Bei Tiefkühlessen hört es auf Ein kurioser Lebensmittelskandal erschüttert China


Selbstgekocht oder aufgetaut? Ein Koch in einer Pekinger Filiale der chinesischen Restaurantkette Xibei.
(Foto: IMAGO/VCG)
Kurz vor dem chinesischen Nationalfeiertag beschwert sich ein Influencer über ein Restaurant. Er moniert "ekelhaftes" Tiefkühlessen einer großen Restaurantkette und trifft damit einen Nerv: Die Beschwerde weitet sich zu einem nationalen Streit über chinesische Kultur und Lebensmittelqualität aus.
Rote Rücklichter, soweit man schaut: Ein gigantischer Stau auf 36 Spuren legt vergangene Woche eine chinesische Autobahn lahm. An einer Mautstelle in Wuzhuang geht stundenlang nichts mehr. Zum Ende der "Goldenen Woche" wollen alle Menschen gleichzeitig nach Hause.
Die achttägigen Ferien sind ein Höhepunkt im chinesischen Kalender. Dieses Jahr war es eine besondere Ausgabe, denn der Nationalfeiertag fiel mit dem Mondfest zusammen. Knapp 890 Millionen Chinesen waren im Land unterwegs, haben ihre Familien und die bekannten Sehenswürdigkeiten der Volksrepublik besucht. Beliebte Ziele waren teils lange vorher ausgebucht. "An manchen Orten kommt man ohne Reservierung gar nicht rein und ich finde das gut so", berichtet ein Tourist bei ntv.
Die Nationalfeiertagsferien sind eigentlich eine lukrative Zeit für Händler und Gastronomen. Die Restaurants sind gut gefüllt, Küche und Servicepersonal haben viel zu tun. In diesem Jahr waren die chinesischen Urlauber allerdings sparsam. Pro Reise haben sie laut Reuters knapp 115 US-Dollar ausgegeben, rund ein halbes Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Die durchschnittlichen Ausgaben sind auf ein Dreijahrestief gefallen. War es ein Nachgeschmack eines Restaurantskandals, der ganz China beschäftigt hat? Denn mit einem anscheinend harmlosen Beitrag hat ein Influencer eine große Debatte über chinesisches Essen in den sozialen Medien entfacht.
Online-Kommentar über "ekelhaftes" Essen
Der Unternehmer Luo Yonghao war Anfang September in einem Restaurant der Kette Xibei in Peking essen und überhaupt nicht begeistert. Seinem Ärger hat er auf Weibo Luft gemacht, dem chinesischen Twitter: Das Essen sei "ekelhaft" gewesen, schrieb er. Jedenfalls nach chinesischen Standards: Alles war sehr teuer und auch noch vorgefertigt. Er hoffe, dass Restaurants bald gesetzlich verpflichtet werden, anzugeben, ob sie vorgefertigte Speisen verwenden oder nicht.

Die Xibei-Restaurants sind gemütlich eingerichtet, typisch sind die rot-weiß karierten Tischdecken und die offene Küche.
(Foto: IMAGO/VCG)
Es ist eine Beschwerde, der in Deutschland niemand großartig Beachtung schenken würde, doch in China traf Luo Yonghao einen Nerv: Sein Beitrag wurde millionenfach aufgerufen. Nicht nur, weil er ein bekannter Influencer mit 1,4 Millionen Followern auf Weibo ist. In den sozialen Medien der Volksrepublik ist eine Debatte über frische Lebensmittel entbrannt.
Abgepackte und tiefgekühlte Zutaten entdeckt
Xibei ist eine große chinesische Restaurantkette mit fast 400 Filialen in der Volksrepublik. Allein in Peking betreibt Xibei mehr als 60 Restaurants. Gekocht werden nordwestchinesische Gerichte. Versprochen wird eine frische und familienfreundliche Küche. Die Gerichte sind etwas teurer als die der Mitbewerber. Gäste können zuschauen, wie die Köche das Essen zubereiten. Oder die vorgefertigten Bestandteile aufwärmen und zusammenstellen, wenn man Influencer Luo Yonghao glaubt.
Die Restaurantkette wollte die Beschwerde nicht hinnehmen, Xibei-Gründer Jia Guolong klinkte sich persönlich ein: Das Essen sei von guter Qualität. Keins der bestellten Gerichte sei ein Fertiggericht gewesen, sagte er. Und drohte damit, Luo Yonghao zu verklagen. "Er hat uns großen Schaden zugefügt."
