Einzelkämpfer Wolfgang Nešković "Ich will nie wieder in einer Partei sein"
05.09.2013, 10:11 Uhr
Wolfgang Nešković will in den Bundestag - ohne die Unterstützung einer Partei.
(Foto: imago stock&people)
"Schon mit 20 bis 30 Unabhängigen hätten wir ein anderes Parlament", sagt Wolfgang Nešković. Ende 2012 ist er aus der Linken-Fraktion ausgetreten. Als einer von 81 parteilosen Kandidaten versucht Nešković nun, wieder in den Bundestag zu kommen. Und das zu schaffen, was seit 1949 keinem mehr gelungen ist.
n-tv.de: Siegfried Kauder wird wohl aus der CDU ausgeschlossen. Er kandidiert als unabhängiger Bewerber. Haben Sie in den vergangenen Wochen mal mit ihm telefoniert?
Wolfgang Nešković: Ich hab's versucht, aber ihn leider nicht erreicht. Anfang des Jahres beim Empfang des Deutschen Anwaltsvereins hatte ich ihn noch gefragt, warum er nicht auch als Unabhängiger kandidiert. Da hat er mich noch erstaunt angeguckt.

2007 saßen Nešković und Kauder (l.) noch für die Linkspartei beziehungsweise die Union im Bundestag, heute treten beide als unabhängige Kandidaten an.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Seit Ihrem Austritt aus der Linken-Fraktion im Dezember 2012 sitzen Sie als unabhängiger Abgeordneter im Bundestag. Was für Tipps hätten Sie ihm gegeben?
Ich freue mich, dass er das macht, und wünsche ihm viel Erfolg. Ich hätte ihm jedoch noch keine Tipps geben können, da ich ja selbst noch auf keine Erfahrungen mit einer unabhängigen Kandidatur verweisen kann. Meine Kandidatur habe ich immer so verstanden, dass sie auch für andere eine Ermunterung darstellen kann. Ich würde mir wünschen, dass die Menschen erkennen, wie politisch sinnvoll es ist, unabhängige Kandidaten im Bundestag zu haben.
Wieso?
Die Parteiverdrossenheit ist riesengroß. Ich erlebe das immer wieder bei den Gesprächen auf der Straße. Wenn ich meinen Flyer überreiche, sagen die Leute häufig: "Mit Parteien will ich nichts zu tun haben." Dann sage ich: "Ich auch nicht." Fast immer kommen wir dann ins Gespräch.
Was entgegnen Sie denen, die sagen: Der hat doch sowieso keine Chance?
Man soll die Kraft der Idee nicht unterschätzen. Mit guten Argumenten kann man in den Ausschüssen und in den Berichterstatter-Gesprächen häufig viel erreichen. Als Unabhängiger merke ich jetzt, dass meine Wirkungskraft, die sich vornehmlich auf Sachargumente begründet hat, noch gestiegen ist. Offensichtlich werde ich nun nicht mehr als Teil einer Fraktion wahrgenommen, sondern als Fachmann, der vor allem über viel juristisches Wissen und politische Erfahrung verfügt.
1949 wurden zum letzten Mal drei unabhängige Kandidaten in den Bundestag gewählt. Warum haben es Einzelbewerber so schwer?
Es sind eine ganze Menge Fußangeln ausgelegt. Das fängt damit an, dass ein Wahlkampf viel Geld kostet. Wer als Unabhängiger kandidiert, muss sich das Geld über Spenden besorgen oder aus eigenen Mitteln finanzieren. Eine Kostenerstattung bekomme ich erst ab 10 Prozent der Wahlstimmen, Parteien schon ab 0,5 Prozent. Spenden an Parteien sind absetzbar, an einzelne Personen nicht. Im Grundgesetz steht, dass die Parteien lediglich bei der politischen Willensbildung mitwirken sollen. Sie haben sich das aber faktisch unter den Nagel gerissen. Hierzu muss ein Gegengewicht gebildet werden. Das können unabhängige Abgeordnete sein.
Wie wollen Sie die Parteiendemokratie aufbrechen?
Das Vertrauen der Wähler ist häufig an Personen gebunden, nicht an Parteien. Daher müsste das Wahlrecht so geändert werden, dass die eine Hälfte der Abgeordneten Unabhängige sein müssten und die andere Hälfte von den Parteien nominiert wird. Wenn andere Abgeordnete wüssten, wie vorteilhaft und befreiend es ist, ohne Fraktionszwang als Unabhängiger im Parlament zu arbeiten, würden sich viel mehr in diese Position begeben. Schon mit 20 bis 30 Unabhängigen hätten wir ein anderes Parlament. Unabhängige Abgeordnete können viel mehr für Sachargumente stehen als Fraktionsangehörige, bei denen häufig eine verdeckte Interessenwahrnehmung von Lobbygruppen stattfindet.
Sie waren Mitglied bei SPD und Grünen, zuletzt gehörten Sie der Linken-Fraktion an. Warum fällt es Ihnen so schwer, sich anzupassen?
Meiner politischen Biografie entspricht es, dass ich immer wieder gegen den Strom geschwommen bin. Für mich zählt immer die Hierarchie der Argumente und nicht die der Personen. Ich ordne mich nicht einer bestimmten Meinung unter, nur weil eine bestimmte Person sie äußert.
Wie unterscheiden sich die SPD, Grüne und Linke von einander, was Umgang und Atmosphäre betrifft?
