und Deutsche BKK

Wie die "Bild"-Zeitung berichtete, sind bei der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) bereits 5300 Mitglieder ausgetreten. Bei der Betriebskrankenkasse Deutsche BKK seien es rund 1000 Versicherte. Beide Versicherungen haben bereits angekündigt, einen Zusatzbeitrag von acht Euro erheben zu müssen, um die Gesundheitskosten ihrer Mitglieder decken zu können.

Gesundheitsminister Rösler hat sein politisches Schicksal mit der Gesundheitsreform verknüpft.

Gesundheitsminister Rösler hat sein politisches Schicksal mit der Gesundheitsreform verknüpft.

(Foto: dpa)

Rösler sagte, die Versicherten sollten die Kasse wechseln, falls sie das Gefühl hätten, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht stimme. Die Unternehmen, die Zusatzbeiträge erheben wollten, müssten ihre eigenen Effizienzreserven überprüfen. Die zuständigen Aufsichtsbehörden müssten die Zusatzbeiträge zudem genehmigen.

Acht Kassen hatten schon in der vergangenen Woche verkündet, in nächster Zeit Zusatzbeiträge erheben zu wollen. Auch die KKH-Allianz will acht Euro mehr haben. Insgesamt sind mehr als 70 Millionen Bürger in den gesetzlichen Kassen versichert.

Weitere Kassen kündigen Erhöhung an

Unterdessen dreht sich die Spirale der Beitragserhöhungen für hunderttausende gesetzlich Krankenversicherte weiter. Die BKK für Heilberufe erhebt von ihren 170.000 Mitgliedern rückwirkend zum 1. Januar den maximalen Zusatzbeitrag von einem Prozent. "Das ist notwendig, weil der Geldbedarf da ist", sagte Sprecher Jürgen Körner.

iesen Schritt kündigte auch die Gemeinsame Betriebskrankenkasse Köln (GBK) für ihre rund 40.000 Mitglieder an. Dieser Beitrag wird bis zur Bemessungsgrenze erhoben, maximal sind es 37,50 Euro. Die BKK Westfalen-Lippe verlangt von ihren rund 24.000 Mitgliedern zwölf Euro, wie Vorstandschef Willi Tomberge der "Bild"- Zeitung sagte. Weitere Ankündigungen seien im BKK-Bereich nicht bekannt, sagte Verbandssprecherin Christine Richter.

Bei der BKK für Heilberufe wird der Aufschlag am 6. April fällig. Vorher können Versicherte kündigen. Körner erläuterte, seine Kasse habe viele jüngere Versicherte und erhalte geringere Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds als Kassen mit vielen älteren, kränkeren Versicherten. GBK-Vorstandschef Helmut Wasserfuhr sagte hingegen: "Wir machen die Ein-Prozent-Regelung, weil das sozial gerechter ist, als von allen Versicherten acht Euro pauschal zu nehmen - egal, ob Student oder Mitglied mit 400.000 Euro Nettoeinkommen." Tomberge sagte, auch pauschal zwölf Euro zu verlangen sei gerechter als acht Euro. Ab da greift eine Einkommensprüfung. Körner sagte: "Wir wollen nicht behaupten, wir machen das aus sozialen Gründen."

Rösler will mit Kassen sprechen

Rösler, der sein politisches Schicksal mit der Gesundheitsreform verknüpft hat, will mit Kassenvertretern demnächst mögliche Einsparungen auf gesetzlichem Weg ausloten. "Der Schwerpunkt muss dabei aus meiner Sicht auf strukturellen Veränderungen liegen", heißt es in einem Brief Röslers an die Koalitionsabgeordneten. Je schneller funktionierender Wettbewerb geschaffen werde, desto eher könnten Reserven gehoben werden. Gespräche über mögliche Spargesetze sind nach Kassenangaben auf kommenden Mittwoch terminiert.

Experten: Kassen droht die Pleite

Im kommenden Jahr droht nach Expertenansicht einigen Kassen die Pleite. Das Defizit in der Krankenversicherung werde auf 11,4 Milliarden Euro klettern, sagte der Kölner Gesundheitsökonom Eckart Fiedler in Berlin. "Wenn die Politik nicht schnell reagiert, läuft das Ganze in eine Insolvenz vieler Kassen", sagte der Ex-Barmer-Chef. Der Essener Experte Jürgen Wasem pflichtete dem bei.

Gesundheits-Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz (CDU) sagte, es komme sehr darauf an, "dass wir einkommensunabhängige Arbeitnehmerbeiträge entwickeln". Ein Sozialausgleich sei bei dieser Gesundheitsprämie nötig. Der Vize-Unionsfraktionschef Johannes Singhammer (CSU) blieb skeptisch: "Noch völlig ungelöst" sei, welcher bürokratische Aufwand dafür nötig sei, sagte er im rbb.

Für Grünen-Chefin Claudia Roth sind die "Verlierer der Eskapaden des Herrn Rösler die Versicherten, die weiter doppelt zahlen dürfen, mit ihren Beiträgen und der kleinen Kopfpauschale."

Quelle: ntv.de, hdr/dpa/AFP

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