Um zu beweisen, dass die Gerichte frisch sind, hat Xibei sogar seine Restaurantküchen für die Öffentlichkeit geöffnet. Das aber ging nach hinten los: In den sozialen Netzen verbreiteten sich Videos von Xibei-Restaurants, die abgepackte und tiefgekühlte Zutaten nutzen. "Die Leute fanden Gemüse, das seit Monaten im Gefrierschrank lag, und Köche, die nicht einmal eine Lizenz hatten", berichtet "Sky News". Laut Medienberichten wurden gekochte Gerichte gar über Nacht gelagert und über mehrere Servicezeiten hinweg wiederverwendet.
Gästen fehlt Transparenz
Xibei gab anschließend zu: Man nutze Zentralküchen und verwende "halbverarbeitete" Produkte, räumte die Kette ein. Das sei in der Branche gängige Praxis, entspreche aber nicht der offiziellen Definition von Fertiggerichten. Um die Wogen zu glätten, senkte die Kette laut der "South China Morning Post" landesweit die Preise für einige Gerichte um 20 bis 40 Prozent.
Doch die Lust der Kunden auf einen Besuch bei Xibei scheint vorerst gedämpft. Wenige Tage nach Beginn des Streits wurden aus Peking überraschend leere Restaurants gemeldet, auch andere Gäste machten sich Luft, teils sogar in der westlichen Presse: Xibei sollte angeben, dass es Fertiggerichte zubereite, forderte ein Gast im britischen "Economist". Ein anderer Besucher war in der "Global Times" deutlich entspannter: Solange bestimmte Hygienestandards eingehalten würden, akzeptiere er diese Art der Essensherstellung.
Fertiggerichte immer beliebter
Die Chinesinnen und Chinesen legen eigentlich viel Wert auf die Verwendung frischer Lebensmittel - zu Hause und in Restaurants. Die Wahrheit aber ist: In dem Riesenland werden wie auch in Europa Fertiggerichte immer beliebter. 2024 lag der Umsatz bei umgerechnet rund 58 Milliarden Euro, doppelt so viel wie 2021. In den USA, der "Heimat" des Fertigessens, lag der Umsatz vergangenes Jahr bei 51 Milliarden Euro, in Europa bei 65 Milliarden Euro.
Denn mit Fertiggerichten sparen die Köche Zeit, Arbeit und Platz. Ein Vorteil ist auch: Sie schmecken immer gleich. Kennzeichnen müssen sie Fertiggerichte nicht, das ist aber auch in Europa keine Pflicht.
So überrascht es nicht, dass man Fertigmahlzeiten immer häufiger auch in chinesischen Restaurants findet: Ende 2022 produzierten laut der chinesischen Unternehmensdatenbank Qichacha mehr als 62.000 Unternehmen Fertiggerichte, auch der Markt für Lieferdienste boomt. In einigen bekannten Restaurantketten sollen inzwischen 80 Prozent der Gerichte vorgefertigt sein. Xibei tauchte in dem Zusammenhang bereits vor drei Jahren in einem Bericht auf.
Doch der Fertig-Boom hat seine Kehrseiten: In der Vergangenheit wurden mehrere Fälle von verdorbenen Lebensmitteln bekannt. Ein Experte der China Cuisine Association (CCA) berichtet in der "China Newsweek" von minderwertigen Zutaten, unhygienischen Fabrikbedingungen und falschen Verpackungen.
"Nur Leute mit Kapital können sich am Markt behaupten"
Restaurants, die noch selbst kochen, stehen vor einem Problem: Viele Gäste wollen ihr Essen immer schneller serviert bekommen. Junge Leute seien nicht bereit, zu warten, berichtet eine Restaurantbesitzerin dem Pekinger Online-Magazin World of Chinese. Sie würden billige Fast-Food-Ketten oder bekannte Restaurantmarken vorziehen.
Der Online-Streit um das Fertigessen ist ein einschneidender Moment für die chinesische Gastronomie: Viele Restaurants haben Angst, dass ihre Einnahmen dadurch weiter schrumpfen. 2024 mussten fast drei Millionen Betriebe schließen - ein historischer Höchststand. In Städten wie Peking, Shanghai, Guangzhou und Shenzhen liege die monatliche Schließungsrate bei über 10 Prozent, in manchen Monaten sogar bei über 15 Prozent, erzählt ein Restaurant-Entrümpler bei ntv. "Für eine Durchschnittsperson ist die Eröffnung eines Restaurants ein garantierter Misserfolg. Nur Leute mit viel Kapital können sich am Markt behaupten."
Für Gastronomen werden Fertiggerichte daher zur Überlebensstrategie in Zeiten, in denen die Immobilien- und Arbeitskosten steigen, viele Chinesinnen und Chinesen weniger Geld ausgeben und lieber zu Hause essen. An sich haben auch die Verbraucher kein Problem mit vorgefertigten Mahlzeiten, zitiert die "South China Morning Post" einen Restaurantinvestor. Was sie wirklich stört, sind die überhöhten Preise dafür.
Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?
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Quelle: ntv.de