Anti-USA-Proteste in Afghanistan Amokläufer droht Todesstrafe
13.03.2012, 20:10 Uhr
In Dschalalabad lassen Demonstranten ihrem Ärger freien Lauf.
(Foto: REUTERS)
Erst die Koran-Verbrennung, nun der Amoklauf eines US-Soldaten. Die Spannungen in Afghanistan nehmen zu. Eine Regierungskommission, die den Amoklauf untersuchen soll, wird beschossen. Der Täter, der zuvor bereits im Irak im Einsatz war, droht derweil die Todesstrafe.
Nach dem Massaker eines US-Soldaten an Zivilisten eskalieren die Spannungen in Afghanistan. Eine von Präsident Hamid Karsai zur Untersuchung des Amoklaufs eingesetzte Regierungsdelegation wurde im südafghanischen Distrikt Pandschwai von Aufständischen angegriffen. Aus Sicherheitskreisen hieß es, ein Soldat, der den Tatort sicherte, sei getötet worden. Der Personenschützer eines Ministers und zwei weitere Menschen wurden verletzt.
In Dschalalabad im Osten Afghanistans gingen etwa 2000 Demonstranten auf die Straße. Nach Augenzeugenberichten skandierten sie: "Tod für Amerika" und "Tod für (US-Präsident Barack) Obama". Es waren die ersten anti-amerikanischen Proteste seit dem Massaker, bei dem der US-Soldat nach afghanischen Angaben 16 Männer, Frauen und Kinder getötet hatte. Ein Sprecher des Gouverneurs von Kandahar sagte, die Stammesältesten wollten die Bevölkerung zur Ruhe aufrufen. Solange die Ermittlungen transparent seien, werde man jedes Ergebnis akzeptieren.
US-Verteidigungsminister Leon Panetta machte klar, dass dem Amokläufer die Todesstrafe drohe. In einem Militärgerichtsverfahren könnte die Anklage die Todesstrafe fordern, sagte Panetta nach Angaben der TV-Sender CNN und CBS. Er fügte laut CBS hinzu, derartige "schreckliches Ereignisse" gebe es in jedem Krieg. "Krieg ist die Hölle." Das Parlament in Kabul forderte die US-Regierung auf, den "Schuldigen in einem öffentlichen Verfahren vor dem afghanischen Volk" den Prozess zu machen. Aus Nato-Kreisen verlautete, es sei noch unklar, ob der Soldat in den USA oder in Afghanistan angeklagt werde. So oder so würde ihm wegen eines Abkommens zwischen beiden Staaten der Prozess nach amerikanischem Recht gemacht.
Kein "Rennen zu den Ausgängen"
Auch US-Präsident Obama versprach eine strenge Untersuchung. "Die USA nehmen das so ernst, als wären unsere eigenen Bürger und Kinder getötet worden", sagte er im Weißen Haus. "Jeder Beteiligte wird voll zur Verantwortung gezogen mit aller Macht des Gesetzes." Er erklärte zugleich, er sei trotz des verheerenden Vorfalls zuversichtlich, dass Washington den Einsatz in Afghanistan erfolgreich weiterführen und beenden werde. Der Abzug der US-Truppen müsse auf "verantwortungsvolle Art und Weise" erfolgen. Auf keinen Fall dürfe es ein blindes "Rennen zu den Ausgängen" geben.
Die Taliban forderten, den Amokschützen als Kriegsverbrecher anzuklagen. In einer Mitteilung von Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid hieß es weiter: "Im Gegenzug für die Ermordung unschuldiger Landsleute werden wir amerikanische Soldaten töten und enthaupten."
Die Motive des 38-Jährigen sind nach wie vor unklar. Wie CBS berichtete, soll der Mann bei seinem Amoklauf in der Nacht zum Sonntag Kindern in den Mund geschossen haben. Der Soldat habe 2010 bei einem Autounfall während eines Irak-Einsatzes eine Schädelverletzung erlitten, berichtete CNN. Später sei er aber fit für den Einsatz in Afghanistan erklärt worden. Er habe eine Serie psychologischer Tests bestanden, als er vor vier Jahren zum Scharfschützen ausgebildet worden sei. Neurologen sehen inzwischen einen Zusammenhang zwischen einem Schädel-Hirn-Trauma und dem späteren Auftreten eines post-traumatischen Stress-Syndroms.
"Es war ein wahrer Kugelhagel"
Ein Journalist, der die von Karsai ernannte Delegation in den Distrikt Pandschwai begleitete, berichtete von Explosionen und Schüssen. Etwa zehn Minuten lang habe der Beschuss angedauert. "Es war ein wahrer Kugelhagel", hieß es. Mitglieder der Delegation seien angegriffen worden, als sie mit Dorfbewohnern in einer Moschee zusammengekommen seien. Sicherheitskräfte hätten das Feuer der Aufständischen erwidert, die gleich von mehreren Seiten angegriffen hätten.
Das Massaker an den afghanischen Zivilisten hat Wut und harte Kritik an den internationalen Truppen in Afghanistan ausgelöst. Erst vor drei Wochen hatten Koranverbrennungen durch US-Soldaten in der Basis Bagram nördlich von Kabul schwere Unruhen ausgelöst. Dabei waren mindestens 30 Demonstranten ums Leben gekommen. Seitdem waren auch sechs US-Soldaten durch afghanische Sicherheitskräfte getötet worden.
USA wollen zehntausende Soldaten abziehen
Unterdessen berichtete die "New York Times", dass die USA bereits im nächsten Jahr den Abzug von mindestens 20.000 Soldaten aus Afghanistan erwägen. Die Pläne würden seit Wochen im Weißen Haus diskutiert, heißt es unter Berufung auf Regierungsbeamte. Das US-Präsidialamt wies den Bericht allerdings zurück. Die bisherige Planung sehe vor, dass 33.000 US-Soldaten den Hindukusch bis zum Sommer verlassen, erklärte ein Sprecher von Obama. Darüber hinaus arbeite die US-Regierung an keinen konkreten Abzugsplänen.
"Der Präsident wird die Entscheidungen über weitere Truppenreduzierungen zum richtigen Zeitpunkt fällen unter Wahrung unserer Interessen und in Abstimmung mit unseren Verbündeten und den afghanischen Partnern", erklärte der Präsidialamtssprecher. Die USA haben derzeit rund 90.000 Soldaten am Hindukusch. Für kommenden September sei bereits vorgesehen, 22.000 Soldaten abzuziehen. Der Nato-Einsatz soll Ende 2014 auslaufen.
Kirgistan schließt derweil die Nutzung eines strategisch wichtigen Luftwaffenstützpunkts nahe der Hauptstadt Bischkek durch die USA über 2014 hinaus aus. Aus der Militärbasis Manas müsse ein ziviler Flughafen werden, sagte der Sekretär des nationalen Sicherheitsrats, Bussurmankul Tabaldijew, bei einem Treffen mit US-Verteidigungsminister Leon Panetta in Bischkek. Washington hat die zur Versorgung von Truppen in Afghanistan genutzte Basis, auf der etwa 1500 US-Soldaten stationiert sind, noch bis zum Juli 2014 gepachtet. Washington strebt eine Verlängerung des Pachtvertrags an. Der Stützpunkt in Manas dient derzeit als Transitflughafen für monatlich zehntausende Soldaten im Afghanistan-Einsatz der NATO sowie zur Versorgung von Kampfflugzeugen mit Treibstoff.
Quelle: ntv.de, rts/dpa/AFP