Überall, wo Menschen zusammenkommen, geht es regelmäßig um Macht und Einfluss. Unabhängige Abgeordnete können viel mehr für Sachargumente stehen als Fraktionsangehörige, bei denen häufig eine verdeckte Interessenwahrnehmung von Lobbygruppen stattfindet. Deswegen sehe ich unter diesem Gesichtspunkt keine prinzipiellen Unterschiede zwischen SPD, Grünen und Linkspartei.
Wie bewerten Sie die Debatte um Rot-Rot-Grün?
Hier offenbart sich ein desaströses Versagen der SPD. Sie lässt sich von der CDU vorschreiben, mit wem sie koaliert. So wird sie stets deren Juniorpartner bleiben. Die SPD ist derzeit wirklich eine Ansammlung von Funktionsstörungen. Wenn man den Mindestlohn will, muss man ihn doch mit denjenigen machen, die ihn auch wollen. Wir hätten schon 2005 eine andere Regierung und damit auch eine andere Republik haben können. Da hätte man Rot-Rot-Grün wagen müssen.
Wieso hat die SPD das nicht?

Von 2001 bis 2003 war Ronald Schill (l.) Innensenator Hamburgs im Kabinett Ole von Beusts.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Das ist ihr historisches Versagen, das die SPD schon seit hundert Jahren begleitet. Das fing mit den Kriegskrediten und Panzerkreuzern an. Die SPD war immer der Arzt am Krankenbett des Kapitalismus und das wird sie leider auch auf ewig bleiben. Sie hat viele politische Sünden begangen, die die Konservativen allein nie hinbekommen hätten. Ulrich Klose hat mal gesagt: "Die SPD ist der Betriebsrat der Gesellschaft." Diese Äußerung zeugt von mangelndem Selbstbewusstsein. Die SPD will also nie Aufsichtsrat oder Vorstand sein. Mit diesem Bewusstsein hat sie nicht den machtpolitischen Anspruch, ihre politischen Vorstellungen wirklich durchzusetzen. In Hamburg hat Ole von Beust sich mit einem Mann wie Ronald Schill zusammengetan. Die CDU macht mit jedem eine Koalition, wenn eine Mehrheit möglich ist. De SPD kriegt das nicht hin. Darüber lachen sich die Konservativen scheckig. Ich bedauere das sehr, dabei im Herzen bin ich linker Sozialdemokrat.
Sie setzen im Wahlkampf auch auf Hausbesuche. Da denkt man automatisch an die SPD und ihren Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück.
Ach, das ist nur PR. Ich spreche mit den Wählern meistens 20 bis 25 Minuten. Am Ende gibt es ein Ergebnis. Viele sagen dann: "Sie haben mich überzeugt" oder "Ich überlege mir das". In drei Minuten ist das nicht hinzukriegen. Das läuft auf eine Verdummung der Menschen hinaus.
Das wird Herrn Steinbrück also nicht mehr helfen, die Wahl noch zu gewinnen?
Auf keinen Fall. Die SPD weiß gar nicht, was für ein schlechtes Image sie hat. Erst wollen sie Steuererhöhungen und dann wollen sie wieder keine. Jeden Tag bestätigen sie das. Und dann noch ein Mann wie Steinbrück. Ich würde niemals auf die Idee kommen, als Abgeordneter für Vorträge, die sich mit politischen Fragen beschäftigen, so viel Geld zu nehmen. Das gehört doch zu seinem Job. Aber Steinbrück hat das Ganze so dargestellt, als wenn das eine Selbstverständlichkeit sei, Geld zu nehmen. Darin habe sich lediglich sein Marktwert gespiegelt. Ich finde das zutiefst unanständig. Nur mit seiner Schnoddrigkeit, das funktioniert nicht. Jeder drittklassige Kabarettist ist besser als Steinbrück. Schnoddrigkeit ersetzt nicht fehlende Empathie.
Kommen wir von den anderen wieder zu Ihnen. Sie sind gegen den Kohletagebau, gegen die Hochschulfusion der BTU Cottbus und der FH Lausitz und gegen die Macht der Parteien. Steht der Kandidat Nešković eigentlich auch für etwas?
Für soziale Gerechtigkeit und für eine Friedenspolitik statt Kampfeinsätze. Ich bin aus der SPD ausgetreten, weil sie Anfang der 90er Jahre nach der Awacs-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bereit war, Auslandeinsätzen deutscher Soldaten zuzustimmen. Bei den Grünen bin ich ausgetreten, weil sie einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen Ex-Jugoslawien geführt haben. Wenn solche rote Linien überschritten werden, will ich in so einer Partei nicht mehr sein. Deswegen bin ich danach auch parteilos geblieben und werde auch nie wieder in eine Partei eintreten. Meine politischen Pole sind Freiheit und Gleichheit. Ernst Bloch hat das ja mit dem Satz vom aufrechten Gang gesagt. Die Menschen leiden, und deswegen gehen sie nicht aufrecht, weil sowohl Not und Elend als auch Entrechtung und Entmündigung sie an einem aufrechten Gang hindern.
Sie waren Bundesrichter, Bundestagsabgeordneter und sind 65 Jahre alt - warum tun Sie sich das noch an?
Seit der Schulzeit habe ich gegen Ungerechtigkeit gekämpft. Solange ich die Kraft und Energie habe und von anderen Menschen ausreichend unterstützt werde, will ich diesen Kampf fortsetzen. Auch wenn ich nicht in den Bundestag komme.
Mit Wolfgang Nešković sprach Christian Rothenberg
Quelle: ntv.de