"Zum Arbeiten verdonnern" Jugendliche grenzen Arme aus
28.03.2012, 14:41 Uhr
"No future", denken heutzutage trotz der schwierigen Aussichten nur die wenigsten Jugendlichen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Wer als Jugendlicher aus einer armen Familie stammt, hat es nicht leicht. Nach dem Ergebnis einer neuen Studie über 14- bis 17-Jährige werden sie aufgrund ihres Status häufig gemieden und beschimpft. Ansonsten zeichnen die Wissenschaftler des Sinus-Instituts das Bild einer reifen Jugend, die immer früher erwachsen werden muss.
Jugendliche, die aus armen Familien kommen, müssen in Deutschland unter Gleichaltrigen mit Ausgrenzung kämpfen. Das ist eines der Ergebnisse der neuen Sinus-Jugendstudie mit dem Titel "Wie ticken Jugendliche 2012". Demnach klagen 14- bis 17-Jährige, die aus prekären Verhältnissen stammen, gemieden zu werden. Zudem blickten sie weit weniger optimistisch auf ihre berufliche Zukunft als reichere Jugendliche.
"Da gibt es eine deutliche Abgrenzung aus der gesellschaftlichen Mitte nach unten", beschreibt Studienautor Marc Calmbach das Problem. Typische Aussagen seien: "Die Hartz-IV-Empfänger kriegen das Geld in den Arsch geschoben" oder: "Ich würde Hartz-IV-Leute, die jetzt einfach zu Hause sitzen und keine Lust zum Arbeiten haben, dazu verdonnern, arbeiten zu müssen".
Die Wissenschaftler des Heidelberger Sinus-Instituts unterscheiden die Jugend in sieben sogenannte Lebenswelten. Neben den sogenannten "Prekären" identifizieren sie "Konservativ-Bürgerliche", "Adaptiv-pragmatische", "Sozialökologische", "Experimentalistische Hedonisten", "Materialistische Hedonisten" und "Expeditive". Die genannten Gruppen unterschieden sich in ihren Einstellungen und Werten eklatant voneinander, so die Soziologen.
Jugendlich verhalten sich wie "Mini-Erwachsene"
Trotz der Unterschiede sei es gelungen, allgemeine Befunde herauszuarbeiten. So legen die meisten Jugendlichen - mit Ausnahme der Armen - einen "großen Bewältigungsoptimismus" im Hinblick auf unsicher scheinende berufliche Perspektiven an den Tag. Hinzu komme ein wachsendes Bedürfnis nach Sicherheit, Freundschaft und Familie. Diese Einstellung sei jedoch nicht mit einer traditionellen Lebensweise zu verwechseln: "Hart arbeiten und auch hart feiern, Job und zugleich Familie, sparen und sich auch etwas leisten", beschreibt Calmbach das Phänomen.
Als Grund für diese als "Regrounding" bezeichnete Tendenz geben die Soziologen gestiegene Anforderungen an. "Die 14- bis 17-Jährigen stehen unter einem enormen Druck", sagt Calmbach. Den meisten Jugendlichen sei bewusst, dass ihre Lebensaussichten unsicher seien. Deshalb verhielten sich viele wie "Mini-Erwachsene", die immer früher die Geschicke ihrer Karriere selbst in die Hand nehmen müssen.
Kirche spielt kaum eine Rolle
Befragt wurden die Jugendlichen auch zu ihrer Meinung über das Schulsystem. So forderte eine Mehrzahl "kompetente und empathische Lehrer mit Ausstrahlung". Zudem legen die Befragten Wert auf individuelle Förderung und praxisnahes Lernen. Mutlosigkeit ist hier erneut bei Jugendlichen aus prekären Verhältnissen zu spüren: Sie sehen in den gelehrten Inhalten keine Relevanz für ihren Alltag.
Eine Mär räumt die Studie nach Bekunden der Forscher zudem aus: Eine Politikverdrossenheit herrsche lediglich mit Blick auf Institutionen, Parteien und Verbände. Das Denken der meisten sei dagegen sehr wohl politisch. So seien sie bereit, sich mit Ungerechtigkeiten der Gesellschaft auseinanderzusetzen und sich für deren Lösung zu engagieren.
Der Studie, in Auftrag gegeben von sechs kirchlichen und gesellschaftspolitischen Institutionen, liegen 72 ausführliche Tiefeninterviews zugrunde. Sie bekräftigen eine Erkenntnis, die einen Teil der Initiatoren der Studie nicht freuen dürfte: "Sinnsuche ist für viele ein Thema, aber nur noch für die wenigsten innerhalb der Kirche", resümiert Autor Peter Thomas.
Quelle: ntv.de, jog/dpa