Politik

19.500 Wähler entscheiden hauchdünnen Ausgang Schweizer stimmen gegen Einwanderung

Besonders in ländlichen Gegenden wollen die Schweizer lieber unter sich bleiben.

Besonders in ländlichen Gegenden wollen die Schweizer lieber unter sich bleiben.

(Foto: dpa)

Fast ein Viertel der Schweizer Einwohner hat einen ausländischen Pass - doch bei einer Volksabstimmung votiert eine sehr knappe Mehrheit für eine Beschränkung der Zuwanderung. Nun könnte es zum Streit mit der EU kommen - länderübergreifend jubeln die Rechtspopulisten. Ein SPD-Vorstandsmitglied kommentiert: "Die spinnen, die Schweizer".

Die Schweizer haben sich in einer Volksabstimmung überraschend dafür ausgesprochen, die Zuwanderung aus der EU zu begrenzen. Mit 50,3 Prozent fiel die Zustimmung für die Initiative der national-konservativen Schweizer Volkspartei SVP "Gegen Masseneinwanderung" denkbar knapp aus.

Die EU-Kommission reagierte besorgt auf das Ergebnis, das Auswirkungen auf die Abkommen für den gemeinsamen Binnenmarkt haben dürfte. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagte: "Das wird eine Menge Schwierigkeiten für die Schweiz verursachen." Die Deutschen stellen mit rund 300.000 Einwohnern einen großen Teil der ausländischen Bevölkerung in der Schweiz.

Die Regierung in Bern muss nun binnen drei Jahren das Anliegen umsetzen. "Die Schweiz wird also in Zukunft die Bewilligungen für den Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern durch Höchstzahlen und Kontingente begrenzen", kündigte Justizministerin Simonetta Sommaruga an. Als assoziierter EU-Partner würde die Exportnation Schweiz damit gegen das Recht der Personenfreizügigkeit verstoßen. Die EU hatte für diesen Fall mit Konsequenzen gedroht. Bei anti-europäischen Parteien in der EU sorgte die Entscheidung hingegen für Begeisterung.

Knappes Ergebnis, eindeutige Folge: Drei Jahre hat die Schweiz für die Umsetzung des Wählerwillens.

Knappes Ergebnis, eindeutige Folge: Drei Jahre hat die Schweiz für die Umsetzung des Wählerwillens.

(Foto: imago/EQ Images)

Die Befürworter der Abstimmung erhielten zur allgemeinen Überraschung 19.500 Stimmen mehr als die Gegner. In der Schweiz hatten Regierung, Parteien und Wirtschaft die aus ihrer Sicht schädliche Initiative bekämpft. Bis zuletzt lagen die Gegner der Initiative in Umfragen vorn. Sie sehen den Erfolg der Schweiz durch Abschottung aufs Spiel gesetzt. Die Wahlbeteiligung war mit 56 Prozent sehr hoch. Nach Vorstellungen der Schweizer Initiative sollen künftig die Kantone eine Höchstzahl von Zuwanderern festlegen.

Bedarf an Fachkräften

Die Schweiz hat mit 23 Prozent einen besonders hohen Ausländeranteil. In Deutschland sind es etwa 9 Prozent. Die Schweiz wächst durch Einwanderer jährlich um rund 80.000 Menschen. Die seit 2000 vergleichsweise hohe Netto-Zuwanderung wurde ausgelöst durch den Bedarf Schweizer Firmen nicht zuletzt an deutschen Fachkräften. Durch die Wirtschaftskrise in Südeuropa suchten vor allem Portugiesen ihr Glück in der Eidgenossenschaft.

Die Initiative hat das Ziel, dass die Kantone künftig eine Höchstzahl von Zuwanderern - vom Akademiker bis zum Asylbewerber - unter Berücksichtigungen der "gesamtwirtschaftlichen Interessen" festlegen. Argumente der Befürworter waren, dass durch die hohe Zuwanderung die Infrastruktur überlastet würde, die Mieten stiegen, und die eigene Bevölkerung am Arbeitsmarkt benachteiligt werde.

Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, bezeichnete das  Referendum als schweren Fehler. "Was Europa als letztes braucht, sind neue Mauern", sagte Riexinger dem "Handelsblatt Online". Er forderte eine "deutliche Antwort der EU", sollte die Schweiz bei ihrem Kurs bleiben. Als eine Möglichkeit nannte er die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen. "Wenn die Schweiz ihre Grenze für Menschen schließt, dann ist es nur gerecht, wenn auch das Geld draußen bleibt", sagte der Linksparteichef.

Der Vizevorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Andreas Schockenhoff (CDU) warnte die Schweiz vor einer "fortschreitenden Selbstisolierung". Auch die Schweiz sollte es als Chance begreifen, dass Europa zusammenwachse.

Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach wertete das Abstimmungsergebnis als "Argument für strengere Regeln gegen Armutsmigration. "Wir müssen die anhaltende Zuwanderung in die Sozialsysteme deutlich begrenzen, sonst wird uns diese Debatte immer wieder begegnen", sagte Bosbach dem "Handelsblatt". Das SPD-Parteivorstandsmitglied twitterte flapsig: "Die spinnen, die Schweizer!", gefolgt von: "Geistige Abschottung kann zur Verblödung führen".

