Politik

Sarrazin alias Kohlhaas Ränke um Macht, Rache, Geld

Thilo Sarrazin hat es wieder allen gezeigt. Seinem Rauswurf aus der Bundesbank ist er durch Rückzug zuvorgekommen. Dafür setzte er seine formale Rehabilitation und eine dickere Pension durch. Das Bundespräsidialamt vermittelte.

Scheidender Bundesbank-Vorstand: Thilo Sarrazin.

Scheidender Bundesbank-Vorstand: Thilo Sarrazin.

(Foto: dpa)

Wer Thilo Sarrazin kennt, war höchst erstaunt. Dass der Bundesbanker freiwillig den Rückzug aus seinem Traumjob antrat, passte so gar nicht zu dem eitlen und streitbaren SPD- Politiker. Mancher hielt gar eine wundersame Läuterung für möglich. Weit gefehlt. Nun kommt heraus, dass die Beamten von Bundespräsident Christian Wulff bei der Einigung kräftig mitgemischt haben - und der 65-Jährige eine spürbar höhere Pension durchgesetzt haben soll.

Der "Spiegel" enthüllte am Wochenende, dass die Bundesbank sich aus ihrer misslichen Lage regelrecht freigekauft hat. Eingefädelt hat die Lösung das Bundespräsidialamt. Staatssekretär Lothar Hagebölling soll Sarrazin zum Amtsverzicht bewogen haben. Im Tauziehen um eine gütliche Einigung setzte Sarrazin nach Informationen des Nachrichtenmagazins bei seinem Arbeitgeber schließlich eine um 1000 Euro höhere Pension durch: 10.000 Euro pro Monat.

Vereinbartes Stillschweigen

Weder die Bundesbank noch das Bundespräsidialamt wollten diese Details bestätigen. Die Notenbank verwies darauf, dass beide Seiten Stillschweigen vereinbart haben. Wulffs Sprecher Olaf Glaeseker wies aber die Darstellung zurück, dass das Amt etwaige Forderungen Sarrazins durchgesetzt habe: "Alle inhaltlichen Vereinbarungen wurden ausschließlich von den Vertragspartnern getroffen."

"Das ist wie bei einer Scheidung: Wenn sich beide Seiten unversöhnlich gegenüberstehenden und das Ganze vor Gericht landet, ist das zum Schaden aller", schildert ein Kenner des Deals. Deshalb habe sich das Präsidialamt als Vermittler eingeschaltet. "Man baut eine Brücke, über die alle gehen können."

Stolperstein für Wulff

Bundespräsident Christian Wulff begrüßt die Bitte von Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin nach seiner Entlassung.

Bundespräsident Christian Wulff begrüßt die Bitte von Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin nach seiner Entlassung.

(Foto: dapd)

In diesem Fall war dieser neutrale Mediator aber auch Partei. Schließlich drohte die Affäre Wulffs Start ins höchste Staatsamt schwer zu belasten. Wäre eine Einigung fehlgeschlagen, hätte das Staatsoberhaupt Sarrazin selbst entlassen müssen - entgegen dem Willen eines Großteils der Bevölkerung und ohne zu wissen, ob dieser Schritt rechtlich Bestand haben würde. Zahlreiche Arbeits- und Staatsrechtler hatten bereits erklärt, sie hielten den geplanten Rauswurf Sarrazins für zweifelhaft bis unmöglich.

Die Brücke, die schließlich gebaut wurde, war eine goldene. Laut "Spiegel" hatte die Bundesbank Sarrazin zunächst für seine 17 Monate im Amt eine Pension ohne Abzug angeboten, falls er sich freiwillig zurückzieht. In den vom Bundespräsidialamt geführten Gesprächen habe er jedoch eine Pension durchgesetzt, wie sie ihm am Ende der regulären Vertragslaufzeit 2014 zugestanden hätte - also 1000 Euro mehr. Zudem kann Sarrazin mit sechsstelligen Einnahmen aus seinem umstrittenen Buch rechnen, das sich längst zum Bestseller entwickelt hat.

Breite Aufruhr

SPD-Chef Sigmar Gabriel, setzte sich auf dem ordentlichen Bezirksparteitag der SPD Nord-Niedersachsen in Ritterhude kritisch mit Bundesbank-Vorstand und SPD-Mitglied Thilo Sarrazin auseinander.

SPD-Chef Sigmar Gabriel, setzte sich auf dem ordentlichen Bezirksparteitag der SPD Nord-Niedersachsen in Ritterhude kritisch mit Bundesbank-Vorstand und SPD-Mitglied Thilo Sarrazin auseinander.

(Foto: dapd)

Zuvor hatte die Bundesbank schon bei ihren ehrenrührigen Vorwürfen gegen Sarrazin klein beigegeben. Er konnte stolz verkünden: "Der Bundesbankvorstand hält die gegen mich erhobenen Anwürfe, ich hätte mich gegenüber Ausländern diskriminierend geäußert und Ähnliches, nicht aufrecht, sondern zieht sie zurück." Der Zentralrat der Juden geißelte das als "faulen Kompromiss" und "Schande für das Land".

Auch die Opposition zeigt sich nun empört. "Die Bundesbank hat doch nichts anderes als einen Deal gemacht, um den Bundespräsidenten zu retten und Herrn Sarrazin trotzdem los zu werden", schimpft SPD-Chef Sigmar Gabriel. Und die stellvertretende Linke-Chefin Katja Kipping erklärt: "Sarrazin wird durch Hetze reich und erhält dafür offenbar sogar noch Amtshilfe aus dem Bundespräsidialamt."

Selbstsicherer Vergleich

Würde Sarrazin eine eigene Partei gründen, könnte sich fast jeder fünfte Deutsche vorstellen, diese zu wählen.

Würde Sarrazin eine eigene Partei gründen, könnte sich fast jeder fünfte Deutsche vorstellen, diese zu wählen.

(Foto: dapd)

Fest steht: Sarrazin erwies sich erneut als äußerst geschickter Wahrer seiner Interessen. Unmittelbar nach Bekanntwerden seines eigenen Antrags auf Entlassung hatte er diesen Schritt noch mit dem "massiven Druck" von allen Seiten begründet, dem selbst er nicht standhalte. Einen Tag später teilte er bereits wieder aus.

In typisch Sarrazinscher Selbstüberzeugung stellte er sich am Freitagabend bei einer Diskussion in Berlin als modernen Michael Kohlhaas dar. Dieser hatte in der berühmten Kleistschen Novelle einen Rachefeldzug gegen die Obrigkeit geführt, weil er sich ungerecht behandelt fühlte. Die Mehrheit der 800 Zuhörer klatschte begeistert Beifall. Und Sarrazin schickte noch eine Botschaft an Wulff hinterher: "Ich glaube nicht, dass mich der Bundespräsident jemals abberufen hätte."

Quelle: ntv.de, Kirsten Baukhage und Uta Winkhaus, dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen