Opposition zählt 3200 Wahlrechtsverstöße Sechs weitere Kremljahre für Putin
04.03.2012, 22:02 Uhr
"Zar" Putin dominiert seit über einem Jahrzehnt die russische Politik.
(Foto: AP)
Große Mehrheit für Putin: Russlands starker Mann kehrt nach einer Zwangspause in das Zentrum der Macht zurück. Daran lässt die Wahlleitung keinen Zweifel. Doch selbst der Friedensnobelpreisträger Gorbatschow sieht den Wähler hintergangen. Der Zweitplatzierte nennt die Abstimmung "weder sauber noch gerecht".

Organisiertes Feiern in Moskau: Die Menschen schwenkten russische Fahnen und hielten Schilder mit der Aufschrift "Mein Präsident heißt Putin" in der Hand.
(Foto: REUTERS)
"Zar Putin" kehrt zurück: Bei der von Fälschungsvorwürfen überschatteten Präsidentenwahl in Russland hat der Favorit Wladimir Putin nach ersten Ergebnissen klar gewonnen. Der Regierungschef lag nach Auszählung von fast der Hälfte der Stimmen bei knapp 64 Prozent. Damit übernimmt der 59-Jährige nach vierjähriger Zwangsunterbrechung wieder das höchste Staatsamt. Putin erklärte sich noch am Abend vor über 100.000 jubelnden Anhängern in Moskau zum Sieger. Die Opposition will an diesem Montag aus Protest gegen die aus ihrer Sicht unfaire Wahl Zehntausende auf die Straße bringen.
Die "offene und ehrliche" Wahl sei ein Test für die Unabhängigkeit und Reife des Landes gewesen, rief Putin den Menschen in der Nähe des Kremls zu. Der Ex-Geheimdienstchef betrat gemeinsam mit Noch-Präsident Dmitri Medwedew die Bühne. Medwedew sagte: "Diesen Sieg braucht das ganze Land."
Unabhängige russische Beobachter registrierten dagegen mehr als 3500 Wahlrechtsverstöße. Die Beschwerden wurden aber von der offiziellen Wahlleitung zum allergrößten Teil nicht anerkannt. Putin hatte nach zwei Amtszeiten als Präsident von 2000 bis 2008 abtreten müssen. Sein Nachfolger Dmitri Medwedew hatte seinen Verzicht auf eine neue Kandidatur mit der hohen Popularität Putins begründet. Medwedew soll in einem umstrittenen Ämtertausch unter Putin Regierungschef werden.
"Weder sauber noch gerecht"
Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow sagte, das Ergebnis entspreche nicht dem Wählerwunsch. "Es gibt große Zweifel, dass dies die wahre Stimmung in der Gesellschaft widerspiegelt", sagte der Ex-Sowjetpräsident der Agentur Interfax. Der Zweitplatzierte Gennadi Sjuganow von der Kommunistischen Partei nannte die Abstimmung "weder sauber noch gerecht". Auch der Kandidat Michail Prochorow sprach von "nicht ehrlichen" Wahlen.
Sjuganow erhielt den Angaben zufolge rund 17 Prozent. Dahinter landeten der Ultranationalist Wladimir Schirinowski und der Multimilliardär Prochorow mit jeweils etwa 7 Prozent vor dem Linkskonservativen Sergej Mironow mit knapp 4 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei etwa 64 Prozent.
Während unabhängige Wahlbeobachter und die Opposition massive Fälschungsvorwürfe erhoben, sprach Putins Wahlkampfchef von den "saubersten Wahlen in der russischen Geschichte". Das Ergebnis sei ein Beweis, dass das Volk keinen Systemwechsel in Form eines Arabischen Frühlings in Russland wolle, sagte Sergej Goworuchin. Putin habe sich bei einem ersten Telefonat "allerbester Laune" gezeigt. Nach Bekanntgabe der ersten Ergebnisse feierten nach offiziellen Angaben mehr als 110.000 Putin-Anhänger bei einer organisierten Veranstaltung im Zentrum von Moskau den Erfolg.
Putins Sieg sei "unbestritten", sagte sein Sprecher Dmitri Peskow. Auch in den Wählernachbefragungen (exit polls) lag Putin bei 59 Prozent. Der neue Präsident wurde das erste Mal gemäß geänderter Verfassung für sechs und damit zwei Jahre länger als bisher gewählt. Putin kann laut Verfassung wieder zwei Amtszeiten als Kremlchef in Folge ableisten, wenn er 2018 gewählt würde.
Kameras gegen Manipulation
Die Wahl war von massiven Sicherheitsvorkehrungen begleitet worden. Erstmals wurde die Abstimmung mit Videokameras überwacht, um Fälschungsvorwürfe zu entkräften. Das sei eine Weltpremiere, sagte Wahlleiter Wladimir Tschurow. Die Oppositionspartei Jabloko, die unabhängige Wahlbeobachterorganisation Golos und die neue Liga der Wähler beklagten aber Unregelmäßigkeiten wie bei der Parlamentswahl im Dezember. Das Innenministerium wies die Vorwürfe zurück.
Nach Massenprotesten gegen den Sieg von Putins Partei Geeintes Russland bei der Dumawahl hatte die Zivilgesellschaft eine nie dagewesene Zahl an Beobachtern mobilisiert. Zehntausende wollten Fälschungen verhindern. Auch Beobachter von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) waren im Einsatz.
Oberflächlich betrachtet sei die Abstimmung korrekt verlaufen, sagte die Grünen-Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck als Beobachterin in der Stadt Twer 170 Kilometer nördlich von Moskau. "Aber wenn wir zu Zeiten Erich Honeckers in die DDR gegangen wären, hätten wir auch keine Verstöße gesehen."
Putin schläft erst aus
Putin durfte 2008 nicht bei der Kremlwahl antreten, weil die Verfassung nur zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten zulässt. Er hatte seinen politischen Ziehsohn Medwedew für das Amt vorgeschlagen. Das russische Präsidentenamt ist eines der mächtigsten der Welt. Zu den fast unbegrenzten Vollmachten den Kremlchefs gehört auch die Gewalt über das nach den USA größte Atomwaffenarsenal.
"Ich habe ausgeschlafen, Sport getrieben, und bin dann hierhergekommen", sagte Putin nach Angaben der Agentur Interfax bei der Stimmabgabe. Seit langem erschien er wieder einmal mit seiner Ehefrau Ljudmila.
Zu der Abstimmung in den neun Zeitzonen des flächenmäßig größten Landes der Erde waren 110 Millionen Wahlberechtigte in rund 96.000 Wahllokale aufgerufen. Rund 450.000 Sicherheitskräfte waren im Einsatz, um einen störungsfreien Verlauf zu garantieren.
Quelle: ntv.de, dpa/rts