Rechtspopulisten loben Ergebnis

Ein Werbeplakat der Initiative in Bern.

Ein Werbeplakat der Initiative in Bern.

(Foto: dpa)

Bei rechtspopulistischen Parteien dagegen sorgte die Nachricht aus der Schweiz knapp drei Monate vor der Europawahl für Zustimmung. "Das sind wunderbare Nachrichten für die Anhänger von staatlicher Souveränität und Freiheit in ganz Europa", sagte der Vorsitzende der anti-europäischen United Kingdom Independence Party (UKIP), Nigel Farage. Der Vize-Vorsitzende der französischen Partei Front National, Florian Philippot, lobte: "Gut gemacht, Schweiz! Eine echte Demokratie!"

Die EU teilte als Reaktion auf die Entscheidung der Schweizer mit, eine Abschottung verletze das Prinzip des freien Personenverkehrs zwischen der Europäischen Union und dem Alpenland. Man werde die Folgen dieser Initiative für die Gesamtbeziehungen analysieren. "In diesem Zusammenhang wird auch die Position des Bundesrates zum Abstimmungsergebnis berücksichtigt werden", hieß es aus Brüssel. Der Schweizer Bundespräsident Didier Burkhalter kündigte an, es gehe nun darum, eine auch aus Sicht der EU akzeptierbare Form zu finden.

Der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz, betonte, man könne nicht alle Vorteile des großen europäischen Binnenmarktes für sich in Anspruch nehmen, sich dann aber teilweise herausziehen. Das werde man jetzt mit der Schweiz diskutieren müssen, so der SPD-Politiker.

Eine konkrete Umsetzung der Initiative ist nach Einschätzung des Schweizer Politologen Laurent Bernhard kaum abzusehen. "Der Initiativtext lässt einen beträchtlichen Spielraum offen", sagte Bernhard. Vieles werde sich nun auf dem diplomatischen Parkett abspielen. "Ob die EU die bilateralen Verträge mit der Schweiz tatsächlich einseitig aufkündigt, lässt sich mit dem heutigen Ja nicht sagen."

Sieben Verträge könnten ungültig werden

Aufgrund der "Guillotine-Klausel" - ein Vertrag kann nicht einzeln gekündigt werden - steht ein Paket von insgesamt sieben Verträgen zwischen der Schweiz und der EU auf dem Spiel. Darin ist nicht nur das Recht auf freien Wohn- und Arbeitsort, sondern auch der privilegierte Zugang der eidgenössischen Wirtschaft zum EU-Binnenmarkt geregelt. Damit wird bisher der Warenverkehr mit der EU deutlich erleichtert.

Die SVP hofft, dass es die EU nicht zu einem weitgehenden Bruch mit der Schweiz kommen lässt. Die wirtschaftlichen Beziehungen seien zu eng. Die Eidgenossenschaft ist einer der wichtigsten Handelspartner der EU. Umgekehrt gehen über die Hälfte der Schweizer Exporte in die EU, wo die Schweizer Wirtschaft jeden dritten Franken verdient.

Die Deutschen stellen mit rund 300.000 Einwohnern einen großen Teil der ausländischen Bevölkerung in der Schweiz. Ihr Zuzug hat sich in den vergangenen Jahren aber bereits wieder abgeschwächt. Es handelt sich in der Regel um gut ausgebildetes Fachpersonal. Sollte es zur Umsetzung der Initiative kommen, müssten sie damit rechnen, dass ihr Arbeitsverhältnis vor einer Verlängerung von den Schweizer Behörden überprüft wird.

Bereits im Vorjahr hatte die Schweiz die Zuwanderung für Bürger aus den 17 alten EU-Mitgliedsländern für mindestens ein Jahr begrenzt, darunter auch aus Deutschland. Die sogenannte Ventilklausel galt bereits zuvor für Zuwanderer aus den neuen EU-Ländern - den sogenannten EU-8. Betroffen sind Langzeit-Aufenthaltsbewilligungen für fünf Jahre.

Schweiz drohen mögliche Folgen

Kritik gegen das Schweizer Votum hagelt es von allen Seiten. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok (CDU), sieht das Ergebnis der Volksabstimmung negativ. "Das ist schon ein Schlag", sagte Brok dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Die Schweiz genieße große Vorteile, "weil sie ein Stückchen in die Europäische Union integriert ist" und sie brauche "qualifizierte Arbeitskräfte". In diesem Sinne bezeichnete Brok den Ausgang der Abstimmung als "nicht verständlich".

"Wir können das nicht widerspruchslos hinnehmen", sagte Brok. In den Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz dürfe sich nicht "Rosinenpickerei" durchsetzen. Von Seiten der EU-Kommission in Brüssel wurde darauf hingewiesen, dass die sieben bilateralen Abkommen über Bereiche wie Freizügigkeit, Verkehr, Landwirtschaft, Forschung und öffentliche Ausschreibungen aus dem Jahr 1999 rechtlich miteinander verknüpft seien und nicht einzeln aufgekündigt werden könnten. In einer offiziellen Erklärung teilte die Kommission mit, der Volksentscheid verletze das "Prinzip des freien Personenverkehrs", die EU werde "die Folgen dieser Initiative für die Gesamtbeziehungen zwischen der Union und der Schweiz analysieren".

Quelle: ntv.de, lsc/rpe/dpa/AFP

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen