"Gewogen und für zu leicht befunden" Politologe: Wulff ist durch
06.01.2012, 06:55 Uhr
Christian Wulff: Ein Bundespräsident auf Abruf.
(Foto: AP)
Berlin ist in diesen Stunden Schauplatz eines wahren Polit-Krimis: Eine Zeitung hat den Bundespräsidenten in der Hand. An ihr liegt es, ob sie die auf eine Mailbox gesprochenen Worte Christian Wulffs veröffentlicht und damit den obersten Repräsentanten des Landes der Lüge überführt. Für den Berliner Politologen Gero Neugebauer sind an diesem Albtraum nicht die Medien des Landes schuld, sondern der Präsident selbst, der sich allein in diese Situation gebracht hat.
n-tv.de: Herr Neugebauer, hat Christian Wulff noch eine Chance?
Gero Neugebauer: Nein, nicht wirklich. Schon im Dezember hatte Wulff in seiner ersten Stellungnahme erkennen lassen, dass er keine Strategie hatte, die es ihm erlauben würde, das Verfahren zur Definition seines Verhaltens wieder in seine Hände zu bekommen. Er hat die Deutungshoheit bis heute nicht wieder erlangen können. Alles, was seitdem passiert ist, verlief nach dem Hase-und-Igel-Prinzip. Wulff konnte nur noch hinterher traben, weil die Presse einfach schneller war und neue Informationen präsentierte.
Mit dem Auftritt zur besten Sendezeit bei ARD und ZDF hat Wulff versucht, das Blatt zu wenden. Ist es ihm wenigstens ansatzweise gelungen?
Er kann zwar für sich in Anspruch nehmen, dass er mit seinem TV-Auftritt auf bestimmte Probleme hingewiesen hat, darunter auf solche, die er im Umgang mit sich selbst hat. Dabei war es ganz geschickt, sich selbst auch als Opfer darzustellen. Aber gerade dadurch machte er deutlich, dass es ihm an Problembewusstsein fehlt. So war er nicht in der Lage zu erklären, warum er damals den Kredit nicht erwähnt hat. Er bedauert nur, dass er ihn nicht erwähnt hat. Oder warum er sich nicht bewusst war, dass er als Ministerpräsident eben kein x-beliebiger Bürger ist und nicht den Eindruck erwecken darf, sich aufgrund seiner politischen Position wirtschaftliche Vorteile verschaffen zu können. Es hätte ihm zudem klar sein müssen, dass nicht ein Politiker die Agenda der Medien bestimmt, sondern dass er allein das Objekt der medialen Begierde ist.
Ist Wulff unbedarft oder war er einfach nur schlecht beraten?
Das vermag ich nicht zu beurteilen. Unklar ist mir, weshalb er als Jurist und Politiker zugleich vergessen konnte, dass er weder die Kompetenz besitzt noch dafür legitimiert ist, faktisch den Artikel 5 der Grundgesetzes, der die Pressefreiheit garantiert, einschränken zu wollen. Seine Position verpflichtet ihn nicht, nach besonderen Tugenden zu leben, sondern dazu, bestimmte Tugenden wie Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit besonders sorgfältig zu leben. Wieso es zu dieser Missachtung von Realitäten kommen konnte, ist von ihm in seinen Aussagen nicht befriedigend aufgeklärt worden. Christian Wulff mangelt es möglicherweise an der Fähigkeit, sich so zu verhalten, wie es man es von einem Bundespräsident erwartet – nämlich alles zu vermeiden, was zu dem Eindruck beitragen könnte, das Amt zu missbrauchen oder die Erwartungen, die an den Amtsinhaber gerichtet und die auch aus der Erinnerung an einige seiner Vorgänger gespeist werden, zu enttäuschen. So kommt man, bezogen auf sein Verhalten, unweigerlich zu dem Schluss: Gewogen und für zu leicht befunden!
Christian Wulff hätte der Veröffentlichung seines Anrufs bei "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann zustimmen können, um damit neue Lügenvorwürfe aus der Welt zu schaffen. Hat er damit seine letzte Chance vertan, reinen Tisch zu machen?
