"Täter unbekannt" Polizeigewalt im Visier
08.07.2010, 16:15 UhrTritte, Schläge, Beleidigungen: Polizisten begehen Straftaten, aber nur selten müssen sie sich für ihre Taten verantworten. Laut Amnesty International gab es allein 2008 über 500 Fälle, bei denen gegen Polizisten ermittelt wurde - aber keine einzige Verurteilung.
AI fordert eine Kennzeichnungspflicht von Polizisten - insbesondere dann, wenn sie Helme tragen.
(Foto: dpa)
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat Gewaltakte deutscher Polizisten im Dienst angeprangert und als Konsequenz eine Kennzeichnungspflicht für die Beamten gefordert. Ihren Vorstoß begründete die Organisation in Berlin damit, dass die Bürger häufig einzelne Polizisten nicht anzeigen könnten, weil diese nicht zu identifizieren seien. Die Polizeigewerkschaften wiesen die Forderung als unzumutbar zurück.
"In Deutschland bleiben Polizisten meistens anonym, vor allem, wenn sie Helme tragen und in geschlossenen Einheiten agieren", sagte die Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion, Monika Lüke. Großbritannien, Schweden und Spanien hätten gute Erfahrungen mit der Kennzeichnungspflicht gemacht. Die Organisation legte einen Bericht zu Gewalt durch Polizeibeamte im Dienst vor. Darin ist von einem "Klima der Straflosigkeit" der Rede, solange Polizisten nicht identifizierbar seien.
Falsch verstandenes Wir-Gefühl
Tatort 1. Mai 2010: Ein junger Demonstrant liegt wehrlos am Boden, als ein Polizist ihm im Vorbeilaufen heftig gegen den Kopf tritt.
Zu dem in dem Bericht dokumentierten Fällen gehört der eines 33-jährigen Bundestagsmitarbeiters, der im August 2005 in eine Diskotheken-Razzia in Berlin geraten und dabei mit einem Schlagstock auf den Kopf geschlagen worden sei. Während des Einsatzes wurden dem Bericht zufolge mehrere Personen zum Teil schwer verletzt. Ein Mann erlitt einen doppelten Nasenbeinbruch, ein Mann kollabierte nach einem Tritt in den Bauch. 37 Menschen erstatteten laut Amnesty Anzeige gegen die Polizisten. Die Ermittlungen seien jedoch eingestellt worden, da die Beamten mangels Kennzeichnung nicht identifizierbar gewesen seien. Nicht selten scheiterten die Verfahren schon daran, dass kein Täter ermittelt werden könne. Bei Ermittlungen gegen Kollegen mauerten Polizisten - teilweise gebe es auch ein falsch verstandenes Wir-Gefühl.
Neben der Kennzeichnungspflicht empfahl Amnesty unter anderem den Aufbau und die Ausweitung von Video- und Audioüberwachung in Polizeiwachen. Außerdem schlug Amnesty die Einrichtung unabhängiger Untersuchungsmechanismen vor, um Vorwürfe schwerer Menschenrechtsverletzungen gegen die Polizei zu überprüfen. Die Länder sollten dafür spezielle Dezernate einrichten.
Ministerium widerspricht Amnesty
Das Bundesinnenministerium in Berlin wies die von Amnesty erhobenen Vorwürfe zurück. Ein Sprecher sagte, rechtswidrige Gewaltanwendungen von Polizisten würden sofort strafrechtlich und disziplinarrechtlich verfolgt.
Der Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, erklärte zu diesen Forderungen, dass Polizisten vielfach von Zivilisten während der Arbeit gefilmt würden und solche Videos, auf denen die Beamten identifizierbar seien, dann ins Internet gestellt würden. Vor einer Kennzeichnungspflicht müsse zunächst geklärt werden, inwieweit solche Videos ins Netz gestellt werden dürften. Auch Sonder-Dezernate für polizeiliche Übergriffe lehnte Freiberg ab, weil es ausreichend Kontrollinstanzen für den Bürger gebe.
Auch die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) erteilte einer Kennzeichnungspflicht eine Absage. "Nummern oder Zeichen auf Uniformen sind Unfug", erklärte der DPolG-Vorsitzende Rainer Wendt. Sie stellten alle Polizisten unter Generalverdacht und ermöglichten es, Beamte willkürlichen Vorwürfen auszusetzen.
548 Fälle – keine Verurteilung
Der Menschenrechtsexperte der Grünen, Volker Beck, unterstützte hingegen die Forderungen von Amnestys nach unabhängigen Beschwerdemechanismen und Kennzeichnungen für Polizisten. Zur Strafverfolgung von gewalttätigen Polizisten sagte er: "Nicht alle Vorwürfe und Beschwerden sind begründet, das kann jedoch nur festgestellt werden, wenn allen Vorwürfen nachgegangen wird." Auch die innenpolitische Expertin der Linken, Ulla Jelpke, nannte eine allgemeine Kennzeichnungspflicht einen "Schritt zu mehr Transparenz".
Offizielle Statistiken - sofern es sie zu dem Thema gibt - sind nach Einschätzung von Amnesty begrenzt aussagekräftig. Aus ihnen gehe nicht hervor, ob ein Verfahren eingestellt wurde, weil der Tatvorwurf unberechtigt gewesen sei oder weil nicht ordentlich ermittelt wurde.
Dem Bericht zufolge gab es beispielsweise im Jahr 2008 in Berlin 548 Fälle, bei denen gegen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt ermittelt wurde. Von einer Verurteilung in diesen Fällen war Amnesty nichts bekannt. Bundesweite Zahlen lagen nicht vor.
Quelle: ntv.de, AFP/dpa