Ganz klares Ja. Er hätte allein schon deshalb, um nicht der "Bild"-Zeitung das Gesetz des Handelns zu überlassen, der Veröffentlichung zustimmen sollen und – wenn überhaupt erforderlich - dann erklären können, weshalb er in einer ganz besonderen emotionale Situation war, dass es ihm beispielsweise darum gegangen sei, weitere Geschichten über seine Familie zu verhindern oder dass er vielleicht einen Blackout hatte. Aus menschlicher Sicht hätte man das - auch ohne sich an andere Politiker mit einem ähnlichen Problem zu erinnern – verstehen können. Vor Verletzungen seiner persönlichen Ehre schützen ihn ohnehin der Artikel 5 des Grundgesetzes und die Rechtsprechung.
Wulff sitzt ganz offensichtlich in einer Falle, die er sich selbst gestellt hat und – glaubt man den Kennern der politischen Szene in Berlin – nicht mehr im Amt zu halten ist. Stimmen Sie dem zu?
Ich muss wohl. Frau Merkel kann sich eigentlich nach all dem, was jetzt gelaufen ist, aber erst recht dann, wenn noch mehr Nachteiliges bekannt werden sollte, nicht mehr erlauben, mit Wulff im Hintergrund in den Wahlkampf für 2013 zu ziehen. Zudem muss die Rückwirkung des Skandals auf die Repräsentationsfähigkeit Wulffs nach außen in Betracht gezogen werden. Merkel sollte sich ganz schnell überlegen, wie sie Ersatz für Wulff schaffen kann. Sie könnte dabei auf die Opposition, insbesondere auf die SPD und die Grünen, zugehen. Die Zeit spielt gegen die Kanzlerin, weil nach der Wahl am 6. Mai in Schleswig-Holstein die Zusammensetzung der Bundesversammlung eine andere sein könnte. Wenn die Opposition ihren Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten durchbringen würde, dann würde das als Signal für die Bundestagswahl 2013 gewertet werden. Einem rot-grünen Sieg bei einer Bundestagswahl ist schon einmal ein Sieg von SPD und Grünen in der Bundesversammlung vorangegangen. Merkel weiß um solche Signalwirkungen und wird auch deshalb wohl nicht mehr lange warten können.
Besteht eine realistische Chance, dass wir den Mailbox-Mitschnitt zu hören bekommen, auch wenn Christian Wulff der "Bild"-Zeitung die Veröffentlichung untersagt hat?
Nach allem, was man in Berlin jetzt schon hören kann, welche Ausschnitte des Gesprächs bereits kursieren, muss man davon ausgehen, dass zumindest Abschriften des Monologs bereits diversen Redaktionen vorliegen. Gegen eine notariell beglaubigte Abschrift des Gesprächs – zumindest in Auszügen – kann sich Wulff juristisch nicht wehren. Man wird das Gespräch sicherlich nicht ungekürzt als Audiodatei ins Internet stellen. Die "Bild"-Zeitung will nicht in juristische Auseinandersetzungen mit dem Bundespräsidenten geraten, denn das würde ihr die Verteidigung ihrer Positionen erschweren.
Würde die Veröffentlichung des Audios gegen die Persönlichkeitsrechte des Bundespräsidenten verstoßen?
Es gibt ein Spruch des Bundesverfassungsgerichts, der die Veröffentlichung illegaler Mitschnitte von Telefongesprächen verbietet. Aber das Zitieren von Aussagen, die ein Betroffener auf ein Aufzeichnungsgerät gemacht und damit de facto frei gegeben hat, ist meines Erachtens erlaubt, sofern dadurch der Anrufer nicht verunglimpft, d. h. in seiner persönlichen Ehre verletzt wird. Das Persönlichkeitsrecht kann dann tangiert sein, wenn der Betroffene emotional stark geprägte oder sehr persönliche Aussagen macht. In diesem Fall kann er verlangen, dass diese Passagen nicht veröffentlicht werden dürfen. Deshalb muss eine komplette Audiodatei auch nicht unbedingt notwendig sein; bei ausreichendem Interesse erreicht eine Textdatei in der Regel genügend Menschen.
Mit Gero Neugebauer sprach Peter Poprawa
Quelle: ntv.de